Werkraum  Hellas München von Anestis Azas und Prodromos Tsinikoris


 

Heitere Ambivalenz

Hinter dem Projekt „Hellas München“ verbirgt sich ein Dokumentartheaterabend, in dem vier junge Griechen Rückschau halten auf das Thema Einwanderung von Griechen nach München im Allgemeinen und ihren eigenen Schicksalen als Zuwanderer im Besonderen. Außer Regisseur Prodromos Tsinikoris (Co-Regisseur Anestis Azas) waren die Darsteller Laien, griechische Mitbürger aus München. Der Abend begann mit einer Rückschau, und zwar in die Zeit der beinahe neun Jahre dauernden Befreiungskriege der Griechen gegen das türkische Joch, die ihr Ende im September 1829 fanden und in denen auch prominente Europäer wie Lord Byron ihr Leben ließen.

Von der starken Verbundenheit der Wittelsbacher Landesführung, insbesondere Ludwig I., zeugen noch heute die Propyläen am Münchner Königsplatz als Denkmal für diese Befreiungskriege. Um die Errichtung eines neuen, pro-westlichen Staatsgebildes in Griechenland zu gewährleisten, einigten sich die europäischen Großmächte auf den noch minderjährigen bayerischen Prinzen Otto I., Ludwigs Sohn, als neuen griechischen Monarchen. Er verstand es zwar, den Ausbau der Infrastruktur, des Schulwesens und einer effizienten Verwaltung voranzutreiben, doch den breiten Massen blieben die wichtigsten Grundrechte verwehrt. Erst durch einen Militärputsch 1843, der sich zu einem Volksaufstand ausweitet, bekam das griechische Volk eine Verfassung. Die „Bavarokratie“ wie die Griechen die neoabsolutistische Herrschaft Ottos spöttisch nannten, war keineswegs nur segensreich und bereits unter seiner Herrschaft musste der Staatsbankrott mehrfach durch Finanzspritzen, z.B. aus Bayern, abgewendet werden. Ein zweiter Volksaufstand 1862 beendete Ottos Herrschaft und zwang ihn ins Exil nach Bamberg. Diese Ausführungen wurden gemacht, um einer Verklärung der deutsch-griechischen Geschichte vorzubeugen.

Der Abend „Hellas München“ berichtete davon, dass begabte Griechen um 1830 auf Einladung Ludwig I. nach München kamen, um zu studieren. Sie sollten als Eliten tatkräftig am Aufbau Griechenlands helfen. Allein, sie gingen nicht zurück. Sie blieben und assimilierten sich. In den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts gab es eine erneute Einwanderungswelle. Griechische Bürger, Männer wie Frauen, kamen zum einen, um der ökonomischen Not, zum anderen aber auch um der Verfolgung durch das „Obristensystem“ in Griechenland, einer von 1967 bis 1974 andauernden Militärdiktatur, zu entgehen. Telefoninterviews mit ehemaligen Gastarbeitern und Verwandten wurden eingespielt. Allen Interviews war die Sehnsucht nach der Heimat eigen, und wenn ein Teil der Befragten versicherte, zwei Heimaten zu haben, kehrte ein anderer Teil selbst nach fast einem halben Jahrhundert in die alte Heimat zurück. Vierzig Jahre und mehr haben sie in Deutschland malocht und wesentlich am Entstehen des Wohlstands im Land partizipiert. Nun steht wieder eine Generation Griechen vor der Tür des deutschen Reichtums und begehrt Einlass. Sie gehören zur Schicht der „Working Poor“, hochqualifiziert und willig, doch chancenlos. Tränenreich waren die Abschiede, keinesfalls larmoyant die Berichte über die Ankunft. Vier Vertreter dieser Generation gaben Auskunft.

  Hellas Muenchen  
 

Hintergrund: Valantis Beinoglou, Vordergrund: Aikaterini Softs, Prodromos Tsinikoris, Angelos Georgiadis

© Judith Buss

 

Die 1984 in Thessaloniki geborene Aikaterini Softsi ist von Beruf Architektin. Doch in Griechenland wird auch wegen der von Deutschland, insbesondere vom ehemaligen Finanzminister Dr. Schäuble, die Deutschen küren ihn seit vielen Monaten in Folge zum beliebtesten Politiker, geforderten Sparmaßnahmen im Staatshaushalt, nicht mehr gebaut. Der Versuch, ein Restaurant zu betreiben, scheiterte, denn Freunden und anderen Gästen ging langsam das Geld aus für den „Luxus“ eines Restaurantbesuches. Die junge Frau ist eine Kämpferin und in ihrem ersten Job spülte sie 50 Tage lang Teller für einen Hungerlohn, ehe sie an ihrem ersten freien Tag München erkunden durfte. Der erste Schritt in die Freiheit, ihr Arbeitgeber hatte dringend abgeraten, war die (zu ihrer Verwunderung) reibungslose Eröffnung eines eigenen Kontos. Heute hat sie in der Belegschaft des Restaurants, in dem sie mit Begeisterung kocht, eine echte Familie gefunden.

Angelos Georgiadis hat monatelang versucht, in Deutschland Fuß zu fassen. Dabei könnte man meinen, dass das nicht schwer sein sollte als studierter Tourismus-Manager im Land der Reiseweltmeister. Und gerade als ihm sein karges Budget auszugehen und ihn die Verzweiflung zu übermannen drohte, entdeckte er in der Sonnenstraße den Firmennamen “Attika Reisen“. Was hatte er nach zahllosen Bewerbungen und ebenso vielen negativen Bescheiden schon zu verlieren? Er stellte sich vor und ist heute Mitglied der Accountig-Abteilung, glücklicher Familienvater und als Musiker Mitglied der Bands „The Eagle Trail“ und „Mpouat“, der auch seine eigene Musik komponiert.

Valantis Beinoglou stammt ebenfalls aus Thessaloniki und ist ein Jahr jünger als seine Landsfrau Aikaterini. Der studierte IT-Spezialist war einen ähnlich steinigen Weg gegangen, ehe er endlich einen vermutlich recht gut bezahlten, berufsnahen Job bei der Firma „eurotrade“ am Münchner Flughafen fand. Die Tatsache, dass keiner von ihnen über sein Einkommen sprach, wurde als eine echt deutsche Tugend ausgemacht, die sie sich schon zu Eigen gemacht haben. Der Deutsche spricht nicht über Geld.

Das war nur einer der zahlreichen Unterschiede, die an diesem Abend erkennbar wurden. Doch diese zu überwinden scheint möglich. Die drei Protagonisten machten es vor, und zwar mit deutlich mehr Komik, als es die Deutschen tun würden oder könnten. Prodromos Tsinikoris, „dessen Schicksal den umgekehrten Weg gegangen war“, in Deutschland geboren und nun häufig in Griechenland als gut bestallter Theatermacher arbeitend, moderierte auf sehr persönliche und humorige Weise. Dabei wurde nicht für ein Publikum, sondern mit einem Publikum gespielt. Vermutlich waren die einzigen deutschstämmigen Besucher die mit den Pressemappen auf dem Schoß. Man spürte der Veranstaltung an, wie sehr sich die griechische Community, übrigens die größte in ganz Deutschland, in dieser Performance wiederfand. Es war übrigens eine Veranstaltung, die Live ins Internet übertragen wurde und vermutlich von sehr vielen Griechen, nicht nur in Deutschland gesehen wurde.

Dem deutschen Zuschauer wurde einmal mehr bewusst, wie wichtig und wie wertvoll uns die griechisch stämmigen Mitbürger geworden sind. Damit ist nicht der „Griechische Wein …“ – das musikalische „warm up“, bevor sich der Vorhang, in diesem die Folie zum Spiel lüftete, gemeint, sondern ihre Fähigkeit zur Selbstironie, ihre mediterrane Sinnlichkeit, ihr Temperament. Und wenn sie sich am Ende mit einem Lied verabschiedeten, in dem sie die Jugend Griechenlands zum Kommen aufforderten, ihnen zugleich einen satten Burnout und das Erlebnis, seine Zigarette bei Minusgraden vor der Tür des Restaurants zu rauchen versprachen, erlebte man eine seltene heitere Ambivalenz, über die man herzlich lachen konnte.

 

Wolf Banitzki

 


Hellas München

ein Projekt von Anestis Azas und Prodromos Tsinikoris

Prodromos Tsinikoris und den Münchner BürgerInnen Valantis Beinoglou, Angelos Georgiadis, Aikaterini Softsi

Inszenierung: Prodromos Tsinikoris und Anestis Azas

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