Werkraum Späte Nachbarn nach Isaac B. Singer
Übertragung stockend
Mit den Worten „Zwei Seancen von Alvis Hermanis nach Geschichten von Isaac B. Singer“ kündigen die Münchner Kammerspiele den Abend im Werkraum an. Die Rituale um die Beschwörung von Geistern oder Weisen sind so alt wie die Menschheit. Vom Ahnenkult über religiöse Zeremonien bis zu den spiritistischen Zirkeln in der Neuzeit reicht das Spektrum. Jetzt fand die „Direktübertragung aus dem Jenseits“ den Weg auf die Bühne. Nun, der Verfasser der Geschichten „Späte Liebe“ und „Seance“ verweilt bereits seit 1991 im Elysium, doch seine Erzählungen existieren in gedruckter und gesprochener Form millionenfach im Diesseits. Er beschrieb das Leben seiner jüdischen Mitmenschen, ihre Schicksale durch Vertreibung, Flucht und die Stationen in der Neuen Welt Amerika.
Der lettische Regisseur Alvis Hermanis beschwor den Geist Isaac Bashevis Singers und bat diesen, die Geschichte von Harry Bendiner und seiner Späten Liebe zu Ethel Brokeles erneut durchzugeben. Der Schauspieler André Jung spielte das mit dem toten Schriftsteller verbundene „Medium“. Harry, ein alter Mann lebt in einem geräumigen Appartement in Florida, macht einsame Spaziergänge, isst Cornflakes und beobachtet die Kursbewegungen an der Börse in seiner Bank. Vielfältig stellte Jung Harry vor, korpulent und ungelenkig, schwerfällig und entkräftet schritt und wankte er über die Bühne, seine Bewegungen und sein Habitus waren der eines alten müden Mannes. Dazu sprach er: „Harry, öffnet jeden Morgen die Briefe … Er kauft im Supermarkt Obst, Dosengemüse und Hackfleisch mit Zwiebeln.“ Da die Verbindungen zwischen Medium und Meister erfahrungsgemäß immer wieder unterbrochen werden, erklärt sich, wie die langen Pausen zwischen den Sätzen zustande kamen. Was in einer halben Stunde gelesen, in einer Stunde anschaulich dargestellt werden kann, wurde in einer Stunde und fünfzig Minuten wohl „direkt eingesprochen“. Harry Bendiner, alias André Jung, führte in der Leerzeit mit ausgefeilter Körperarbeit die Beschwerlichkeit und Einsamkeit des Lebens im Alter durch Gestik und Mimik und auch einfaches Ausharren vor dem Fernsehgerät, vor Augen. Die Geduld des Zuschauers wurde dabei auf die Probe gestellt. Doch gespannt saß das Publikum und wartete auf die nächsten Worte. Seance. Sind die „Durchsagen“ tatsächlich derart, dass die Wartezeit von drei bis gelegentlich vier Minuten gerechtfertigt ist? Erst als Barbara Nüsse als Nachbarin Ethel Brokeles, blond jugendlich und in amerikanischem Stil gekleidet vor seiner Türe stand, kam Bewegung in das Bühnengeschehen. Zügig kamen die Beiden einander näher, und sinnbildlich wurde die Mauer zwischen den Appartements abgebaut. (Aufwändiges und geschickt konstruiertes Bühnenbild von Monika Pormale, die auch für die Kostüme verantwortlich zeichnete.) Doch dies geschah nur für kurze Zeit, da das Alter seinen Tribut forderte nach dem Aufflammen kindisch überzogener Verliebtheit. Roswitha Dierck brachte überzeugend als vom Leben gebeugte Nachbarin im Morgenrock die letzten Zeilen.
Mit den Worten „Zwei Seancen von Alvis Hermanis nach Geschichten von Isaac B. Singer“ kündigen die Münchner Kammerspiele den Abend im Werkraum an. Die Rituale um die Beschwörung von Geistern oder Weisen sind so alt wie die Menschheit. Vom Ahnenkult über religiöse Zeremonien bis zu den spiritistischen Zirkeln in der Neuzeit reicht das Spektrum. Jetzt fand die „Direktübertragung aus dem Jenseits“ den Weg auf die Bühne. Nun, der Verfasser der Geschichten „Späte Liebe“ und „Seance“ verweilt bereits seit 1991 im Elysium, doch seine Erzählungen existieren in gedruckter und gesprochener Form millionenfach im Diesseits. Er beschrieb das Leben seiner jüdischen Mitmenschen, ihre Schicksale durch Vertreibung, Flucht und die Stationen in der Neuen Welt Amerika.
Der lettische Regisseur Alvis Hermanis beschwor den Geist Isaac Bashevis Singers und bat diesen, die Geschichte von Harry Bendiner und seiner Späten Liebe zu Ethel Brokeles erneut durchzugeben. Der Schauspieler André Jung spielte das mit dem toten Schriftsteller verbundene „Medium“. Harry, ein alter Mann lebt in einem geräumigen Appartement in Florida, macht einsame Spaziergänge, isst Cornflakes und beobachtet die Kursbewegungen an der Börse in seiner Bank. Vielfältig stellte Jung Harry vor, korpulent und ungelenkig, schwerfällig und entkräftet schritt und wankte er über die Bühne, seine Bewegungen und sein Habitus waren der eines alten müden Mannes. Dazu sprach er: „Harry, öffnet jeden Morgen die Briefe … Er kauft im Supermarkt Obst, Dosengemüse und Hackfleisch mit Zwiebeln.“ Da die Verbindungen zwischen Medium und Meister erfahrungsgemäß immer wieder unterbrochen werden, erklärt sich, wie die langen Pausen zwischen den Sätzen zustande kamen. Was in einer halben Stunde gelesen, in einer Stunde anschaulich dargestellt werden kann, wurde in einer Stunde und fünfzig Minuten wohl „direkt eingesprochen“. Harry Bendiner, alias André Jung, führte in der Leerzeit mit ausgefeilter Körperarbeit die Beschwerlichkeit und Einsamkeit des Lebens im Alter durch Gestik und Mimik und auch einfaches Ausharren vor dem Fernsehgerät, vor Augen. Die Geduld des Zuschauers wurde dabei auf die Probe gestellt. Doch gespannt saß das Publikum und wartete auf die nächsten Worte. Seance. Sind die „Durchsagen“ tatsächlich derart, dass die Wartezeit von drei bis gelegentlich vier Minuten gerechtfertigt ist? Erst als Barbara Nüsse als Nachbarin Ethel Brokeles, blond jugendlich und in amerikanischem Stil gekleidet vor seiner Türe stand, kam Bewegung in das Bühnengeschehen. Zügig kamen die Beiden einander näher, und sinnbildlich wurde die Mauer zwischen den Appartements abgebaut. (Aufwändiges und geschickt konstruiertes Bühnenbild von Monika Pormale, die auch für die Kostüme verantwortlich zeichnete.) Doch dies geschah nur für kurze Zeit, da das Alter seinen Tribut forderte nach dem Aufflammen kindisch überzogener Verliebtheit. Roswitha Dierck brachte überzeugend als vom Leben gebeugte Nachbarin im Morgenrock die letzten Zeilen.
André Jung, Barbara Nüsse © Andreas Pohlmann |
Eine Wand aus edlen Holzschränken erwartete den Zuschauer zu Beginn der zweiten Seance. Tür für Tür wurde von den Bühnenarbeitern geöffnet und der Blick fiel auf das schmale Appartement von Lothe Kopitzky in New York. Buddhas, religiöse Darstellungen und eigene in Trance geschaffene „automatische“ Bilder schmückten die Wände. Lothe Kopitzky hält Seancen, da ihre karge Pension unzureichend ist und sie zudem Dr. Zorach Kalisher unterstützt. Kalisher, Schriftsteller und Philosoph ohne Einkommen trinkt ihren Tee, knabbert ihre Kekse. André Jung zelebrierte dies in skurriler, auf Effekt bedachte Weise, während Barbara Nüsse, dick und mütterlich, zu Trommelklang in Trance verfiel, oder ihn fütterte und von angenässten Hosen befreite. Dazwischen wurde die Geschichte erzählt. Sie handelt von der Flucht aus Polen, der von Kalisher zurückgelassenen Familie und von seiner Geliebten und seinem Leben in Amerika. Die „Direktübertragung“ ging dabei schneller vonstatten, und am Ende stand die „Erscheinung“ seiner Geliebten (wortlos dargestellt von Roswitha Dierck) im Brautkleid. Die Umsetzung auf die Bühne beschwor die Zeit Mitte des letzten Jahrhunderts herauf und bestätigte: Nichts Neues auf Erden!
Wäre es nicht erfüllender, die Geschichten zu lesen und dabei kontinuierlich mit dem feinen jüdischen Witz und der Mischung aus Mystik und rationaler Vernunft die Bilder der eigenen Fantasie zu beleben, statt auf die Schauspieler und das ausgefeilte, doch realitätsnahe Bühnenbild zu schauen und der Worte zu harren? Ein Abend - zwei Seancen, ansehnlich doch ohne Überraschungen und die Beantwortung der Frage „lesen oder ansehen“ blieb auf Grund der realistischen und doch gelegentlich überzeichnenden Gestaltung André Jungs bestenfalls unentschieden.
Wäre es nicht erfüllender, die Geschichten zu lesen und dabei kontinuierlich mit dem feinen jüdischen Witz und der Mischung aus Mystik und rationaler Vernunft die Bilder der eigenen Fantasie zu beleben, statt auf die Schauspieler und das ausgefeilte, doch realitätsnahe Bühnenbild zu schauen und der Worte zu harren? Ein Abend - zwei Seancen, ansehnlich doch ohne Überraschungen und die Beantwortung der Frage „lesen oder ansehen“ blieb auf Grund der realistischen und doch gelegentlich überzeichnenden Gestaltung André Jungs bestenfalls unentschieden.
C.M.Meier
Späte Nachbarn
nach Isaac B. Singer
André Jung, Barbara Nüsse, Roswitha Dierck Regie: Alvis Hermanis |