Werkraum Wunschkonzert von Franz Xaver Kroetz
Eine für Alle. Alle für ...
Es ist das Schweigen, welches das Theaterstück Wunschkonzert trägt. Franz Xaver Kroetz Sittenbild kreist um gepriesene Tugenden wie, Ordnungsliebe und bedingungslosen Gehorsam. Sie stellen die Grundwerte einer Volksgemeinschaft dar und führen durch konsequente Umsetzung seit Jahrhunderten hauptsächlich zu Zerstörung: sei es in Form von Kriegen, Menschen- und Materialschlachten oder in der Jetztzeit durch rückhaltlose Unterwerfung unter den Mammon und dessen Agitatoren. Die Gesellschaft hält dem einzelnen lediglich den Schritt aus solchem Leben, den Selbstmord offen. Kontinuierlich steigt die Zahl der Selbstmorde seit Jahren, doch diese Statistik wird in einer statistikverliebten Gemeinschaft totgeschwiegen.
Die Inszenierung ist folglich von brisanter Aktualität, werden doch an einem Beispiel zunehmende Enge und Unausweichlichkeit vorgeführt. Und ein „.... sich ungefragt einverstanden erklären ...“, wie der Dramatiker es beschreibt, steht am Beginn von menschlicher Not und noch wäre es Zeit genau hinzusehen und aufzustehen, dem Menschen eine Chance zu geben. Doch wie im Theater folgen alle Zuschauer schweigend dem Sterben der Einen, beschränken sich auf den wohlgemeinten Schlussapplaus und gehen erleichtert über die Tatsache, noch einmal davongekommen zu sein, ihrer Wege.
Doch wie lange noch? In den Ritualen des Alltags konnten die Zuschauer sich wiedererkennen. Das Aufhängen des Mantels auf den Kleiderbügel, das Ausziehen der Straßenschuhe und das Leeren der Einkaufstüte sind Vorgänge, wie sie wohl vielen nur allzu bekannt sind. Wiederholen sie diese doch, wenn auch vermutlich weniger akribisch als Frau Rasch, jeden Tag. Doch gerade diese Akribie war es, die in der Inszenierung von David Heiligers den Faktor Kunst ausmachte. Kein Detail, keine Bewegung der Hand, der Augenbraue dem Zufall zu überlassen, forderte höchste Konzentration. Die Konzentration führte unausweichlich auf das, bereits nach wenigen Minuten Spielzeit bekannte Ende hin.
Annette Paulmann © Conny Mirbach |
Die Geschichte stand am Beginn und war in fünf Minuten erzählt. Michael Tregor las, in sachlich emotionslosem Tonfall und somit durchaus mit amtlicher Stimme, die Rekonstruktion des letzten Abends von Frau Rasch. Die Verkäuferin war nach der Arbeit nach Hause gekommen, hatte sich der Kleidung entledigt, Abendbrot eingenommen und nach Reinigungsritualen ins Bett gelegt, gepeinigt von Lockenwicklern, welche ein entspanntes Einschlafen verhinderten. So war die Frau erneut aufgestanden um eine Tablette einzunehmen, doch sie nahm alle in der Packung verbliebenen, somit 9 Stück, welche sie zuvor paarweise aufgelegt hatte und anschließend mit einem Piccolo Sekt hinunterschluckte. Dann wartete sie, mit einem Funken Interesse, auf den Tod. Frau Rasch kehrte während des Vortrags dem Publikum den Rücken zu, saß regungslos in ihrem Zimmer. Nachdem der Bericht geendet hatte, kam Bewegung in die Frau. Langsam und bedächtig vollzog Annette Paulmann die zuvor beschriebenen Handlungen. Gefaßt, oder war es einfach nur müde, hängte sie den Mantel beiseite, faltete sie das Tuch, prüfte sie die Jacke ihres blauen Kostümes und entfernte den Fleck am Ärmel, polierte sie das glänzende Namensschild. Es war eine ausgezeichnete schauspielerische Darstellung, die Annette Paulmann bot. Hinter amtlich genehmigter, ordentlicher Miene verbarg sie Verzweiflung und Trostlosigkeit, welche nur für flüchtige Momente, dafür aber umso deutlicher hervortraten. Das Unspektakuläre eines normalen Alltages erstand und gipfelte in der Betrachtung eines Reiseprospektes, der ebenso wie andere Werbepost letztlich im Müll landete. Bildlich gesprochen „ins kalte Wasser geworfen“, blieb der Frau nur der einzige Ausweg, aus dieser Art von Leben.
Es ist eine kleine Welt! Die Bühne (Teresa Vergho) nahm ein weißer Würfel ein, das Zimmer von Frau Rasch. Gleich einem Miniappartment enthielt es stilisiert und pastellfarben Schlafraum, Küche und Bad auf wenigen Quadratmetern. An zwei Seiten gaben Fenster den Blick ins Innere frei, auf die weißen Flächen wurde geschickt über Videoprojektion aus dem Inneren übertragen. Kein Handgriff, keine Sekunde der Emotionen konnte verborgen bleiben.
Es gehört heute Mut dazu auf Effekte, Tricks und Scheinprovokationen auf der Bühne zu verzichten und das unterhaltungsverwöhnte Publikum mit permanent zelebriertem Realismus zu konfrontieren, in Spannung zu halten. Eine Spannung, die bis zum Ende trug und nur an wenigen Stellen durch Lachen kurz Erleichterung zuließ. Was man oberflächlich betrachtet dem Stück als Länge ankreiden könnte, erzeugte doch letztlich jene Kraft, welche die Situation kippen ließ und das Ende überhaupt erst glaubhaft ermöglichte. Und so wurde deutlich, ohne tatsächlich gepielt worden zu sein: Zu präsent ist die Problematik, die seit der Entstehung des Stückes 1971 unverhätnismäßig zunimmt.
Doch wer hat den Mut einer Wahrheit ins Auge zu schauen, die auch ihn einholen könnte? Niemand ist davor gefeit. Es sei dazu an die „Schwarzen Freitage“ der Jahre 1869, 1873, 1927, 1929, 1931 … erinnert und daran, wie schnell sich Träume wie monetäre Blasen in Luft auflösen und jederman im kalten Wasser landen kann.
C.M.Meier
Wunschkonzert
von Franz Xaver Kroetz
Annette Paulmann Regie: David Heiligers |