Werkraum Susn von Herbert Achternbusch
Achternbusch pur
Achternbusch erzählt dieses Leben in vier Akten, beginnend mit der 17jährigen Schülerin. Sie beschließt, aus der Kirche auszutreten. Interessant an dieser Susn ist nicht die Tatsache, dass sie die unübersehbare Bigotterie und Lüge erkennt, sondern dass sie unfähig ist, sich damit einzurichten. Religion ist bei ihren Mitmenschen keine fundamentale Weltanschauung mehr, sondern lediglich eine "Kopfhaltung". Man schert sich nicht um die Anachronismen. Das ist Susn jedoch versagt.
Zehn Jahre später studiert Susn. Immer noch ist sie allein, denn ihr Geist ist zu kritisch, ihr Wesen zu begehrlich. Die Sprache wird ihr Mentor, lehrt sie, die Welt zu reflektieren und zu erschaffen. Allein, sie lehrt sie nicht, ihre Begehrlichkeiten zum eigenen Vorteil zu artikulieren oder gar zu kontrollieren. Die permanente Reibung hat sie wund gemacht. Dennoch, bis hier besteht noch Hoffnung.
Wieder zehn Jahre später lebt Susn mit einem Schriftsteller zusammen. Von Zusammenleben kann eigentlich gar keine Rede sein, denn der Schriftsteller kommuniziert nur noch mit dem Papier. Er ist nicht mehr ansprechbar von seiner Frau, die bis zum Bersten angefüllt ist mit Lebenshunger. Sie hegt allerdings den Verdacht, dass ihr Lebenshunger, der ihm selbst abhanden gekommen ist, seine Inspiration ausmacht. Es ist kein Leben mehr, es ist Folter.
Nach weiteren zehn Jahren hat sich der Lebenskreis von Susn geschlossen. Sie ist verstummt. Einzig mit Gott hält sie noch Zwiesprache. Es hört ihr sonst niemand mehr zu. Aber sie hat noch ihre Sprache, oder zumindest die Erinnerung daran. Mit einem verschmitzten Lächeln orakelt sie, dass sie vielleicht doch eine ganz brauchbare Lehrerin hätte werden können. Doch nun ist es zu spät. Die Senilität hat bereits Besitz von ihr ergriffen.
© Arno Declair / Brigitte Hobmeier, Bernd Moss |
Thomas Ostermeier hatte bereits kurz nach der Neueröffnung der Münchner Kammerspiele einen klaren Beweis erbracht, dass ihm diese lebensnahen und aufrührerischen Texte liegen. Die Inszenierung von Marie-Luise Fleißers "Der starke Stamm" versetzte das Münchner Publikum 2002 in Begeisterung. "Susn" wurde jetzt sogar euphorisch gefeiert. Und das mit Recht.
Auf einer kargen Bühne von Nina Wetzel, bestehend aus einer Projektionswand, zwei Tischen, einer Toilettenschüssel und einem stilisierten Altar, gab es wenig Realismus. Alles war Versatz. Über die Projektionswand flimmerten triste Bilder einer herbstlich ländlichen Gegend, die sich auch mal in surreale Bilder von gleicher Tristesse, jedoch mit Palmen, wandelten.
Davor agierten Brigitte Hobmeier und Bernd Moss. Eigentlich agierte nur Brigitte Hobmeier, denn alle vier Akte waren Monologe. Einzig im ersten ergriff Bernd Moss als Geistlicher das Wort, um Susn die Beichte abzunehmen. In den folgenden Akten blieb er nur gestischer und mimischer Stichwortgeber. Es war eine brillante Lösung, denn so hatte Brigitte Hobmeier immer einen Ansprechpartner, der in seiner stummen Reflexion die Figur der Susn um ein Vielfaches verstärkte.
Die Besetzung der Susn schien zwingend gewesen zu sein, denn kaum eine Schauspielerin der Münchner Kammerspiele bringt so viel bayerische Genetik mit. Und so erlebten die Zuschauer eine an den Kammerspielen gereifte Brigitte Hobmeier, die mit großer physischer Präsenz und Stimmgewalt eine Figur erschuf, die in einer Stunde und zwanzig Minuten vierzig Lebensjahre glaubhaft durchlitt. Die kompromisslose Wahrhaftigkeit Herbert Achternbuschs wurde in diesem Schauspiel Fleisch.
Selten gelang es einem Regisseur, einen Text von Achternbusch so tief auszuloten. Der Abend war bestürzend, desillusionierend und dennoch überaus suggestiv und unterhaltsam, kurz gesagt: Achternbusch pur.
Susn
von Herbert Achternbusch
Brigitte Hobmeier, Bernd Moss
Regie: Thomas Ostermeier