Werkraum Bulbus von Anja Hilling


 

 

 

Seltsam lebloses Spiel mit Perspektiven

"Die Geschichten sind gut. Alles drin. Vertrauen Idealismus Verrat Mut. Angst und Schuld. Die ganz großen Themen. Was brauchst du noch. Die Willkür der Handlung. Die Verkettung der Umstände. Blitz und Donner. Die Gemeinsamkeit der Hauptfiguren. Also auch Liebe. Später. Viel später."

Es sind beziehungsreiche Geschichten, die Manuel an die Oberfläche kitzelt in Bulbus, einem aus der Zeit und scheinbar auch aus der Welt gefallenen Dorf. Es gibt nicht einmal eine Busverbindung. Dennoch kommen zwei Neuankömmlinge mit dem Bus, der vom Griechen Markidis, aus welchen Gründen auch immer, noch einmal in Gang gesetzt wurde. Amalthea, die nackt und frierend in Albert Ross' unbewohnte Pension einkehrt, ist die ausgesetzte Tochter von Jutta Schratz, die in Bulbus einen kleinen Laden betreibt. Die Tochter kommt, einem Traum folgend, nach 24 Jahren in das Dorf Bulbus. Albert Ross ist zum Verweilen am Ort gezwungen. Er wurde vom Mord an einem Richter freigesprochen, da die Kronzeugen es vorzogen, in den Tod zu gehen, als den Mitgenossen eines linken Zirkels, eben jenen Albert Ross zu denunzieren. Beide, ein Ehepaar ließ einen gerade fünfjährigen Sohn zurück, Manuel. Der taucht in Bulbus auf, stellt Fragen und schwört Amalthea Liebe. Unter Druck gerät die Polizistin Rosa, denn sie wartet sein fast einem Viertel Jahrhundert auf das Ablaufen der Verjährungsfrist. Sie liebt Albert Ross. Der stirbt jedoch kurz vor der Zielgeraden und Rose schafft ihn in die eisigen Berge, wo beide vereint ihr Grab finden. ...

 

 

Lena Lauzemis, Edmund Telgenkämper, Gundi Ellert, Jean-Pierre Cornu, Jochen Noch, Annette Paulmann

© Arno Declair

 

Autorin Anja Hilling, auf Münchens Bühnen inzwischen permanent präsent, wollte einen dörflichen Krimi schreiben. Sie kennt die Dörflichkeit nicht, hegt aber eine tiefe Zuneigung, denn der kommunikative Charakter, jeder weiß über jeden Bescheid, reizt sie. Heraus kam eine Geschichte, deren konstruierte Künstlichkeit den Betrachter geradezu anspringt. Man möchte meinen, die Lehrsätze aus dem Studium des Szenischen Schreibens hindurchschimmern zu sehen. Der Effekt: Das Bühnenwerk berührt nicht, ist als intelligentes Konstrukt bestenfalls konsumierbar.

Es ist schwer, den Text überhaupt einzuordnen. Genauer betrachtet schaut es wie ein Szenarium aus, denn viele Vorgänge sind reflexiv, werden in epischer Breite erzählt. Der Dialog, das Hauptmerkmal eines Theaterstückes geschieht gelegentlich und treibt die Geschichte nicht sonderlich an. Die Plots liegen in den epischen Parts, die von den Dialogen dramatisch kommentiert werden. Die unbestritten begabte Autorin scheint eines als Künstlerin noch nicht verinnerlicht zu haben, Kunst beschreibt keine Gefühle (Siehe Programmheft - Interview), sondern sollte diese zielgerichtet beim Betrachter erzeugen. Alles andere ist platter Realismus.

Regisseurin Christiane Pohle folgte den Fährten Anja Hillings nicht nur, sie setzt diese konsequent bildhaft in Szene. Die Darsteller saßen räumlich voneinander getrennt in gläsernen Kästen, die von Eisblumen zuzuwachsen drohten. (Bühne: Annette Kurz) Sie kommunizierten ausschließlich über Telefon. Die Enge ihrer Käfige, die selbstgewählte oder -verschuldete Gefangenschaft beschreibend, ermöglichte den Darstellern kaum körperliches Spiel. Edmund Telgenkämper gab einen ungeduldigen, die Enge kaum ertragenden jungen Mann, der von der Sehnsucht nach Amalthea getrieben war. Doch diese reagierte nicht auf ihn, weil sie zumeist schlief. Lena Lauzemis trat folglich kaum in Erscheinung. Die übrigen vier Figuren waren zumindest mit mehr Subtext ausgestattet. Gundi Ellerts Jutta Schratz war eine getriebene, die eigene Vergangenheit nicht ertragende Frau, verbittert und grantig. Jean Pierre Cornu spielte den alten Markidis, einen lustvollen Denunzianten, der immer wieder nach dem Teppich griff, unter dem die Leichen schlummerten. Jochen Noch gab der Kurzatmigkeit seines Albert Ross den Vorzug. Gelegentliches Aufflackern waren die letzten Versuche, dem unweigerlichen Ende die Stirn zu bieten. Am aufregendsten gestaltete Annette Paulman die Polizistin Rosa. Sie überzeugte, obgleich ihre Rolle eine tragische war, mit einer eigenwilligen Komik.

Es war ein Spiel mit Perspektiven. Das war auch erklärtes Ziel der Autorin. Darum wurde der Text mit anatomischen Begriffen das menschliche Auge betreffend aufgeladen. Dennoch blieb es ein gespieltes Laborkonzept ohne literarische Nachhaltigkeit. Die 70 Minuten fühlten sich leider deutlich länger an. Das lag vornehmlich daran, dass weder die Geschichte noch die Personen, trotz engagiertem Spiel sehr guter Darsteller, glaubhaft waren. Wie auch, handelt es sich doch um Geschichten und Personen aus zweiter Hand. Alles war inspiriert von vier Kriminalromanen von Alfred Komarek, der kunstvoll und sehr authentisch über das österreichische Weinviertel und seine Bewohner schrieb. Komarek weiß, worüber er schreibt; Anja Hilling glaubt zu wissen ... Bei allem Bemühen bleiben ihre Sätze seltsam leblos.
 

Wolf Banitzki

 

 


Bulbus

von Anja Hilling

Lena Lauzemis, Edmund Telgenkämper, Gundi Ellert, Jean-Pierre Cornu, Jochen Noch, Annette Paulmann

Regie: Christiane Pohle
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