Werkraum Lass mich dein Leben leben! von Jörg Albrecht


 

 

 

Das Leben als B-Movie

Zwei Stücke von Jörg Albrecht (Jahrgang 1981) an zwei unterschiedlichen Handlungsorten wurden am 20. März zur Uraufführung gebracht. Das erste Drama, "Aus dem Bild", spielte in einem Filmstudio, in dem sich sechs Filmleute und Schauspieler für ein Wochenende zusammengefunden hatten, um einen Low-Budged-Horrormovie abzudrehen. Inhalt: Es ist ein Ort des Drecks, wie der Regisseur meint, Dreck wird produziert, Dreck ist die Aufnahmetechnik, die den Darsteller bis auf das Letzte entblößt und im Dreck sielt man sich. Der Plot ist schnell zusammengeschustert. Eine Horde von Zombies bedroht eine Stadt. Die zwei Protagonisten haben nur noch die Möglichkeit, mit einem Helikopter zu entkommen. Auf dem Weg zum Fluchtgefährt wird gemetzelt. Doch dann geschieht etwas Unvorhersehbares. Die Aufnahmetechnik wendet sich gegen alle Beteiligten und killt diese. "Bleib immer im Schatten der Kamera!" Die Aufnahmetechnik wird zur Tötungsmaschine.

Das zweite Drama ereignet sich in einem Kino namens Grindhouse (wörtlich: Schund und Schmuddelkino). Auch hier werden B-Movies produziert. Die Darsteller sind die Besucher des Kinos. Auch sie werden gekillt, auf der Toilette oder im Zuschauerraum. Michael Myers geht um, ein Kinokiller mit einer Maske, wortlos und anonym. Medien überwachen Medien, ungesteuert wie es scheint. Der Horror nebst Tod als der letzte Kick, Deutschland erfuhr ihn gerade wieder in Gestalt eines 17jährigen in Winnenden, der mit Schusswaffen in seiner ehemaligen Schule 15 Menschen erschoss.

Inspiriert wurde der Autor Jörg Albrecht durch einen skandalösen Vorgang in einer New Yorker psychiatrischen Klinik, in der eine zwangseingewiesene Patientin nach vierundzwanzig Stunden im Wartesaal verstarb. Niemand hatte sich um sie gekümmert, obwohl Überwachungskameras den Prozess des Sterbens minutiös aufzeichneten. Das aus diesem Vorgang resultierende Urteil des Autors: Dirty control.
 

Tabea Bettin, Oliver Mallison, Sebastian Weber, René Dumont, Tanja Schleiff, Lasse Myhr
Musiker: Murena

© Andreas Pohlmann

 

Jörg Albrecht formuliert einen wütenden Aufschrei gegen einen omipräsenten Big Brother, der reale Raume in fiktionale verwandelt, der mit seiner Überwachungsmaschinerie Räume schafft, in denen sich das Individuum verliert. Albrecht tut dies allerdings nicht aus der Perspektive der Draufsicht, sondern als Beteiligter. Mehr noch, er erklärt jeden Menschen zum Mitspieler. Ein Plot in den Geschichten interessiert ihn, wie im Interview im Programmheft nachzulesen ist, weniger, der wird höchstens als Ordnungsprinzip herangezogen. Vielmehr will der Autor reflektieren, um eine Katharsis einzuläuten. Das selbe Argument könnten wohl auch die etwas helleren Counter-Strike-Spieler für ihre Rechtfertigung heranziehen. Eines ist Autor und Regisseur immerhin gelungen, eine dürftige Überhöhung der Realität. Die Mittel, die dafür herhalten mussten, waren vornehmlich filmische: "Ich finde interessant, Elemente zu benutzen, die eigentlich in das andere Medium gehören und zu gucken, wie ich diese im Theater irgendwie gebrauchen kann." Könnte das ein Ausrede sein, weil man die Mittel des Theaters einfach nicht mehr beherrscht?

Regisseur Roger Vontobel (Jahrgang 1977), er studierte Schauspiel an der American Academy of Dramatic Arts in New York und Pasadena, inszenierte die Stücke als das, was sie sind, Trash. Das garantierte einen furiosen Abend, mit großartigem schauspielerischen Engagement. Ein Coca-Cola-Automat und ein paar fahrbare Drehsessel und eine Projektionsfläche (Kino), die auch zur Monitorwand (Überwachungszentrale) erweitert werden konnte, reichten Bühnenbildnerin Claudia Rohner. Zu Recht, denn die Akteure entfesselten darin raumgreifend und körperbetont einen rauschhaften Film- oder Tötungsbetrieb. Keiner der DarstellerInnen zügelte den expressiven Spieltrieb. Es war unbestritten ein fulminanter Reigen, von harten Beats und Riffs angeheizt (Musik: Errol Dizdar und Murena).

Um Exploitation geht es letztendlich und da wird auch schon mal Marx zitiert, der angeblich empfahl, die Exploiteure zu exploitieren. Ob es ein Witz sein sollte, bleibt fraglich, denn Marx empfahl, die Expropriateure zu expropriieren und das ist etwas völlig anderes. Wer glaubt, er könne das Theater am Ende mit tiefer gehenden Einsichten (außer über die in Trashkunst) verlassen, der irrt. Der Autor und auch die Inszenierung von Vontobel haben nichts anzubieten. Die Ratlosigkeit bekommt am Ende durch Tabea Bettins Judith eine Stimme, die da sinngemäß fragt: Wenn alles fotografiert ist, wenn jeder den anderen gefilmt hat, ist das dann Freiheit? Nun, die Katharsis, die sich mehr oder weniger beim Zuschauer einstellt, lässt den Betrachter die Arme in die Höhe reißen und "Nein!" sagen. Und ...?

Über die essenzielle Inhaltslosigkeit des Stückes wird dem Zuschauer jedoch hinweggeholfen mittels eines wahren Feuerwerks von Pointen. Es sind Pointen, wie man sie aus amerikanischen Comedy-Serien kennt. Es werden dabei kaum Situationen belacht, sondern Menschen, selbst Menschen in höchster Not. Es sei an die inspiratorische Quelle für die Stücke erinnert, an den Tod eines Menschen. Wenn Lachen das letzte Mittel ist, die Realitäten auszuhalten, dann sollte langsam damit begonnen werden, die Realitäten zu ändern. Ein Hinweis, wie man das angehen könnte, ist in der Aufführung im Werkraum der Münchner Kammerspiele nicht zu entdecken. Vielmehr wird der nüchterne Betrachter einen selbstverliebten Umgang mit dem entdecken, was eigentlich am Pranger steht. Ein Kabarettist bemerkte unlängst, er verstünde die Bemühungen des Innenministers gar nicht recht, wo doch die meisten jungen Menschen in hemmungslosem Exhibitionismus jede Moment ihres Lebens in Foren wie YouTube öffentlich machen. Sartre bemerkte seinerzeit, die größte Freiheit liege in der Verweigerung, im Widerstand.

Wolf Banitzki

 

 

 


Lass mich dein Leben leben!

von Jörg Albrecht

 

Tabea Bettin, René Dumont, Oliver Mallison, Lasse Myhr, Tanja Schleiff, Sebastian Weber
Musiker: Murena, Errol Dizdar

Regie: Roger Vontobel