Komödie am Max II Gelähmte Schwingen / Erster Klasse von Ludwig Thoma


 

 

 
Ueberhaupts

‚Wenn sie euch loben, lernt ihr es auswendig, wenn nicht, sind sie bösartige Zeitungsschmierer.' So widerspricht Benno Summerer, Metzgermeister, sinngemäß seiner Ehefrau, die dem dichtenden Schwiegersohn beispringt, der gerade eine vernichtende Kritik eingefahren hat. Zu unmodern sei das Stück gewesen und das Publikum hatte diese Kritik mit Pfeifen auf Haustürschlüsseln und Fingern unterstrichen.

Genug des Kultursponserings, meint Summerer, und fordert Antwort von Otto Haselwanter, "... wann sich die sogenannte Dichtkunst amal selber auszahlt". Der Albtraum eines jeden Künstlers bricht über den Dichter Haselwanter herein. Das kleinbürgerliche Publikum schwingt sich zum Scharfrichter auf und fordert endlich einmal "gute Kunst". Summerer: "I bin so frei und red' ... weil i aa so frei bin und zahl' ... "

Dabei hat sich Haselwanter immer als Volksdichter, als Stimme des Bürgers verstanden:
"Alle haben nicht den gleichen Geschmack, und ich ... nicht wahr, ich wende mich an das bürgerliche Element unserer Nation ... weil ich hier Gemüt und Herz suche ..."
Wie konnten sie (das Volk) nur so fehlgeleitet werden mit dem Wort "Moderne"? In seiner Verzweifelung greift er auf das eigene, gerade ausgepfiffene Werk zurück und liest ... Und wie er liest! Die kleine Gemeinde zerfließt gemeinschaftlich in Mitleid und unter Tränen um den irrtümlich erschossenen Buben, der, wie sollte das Schicksal geringer agieren, von der Hand des eigenen Vaters fiel.

In dieser Schlüsselszene weist Thoma der Regie an: `Haselwanter liest mit steigendem Pathos' und 'Mit starker Betonung weiterlesend' ... Markus Völlenklee tut alles andere. Erschöpft und genervt liest er zum Teil fast tonlos und monoton die Geschichte von der Fischer Nanni und dem Grafen, der das gemeinsame Kind gemeuchelt hat. Was der Zuschauer da zu sehen bekommt, ist große Gestaltungskunst. Sie ist so groß, dass der Zuschauer im Parkett ebenso ergriffen lauscht, wie die Familie Summerer nebst Köchin. Der Vortrag hat beinahe etwas Diabolisches und erzielt eine überwältigende Wirkung.
 
Man trocknet sich die Tränen und befindet: "Laßt's eahm sei dichterische Ada!" Die Rührung ist so allgemein, dass niemand dem Bekenntnis widersprechen kann, das Haselwanter mit Herzblut ausstößt: "Warum soll ich mich ändern? Soll ich diese beste Wirkung auf die naiv Empfindenden verlieren? Und mich selber dazu?"

Schön, weil kurzweilig und von exzellenten Mimen wie Heide Ackermann und Josef Thalmaier als Elternpaar Summerer gestaltet. Barbara de Koy gibt die gute Gattin, die zwar wenig versteht, aber uneingeschränkt hinter ihrem Mann steht: "Es san halt geistige Sacha." Selbst die Köchin Babett ist vom Genie des dichtenden Hausherrn überzeugt und Sonja Bastian lässt keinen Zweifel an einer großen schwärmerischen Liebe.

Gut ... Oder nicht gut? Ein Stachel stellt sich auf. Ist eine Komödie einzig für Kurzweil gemacht? Oder sollte sie doch eine Moral vermitteln. Und welche wäre es in diesem Fall? Wird in diesem Stück etwa alles Moderne nachhaltig als nur modisch denunziert? Sind gar die "naiv Empfindenden" Garanten für Wahrhaftigkeit? Warum hat das Publikum das Werk Haselwanters ausgepfiffen? Waren sie alle nur Claqueure oder doch kritisch? Regisseur Peter Bernhard, der die Stückfassung unter Einbezug der Erzählung "Der Umgewendete Dichter" bearbeitet hatte, bleibt in seinen Antworten indifferent. Er inszenierte mit sicherer Hand für komische Effekte und nutzte das Potential der Darsteller, um eine kurzweilige Vorstellung zu liefern.

Woher kam dann letztlich dieses Unbehagen beim Zuschauen? Vielleicht, weil Marcus Völlenklee mit schier "übermenschlicher" Kraft eine (Thoma'sche) Geschichte erzählte, die aus dem Arsenal der "Blut-und Boden-Dichtung" stammt. Die Familie Summerer - sie repräsentiert die Summe aller Kleinbürger - wird mit dieser Geschichte ebenso eingelullt wie Millionen "naiv Empfindende" vor ca. 75 Jahren. Diese Fragen wären Regisseur Peter Bernhardt erspart geblieben, wenn er sich deutlicher verhalten hätte zu Kleinbürgertum und seinen Anmaßungen und zu dichterischem Möchtegerngenie und seinen Masken.

Aus der Luft gegriffen, meint da jemand? Nicht angesichts der peinlichen Enthüllungen über Thomas Antisemitismus ... Da sage Einer, eine Komödie sei unverfänglich. Mitnichten, wenn man nur hinschaut.

Wolf Banitzki
 

Nosef Thalmaier, Michael Schernthaner, Sonja Bastian, Markus Schmädicke, Gerhard Wittmann, Markus Völlenklee

 

 

Des Bayerischen (der bayerischen Sprache) einigermaßen mächtig sollte man schon sein, wenn man in das Eilzugsabteil "Erster Klasse" einsteigt. Und ein wenig Bayerisch spricht er, der Neuruppiner Kaufmann Stüve, der im Gepäck den Katalog mit den neumodischen Futtermitteln seiner Firma hat. Er kennt die Bauern, weiß um die preußisch-bayerischen Probleme und ist unterwegs Richtung Minken (München) um ein großes Geschäft abzuschließen. Das jedenfalls erzählt er dem Ministerialrat von Scheibler, einem Unterfranken, der eigentlich nur in Ruhe seine Zeitung lesen will. Auch das turtelnde Paar derer von Kleewitz hat wenig Interesse an seinen Ausführungen. Erst als ein Ochse verladen und anschließend der Ökonom Josef Filser einsteigt, wird es richtig "griabig (urgemütlich)" im Abteil. Als dann noch der "Schpezi (Freund) Sylvester Gsottmaier dazukommt gibt es kein Halten mehr, da hagelt es deftige Worte. "Woaß da Deifi (Weiß der Teufel)", sie sind Ausdruck für Volksbefinden und gehören, - gehörten als solche zum Alltag des Landes.

Früher, früher jedenfalls in der Zeit von Ludwig Thoma um 1910, als das Stück entstand, war es jedenfalls so. Heute, heute sind echte Bayern und Ihre Sprache Raritäten. Sie können in München fast nur noch im Theater gefunden werden, wie beispielsweise das Bayerische Urgestein Markus Völlenklee, seines Zeichens Schauspieler, Bayerischer Schauspieler. Wenn er mit "Hadalump (Gauner)" bezeichnet loslegte und es "haglbuachan (ungeschliffen)" weiterging, dann war das echt, echt und zudem noch gute Darstellungskunst. Da musste der Kaufmann Stüve, markant gezeichnet von Michael Schernthaner, schon das eine oder andere "ausdeutschen", damit es bei Mitreisenden und Publikum ankam. Doch die sachkundige Kondukteurin, Heide Ackermann, ließ sich durch allfällige Turbulenzen nicht beirren, sie beherrschte ihr Metier "Sacklzementnoamoi (Ersatzfluch)" "sauguad (ausgezeichnet)".

Thoma, der stets dem Volk "aufs Maul geschaut" hatte, verstand es mit Humor, Bosheit und Satire gewürzte Einakter aus dem Alltag zu Papier zu bringen. Scheinmoral, Spießbürgerlichkeit und Obrigkeitshörigkeit waren seine Würzmittel. Und ganz so weit weg sind die Themen auch heute noch nicht … Die gelungene klassische Inszenierung, in der das Stück mit dem "Briefenwexel des Josef Filser" angereichert war, und das originalgetreue Bühnenbild vermitteln, zur erleichternden Erheiterung, dennoch ausreichend Nostalgiegefühl.
 
 
C.M.Meier

 

 


Gelähmte Schwingen / Erster Klasse

von Ludwig Thoma

Markus Völlenklee, Josef Thalmaier, Heide Ackermann, Barbara de Koy, Gerhard Wittmann, Michael Schernthaner, Sonja Bastian, Markus Schmädicke

Regie: Peter Bernhardt
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