Theater im Marstall Die Kriegsberichterstatterin von Theresia Walser
Homo homini lupus
Herr Fütterer (Gerd Anthoff), Leiter eines marginalen Institutes für Sprachthesaurierung, veranstaltet zum Herbstbeginn sein alljährliches Betriebsfest im heimischen Garten. Das Ritual gipfelt in der Auszeichnung besonders herausragender Mitarbeiter, die jedoch im darauf folgenden Jahr fatalerweise nicht mehr unter den Lebenden weilen. Das könnte einen tieferen Sinn in der Tatsache haben, dass der Institutsleiter als solcher längst überfällig ist. Sein Habitus, er sieht sich in geradezu göttlicher Mission, lässt jedoch überdeutlich erkennen, dass er zum Abtreten nicht bereit ist, selbst wenn er diesen Schritt immer wieder ankündigt.
Im Bühnenbild von Stefan Hageneier, bestehend aus einem Brechtvorhang und einem nichts näher definierenden Garten, entwickeln die Institutsmitarbeiter ein Spiel aus Falschheit, Lüge, hemmungsloser Arschkriecherei und letztlich auch Terror. Alle aber eint die Angst um den Verlust ihres so fragwürdig gewordenen Jobs, denn das selbstverliebte und inzwischen pathologische Züge tragende Treiben des Direktors hat die Unternehmung selbst in Frage gestellt.
Dieses von Theresia Walser so sinnfällig gewählte Vehikel zur Spiegelung eines Gesellschaftsmodells hält alle Fenster offen für den geneigten (gesellschaftskritischen) Zuschauer. Die Autorin schuf zudem ein breit gefächertes Spektrum von Figuren, das wenig Realitätsbezug ausspart. Iris Schwerdtfeger (Ulrike Arnold) erzählte die kleinbürgerliche Variante der im Büro alternden ungeliebten Firmensoldatin. Marcus Calvins Mückenmüller war der magensäurespukende Möchtegern mit Anspruch, den er nicht erfüllen kann, was er mit besonderer Windschlüpfrigkeit zu kompensieren versuchte. Nebenher pflegt er eine Liaison mit Frau Fütterer, die von der Institutsarbeit keine Ahnung hat, sich aber, wie die letzte Szene zeigt, auf die Erbfolge verlassen kann. Die obligatorischen Verlierer im Räderwerk waren Peter Albers von Verdauungsproblemen geplagter Herr Sommer und die Allergikerin Olga, gespielt von Lisa Wagner. Eva Schuckhardt gab die Figur der Frau Kanopke mit einem Rest von natürlichem Oppositionsgeist, der damit begründet wird, dass sie bereits als Taxifahrerin gearbeitet hat, soziale Abgründe kennt und sich vor ihnen nicht fürchtet. Mittendrin die neudeutsche Erwerbung Herr Jossi. In der Rolle des Ex-Stasimitarbeiters brillierte Michel Tregor.
Michael Tregor, Eva Schuckardt, Peter Albers, Ulrike Arnold, Gerd Anthoff, Beatrix Doderer © Thomas Dashuber |
Was als Episches Theater vor dem Brechtvorhang begann, ließ Regisseur Florian Boesch als Aristotelisches Theater, nämlich in der großen Katharsis enden. Selten sah man in letzter Zeit auf Münchener Bühnen eine so entlarvende Sicht auf das aktuelle gesellschaftliche Dilemma und offensichtlich gehört schon wieder Mut dazu, die Dinge so deutlich zu benennen, wie die Verhinderung der Uraufführung des Stücks am Stadttheater Konstanz beweist.
Theresia Walser hat Mut bewiesen und mehr als das, denn ihre Analyse der gesellschaftlichen Zustände beweist neben ihrem dramatischen Talent und ihrer künstlerischen Intelligenz auch eine gesunde Weltanschauung, die uns verrät, dass bei aller Kultiviertheit, mit der wir uns so gerne schmücken, der Mensch noch immer des Menschen Wolf ist. Was höchst komisch begann und alle beteiligten Schauspielern zu exzellenten komödiantischen Leistungen trieb, endete als blutige Einsicht hinter alle Kulissen des heutigen Daseins. Auch wenn die Autorin keinen Ausweg anbietet, so entlässt sie und unzweifelhaft auch die Inszenierung im Marstall den Zuschauer mit der Gewissheit, dass der kommenden Katastrophe Einhalt geboten werden muss. Mehr noch, sie stellt diese Gesellschaft in ihrem heutigen Gewand deutlich in Frage. Zu dieser Leistung kann man der Autorin und den Machern der Inszenierung nur gratulieren.
Die Kriegsberichterstatterin
von Theresia Walser
Ulrike Arnold, Gerd Anthoff, Beatrix Doderer, Lisa Wagner, Marcus Calvin, Anna Riedl, Eva Schuckardt, Michael Tregor, Peter Albers, Christine Schönfeld Regie: Florian Boesch |