Marstall Leere Stadt von Dejan Dukovski


 

 
Menschlichkeit zwischen den Fronten

„Hast du Zigaretten?“ Wie oft in der Geschichte der Menschheit, die gleichsam eine Geschichte von Kriegen ist, war diese Geste des gemeinsamen Rauchens der erste Akt der Versöhnung. Im ersten Weltkrieg tauschten die verfeindeten Soldaten, wenn sie zur Verbrüderung aus ihren Gräben gestiegen waren, Tabak, rauchten, schwiegen, denn selten sprach man die Sprache des anderen, und fühlten sich sicher für die Länge einer Zigarette. Auch in „Leere Stadt“ von Dejan Dukovski war das Rauchen die erste Geste der Verbrüderung. Allerdings brauchten sich Gjore und Gjero nicht verbrüdern. Sie sind Brüder, haben die selbe Mutter und die gleiche Vergangenheit.

Gjore hatte ohne Ankündigung die Stadt verlassen und war nach New York gegangen, um sein Glück zu finden. Erfüllt hatte sich für ihn nichts und irgendwann holte ein Krieg den heimatlos gewordenen Streuner ein. Er wurde rekrutiert und ins Feld geschickt. In einer leeren Stadt, einer Pufferzone zwischen den Fronten, wurde er von einem feindlichen Soldaten gefangen genommen. Der feindliche Soldat war Gjero, sein Bruder. Hier beginnt die Handlung des Stückes. Die Lage für Beide ist aussichtslos; keiner will in Gefangenschaft und so sind Beide nach den Gesetzen des Krieges Todgeweihte. Es bleiben ihnen nur wenige Stunden bis zum Beginn der Schlacht. Es ist die letzte Chance auf Leben und so ziehen Beide los, kleiden sich nobel ein, essen Kaviar zu gutem Champagner, spielen im Casino um Unsummen Roulette und landen schließlich im Bordell, wo ihnen in Ermangelung von Frauen nur die Masturbation bleibt. Am Ende kommt illusionslos, was kommen muss, der Tod.

Dejan Dukovski hat ein Stück über keinen konkreten Krieg geschrieben, ebenso wenig über zwei konkrete Menschen. Es ist ein philosophisches Stück, das auf Grund vager Erzählungen, durchwoben von Lügen auch schon mal in Mythische, ins Illusionäre, ins Sehnsuchtsvoll-Idealistische abgleitet. Es ist ein Stück über die Absurdität aller Kriege in einer Zeit, in der frischgebackene Friedensnobelpreisträger gute Gründe für Kriege finden. Wenn das kein Anachronismus ist, was dann? Und es knüpft an den Mythos vom Brudermord an, der im Stück nicht - und doch stattfindet, wenn man großzügig denkt und den Nachbarn als Bruder betrachtet. Das theatralische Moment ersteht in der konkreten Handlung auf, wenn sich Gjore und Gjero in Julia und Ophelia verwandeln, zwei todgeweihte Schwestern im dramatischen Sinn. Alles ist vage und dennoch wahr, denn: „So kann es gewesen sein.“

 
  leerestadt  
  Felix Klare, Marcus Calvin

© Thomas Dashuber

 

 

Matthias Schaller gestaltete die Bühne im Marstall zu einem Ort der Leblosigkeit, hügelig, mit feinem dunklen Split auf dem Boden. Sie weist kein Grün auf, statt dessen eine Eskaladierwand, ähnlich einem Klettergerüst. Der Ort gleicht einer Kaserne, eingezäunt von unüberwindbarem Maschendraht. Die Welt als Kaserne, was ohne Frage nicht aus der Luft gegriffen ist. In der Mitte eine Drehscheibe, die das Leben zu einem Roulettspiel macht.

Alexander Nerlich inszenierte schnörkellos, durchaus in der Ästhetik heutiger, zumeist kriegsverherrlichender Blockbuster (weil sie den Krieg als legitimes Mittel anerkennen oder als gegeben akzeptieren). Bei Regisseur Nerlich wurde der Krieg im Bewusstsein der beiden Protagonisten reflektiert, aber nie ästhetisiert, was ein wirkliche Tugend der Inszenierung war. Auch wenn die Situation von Anbeginn ausweglos erschien, spielte die Menschlichkeit (zwischen den Fronten des Krieges) in vielen Facetten die Hauptrolle. Dazu gehörten auch Drogenkonsum, Besitzlust und sexuelle Gier. Letztere ist wohl auf sinnfällige Weise das finale Gefühl, denn es heißt Abschiednehmen von der einzigen Aufgabe, die jedem Wesen von der Natur auferlegt wurde: Erhaltung der Art.

Der Ton war nicht selten rüde und das F-Wort fiel häufig. Aber es handelte sich um eine Ausnahmesituation, die den Menschen zwangsläufig auf sein Wesen, auf seine Basisgefühlswelt reduziert. Dennoch gelang es den Darstellern immer wieder an etwas zu erinnern, das über Jahrtausende gewachsen ist und das Krieg in wenigen Momenten auslöscht: Kultur. Unterschwellig spielte sie ihre gewichtige Rolle im Erinnern an Kindheit, die Heimat, die Mutter und die Geliebte mit. Marcus Calvin (Gjore) und Felix Klare (Gjero) gestalteten physisch aufwendig und aktionsgeladen. Ihre dargestellte Jugendlichkeit (in manchen Momenten auch Kindlichkeit) verdüsterte die Vision zunehmend, denn den Zuschauern wurde der gewaltsame Tod von menschlichem Leben in Aussicht gestellt, das noch nicht einmal im Zenit gestanden hatte. Beide Darsteller wechselten mühelos den Habitus zwischen Brutalität und zwingender Menschlichkeit. Marcus Calvin gelangen als Gjore in diesem apokalyptischen Treiben sogar komische Momente. Er hatte die Figur des (vermutlich) älteren Bruders ein wenig tumb angelegt. Gelegentlich konnte man ihm beim Denken zuschauen, was die Figur fassbarer machte und den fiktional-philosophischen Ansatz des Dramas authentischer werden ließ.

Werbung dient in erster Linie dem Verkauf und erlaubt sich gelegentlich Abweichungen von der Wahrheit. Das Residenz Theater bewarb diese Inszenierung unter anderem mit der Aussage: „Die Brüder Gjore und Gjero krallen sich in den Himmel, bevor sie fliegen oder stürzen – in die Hölle, ins Paradies, ins Nichts.“ Dieser Satz ist absolut zutreffend.

Dennoch gibt es einen winzigen Wermutstropfen in der Inszenierung. Nachdem im Stück die Schlacht getobt hatte, beiden eng aneinandergeschmiegt tot auf der Bühne lagen, wurde im Hintergrund eine Videoprojektion eingespielt, die das Hinübergleiten der Brüder ins Jenseits zeigte. Völlig nackt begaben sie sich Hand in Hand unter sphärischen Klängen und Farben ins Nichts. Dieser Abgang war eigentlich nur formvollendet schön und stand im krassen Gegensatz zur vorherigen Handlung. Das letzte Bild redete ganz beträchtlich den allgegenwärtigen Tröstern das Wort, die uns Glauben machen wollen, dass dort, wohin wir letztlich gehen werden, alles Schöner ist. Eben dieses letzte Bild entschärfte die Botschaft des brandaktuellen Stückes und der gelungenen Inszenierung ein wenig.

 
Wolf Banitzki

 

 


Leere Stadt

von Dejan Dukovski

Marcus Calvin, Felix Klare

Regie: Alexander Nerlich