Marstall Wir kommen gut klar mit uns von Dorota Maslowska


 

 

Cineasie – Die Erlösung

Die junge Schriftstellerin Dorota Maslowska (Jahrgang 1983) macht den Unterschied deutlich zwischen jungen deutschen TheaterautorInnen, deren Saturiertheit (vornehmlich geistige) häufig nur Befindlichkeiten zu Tage fördern, und denen, die aus Ländern wie Polen oder Rumänien kommen. Mit „Wir kommen gut klar mit uns“ konfrontiert sie den Theaterbesucher in Deutschland mit dessen eigener eingeschränkter Sichtweise, die zumeist ein mediales Produkt ist. Heraus kommen Verstörung, Irritation und ein emotionales Mauern. „Was hat das mit uns zu tun?“, fragte sich wohl mancher Besucher der Vorstellung im Marstall. Mehr, als man gemeinhin wahrhaben möchte!

Wir Deutschen klopfen uns selbstgerecht auf die Schultern, weil wir in einer globalen Welt Exportweltmeister sind. Doch wollen wir nichts darüber wissen, woher das Geld kommt, mit dem der indische Mittelständler seine deutsche Nobelkarosse bezahlt. Es ist eine unumstößliche Tatsache, dass wir wieder Kolonialherren sind. Doch schützt uns das ach so segensreiche neoliberale System vor der moralischen Verantwortung. Und dann haben wir ja noch unsere einheimischen Handlanger vor Ort, die die Drecksarbeit für uns erledigen. Das und noch viel mehr sagt uns die junge Polin Dorota Maslowska mit ihrem aggressiven und emotional quälenden Stück über drei Frauen, die im Müll leben und darum nicht leben und die sich selbst als Müll begreifen.

Der Ekelfaktor ist hoch, obgleich deutlich auszumachen ist, dass es der Autorin nicht explizit darum ging. Das beweist nicht zuletzt ihre künstlerische Brechung, die in der logisch anmutenden Negation aller Vorgänge besteht, die letztlich sogar in der radikalen Infragestellung der Protagonistinnen gipfelt. Und um dem Ganzen die Zipfelmütze aufzusetzen, ist alles nur ein Film, der den schwachsinnigen Titel „Ein Pferd reitet“ trägt.

Den drei Frauen ist eine gemeinsame Grundhaltung eigen, die da lautet: „Ich lebe nicht! Nichts ist für mich!“ Das Erschreckende daran ist, dass ihre Realität ihnen gar keinen anderen Schluss anbietet. „Nicht Für Sie“, ist der Titel einer Reklamezeitung aus einem deutschen Verlagshaus, in dem die Frauen lesen können, was sie nicht kaufen, was sie nicht genießen, was sie nicht tun können. Und man hat sich eingerichtet damit, schwärmt darüber, wohin man nicht in den Urlauf fährt und zieht sich in das nichtexistierende eigene Zimmer zurück. Wirklich verrückt daran ist, dass dieser Lebensentwurf logisch ist und funktioniert, ja, sogar angenommen wird von denen, die ihn leben – oder besser, nicht leben.

Dorota Maslowska scheut sich dabei nicht, Namen und Hausnummern zu nennen von denen, die von diesem Elend profitieren. Dabei büßt das Stück keineswegs seine künstlerische Qualität oder seine Poetik ein. Vielmehr bekommen Namen wie Knorr oder Ikea einen Symbolcharakter, den man, das muss man sich einmal vergegenwärtigen, tatsächlich auf der ganzen Welt versteht. Und an dieser Stelle wird der Wahnsinn augenfällig, dass die menschliche Existenz längst aufgehört hat und die Existenz des Konsumenten begann. Der Konsumismus ist die erste Religion, die weltumspannend Besitz vom menschlichen Geist ergriffen hat. Der letzte Gott vor Moses (inzwischen der Lächerlichkeit preisgegebenen) Verkündigung feiert seine Reinkarnation: Das goldene Kalb. Das Wort Wahnsinn bekommt eine neue Bedeutung, denn der Sinn, der dem Wahn nach Wohlstand nachhängt, ist motivationsfördernd. Das wird jeder Coach, Guru, Heilsbringer - die Apologeten des neuen Glaubens - bestätigen. Der Glaube kann Berge versetzen, selbst wenn es nur Müllberge sind.

Inmitten dieses Müllbergs, zu dem Bühnenbildnerin Magdalena Gut die Spielfläche des Marstalls gestaltet hatte, thronte eine Frau, die scheinbar aus der Welt gefallen war. Jennifer Minetti, als „Trübselige Alte“ agierend, war die Keimzelle der „Arme-Frauen-Dynastie“. Für sie war die Zeit stehen geblieben, als deutsche Bomber im Zweiten Weltkrieg ihr Land, ihr Polen, in Asche verwandelten. Diese Asche verstreute sie immer wieder aufs Neue. Doch diese Asche düngt nicht in der postsozialistischen Gesellschaft. Sie bereitet nur Atemnot. Und plötzlich, als wäre sie aus einem Jahrhunderte währenden Alptraum erwacht, verkündete sie grotesk: „Ich bin keine Feministin“. Dieser nüchterne Satz verwandelte das sehr realistisch anmutende Elend in eine menschliche Tragödie. Für ihre Tochter Halina gibt es keine Hoffnung. Ulrika Arnold spielte sie Verzeihung heischend, als wäre ihr ihre eigene Existenz eine Schuld. Darin traf sie sich im Geist mit der Freundin Božena, „fett wie ein Schwein“ und stets darauf bedacht, nicht das Blickfeld der anderen Menschen zu verstellen. Franziska Rieck gab die Rolle clownesk und schuf ein erbarmungswürdiges Wesen. Einzig „Das kleine Metall-Mädchen“, Enkelin der „Trübseligen Alten im Rollstuhl“ könnte als Hoffnungsträger fungieren. Doch auch sie war gefangen in dem schicksalhaften Teufelkreis ohne erkennbare Chance. Grit Paulussen agierte aggressiv und fordernd, jedoch keinesfalls lieblos als Punk. Nebenbei, die Punks waren die letzten Aufbegehrer und Infragesteller, bevor die weitestgehend sinnfreie Massenkultur alle Poren der Gesellschaft besetzte.
 
  wirkommengut  
 

Thomas Gräßle

© Thomas Dashuber

 
 
In dieses Gruppenbild aus Frauen fiel plötzlich ein Filmemacher ein. Thomas Gräßle präsentierte sich mit erstaunlicher Präsenz und zwingender Agilität als der Schöpfer von „Ein Pferd reitet“. Darin ritt er über den Parcours des Elends der „Kleinen Leute“. Die Welt mochte das Elend der armen Sklaven unter den Bedingungen des „Realsozialismus“, ihr seelenrührender Kampf ums Überleben. In der inhaltlichen Überzeichnung kam allerdings zutage, dass Elend einen Unterhaltungswert hat, insbesondere für den, der es nicht kennt. „Slumdog Millonär“ lässt grüßen. Der Film „Ein Pferd reitet“ heimste alle Preise ein, die es gibt. Es folgten Reichtum, Drogensucht, geistige Impotenz und Talkshowauftritte. Ulrike Arnold moderierte mit dümmlichem Gesicht, spitze Lustschreie ausstoßend bei allen denkbaren und nicht denkbaren Banalitäten. Doch die Sache hat einen Haken. Der Film wurde nie produziert; nichts von alledem hat stattgefunden. Also schrieb der Regisseur weiter und schuf spätestens in der dritten Fassung ansehnliche (ZDF-taugliche) Helden. Der fetten Božena wurde ein neues Leben geschenkt. Als Monika entstieg Franziska Rieck dem Geburtsort und der Fettleibigkeit Boženas und wurde zu einer makellosen Barbie, die als rein künstliches Produkt über die Laufstege dieser Welt stolzierte.

In einer Welt, die nicht errettbar ist, gibt es gottlob immer eine cineastische Erlösung.
Am Ende, in der x-ten  Fassung schlich sich jedoch ein böser Gedanke ein. Was, wenn die trübselige Alte bei dem Bombardement, von dem sie immer wieder faselte, getötet worden wäre?

Regisseurin Tina Lanik gelang mit dieser Inszenierung ein wirklich herausragender Wurf. Fast könnte man meinen, das Stück wäre für sie geschrieben. Die bissige Intelligenz des Textes, die Kompromisslosigkeit der Betrachtung, die nüchterne Poesie und das Fazit fand uneingeschränkten Widerhall in der szenischen Umsetzung. Frau Lanik verschenkte keinen Satz, kontrapunktierte präzise und schuf Brüche, die immer wieder überraschten. In ihr hatte die Vorlage von Dorota Maslowska eine Meisterin gefunden.

Es war ein fordernder und attackierender Theaterabend, doch wer offenen Geistes schaute, musste erkennen, dass es nicht zum Guten steht in dieser Welt. Die latente Bedrohlichkeit konnte den aufrütteln, der bereit war, sich aufrütteln zu lassen. Damit leisteten das Stück und die Inszenierung, was Kunst leisten sollte, auch wenn hier die ästhetische Kategorie des Schönen außen vorblieb. Wer den Mut hat, der wahren Realität, nicht der cineastischen ins Antlitz zu schauen, der sollte sich diese Möglichkeit nicht entgehen lassen.


Wolf Banitzki
 
 

DEA Wir kommen gut klar mit uns

von Dorota Maslowska

Deutsch von Olaf Kühl

Ulrike Arnold, Jennifer Minetti, Grit Paulussen, Franziska Rieck, Thomas Gräßle

Regie: Tina Lanik