Marstall UA Wer sich traut, reisst die Kälte vom Pferd nach Alexander Kluge


 

 

Prosaisch

Im Spiegel der Grammatik, welche das Feld der Sprache und der Erkenntnisse strukturiert und doch das Wesentliche nicht zu erfassen in der Lage ist, wurde ein grundlegendes Problem dargestellt. Denn seit Kant, hat sich nur wenig verändert. Und so kann die Grammatik neben einer ordnenden Funktion auch als eine gefährliche Waffe dienen. Sie ist nach Alexander Kluge die einzige Waffe, über die das Bewusstsein verfügt. Doch da Waffen, ausgenommen die Zeit der Aufklärung, immer zum Kampf genutzt werden, steht an jedem Ende fest: „Ich werde gewesen sein.“

Über die Geschichte von vier Kriegsveteranen, die dem Kessel von Stalingrad entfliehen konnten, sich in China den gegenrevolutionären Kuomintang anschließen und nach dem Sieg Maos sich nach Hongkong absetzen, wird im Zeitraffer auf die zweite Hälfte des letzten Jahrhunderts geblickt. Die Vier stranden anschließend in den Diensten des CIA, wo sie Karriere machen. Zwar wechseln die Männer wiederholt Seiten und Orte, doch das System „Gewalt und Krieg“ begleiten sie, sei es in Kampfhandlungen, sei es im sogenannten Kalten Krieg und so verlassen sie nach einem Atomschlag 2012 die Erde, um sich im Jahre 2103 nochmals mit ihrer Geschichte auseinander zu setzen.

„Ich werde gewesen sein.“ Dieser Regress, dieser exzessiv betriebene Rückschluss auf die Vergangenheit, auf sich selbst und sein Verhalten führt automatisch zu Paranoia. Die Geschichtsbetrachtung in Deutschland, die weit über das gesunde Maß hinaus, seit 60 Jahren über das 3. Reich betrieben wird, führt unausweichlich zur Wiederholung ebendieser Verhaltensweisen und richtet sich in dem Fall gegen sich selbst - als Volk zwischen den Mitmenschen, zwischen den Generationen, zwischen den Geschlechtern. Die Vermeidung von Vergangenheit eignet sich nicht zur Gestaltung von Zukunft. Des Veteranen Ungern-Sternberg Kostüm nahm direkt darauf Bezug – zwei Beine die vorwärts trugen und zwei Beine die gleichzeitig rückwärts gerichtet waren, verdeutlichten den Kreis der sich hier schließt. Zudem veranschaulichte die Maske, dass die Kreatur sich noch nicht mal aufgerichtet hat, trug er doch auch an den Händen Schuhe, lief symbolisch auf allen Vieren. Sein Kampfgefährte Boltzmann wurde ganz zeitgemäß von einer Frau gegeben, und hätte diese nicht ein feines stützendes Korsett getragen, so wäre sie als solche kaum zu erkennen gewesen.

Der Schwarze Krieg findet auf dem Papier statt. Gesetze, Vorschriften und Repressionen und Berge von Papier, die längst alle Lebendigkeit und Entfaltungsmöglichkeit in ihrer Flut erstickt haben, unterdrücken die letzten Lebensimpulse. „Die Erde ist gewaltig schön, doch sicher ist sie nicht ...“  und wird es auch durch die vielen schwarzen Zeichen nicht. Die verbliebenen Menschen fliehen zu den Sternen, in die Träume.

Die Retter sollen diesmal aus China kommen. Doch ist man bereit, sich dem Chinesischen System und seiner Sprache ebenso unterzuordnen, ihm nachzufolgen, wie man es nach dem 2. Weltkrieg dem Amerikanischen gegenüber tat? China verfolgt ein System welches das Ende jeglicher Mitmenschlichkeit vorstellt und den expliziten Ausdruck von militanter Hierarchie und eingebildetem Pragmatismus, sowie gelebter Emotionslosigkeit nach außen verkörpert. Die Fremdheit allein der chinesischen Sprache (die Übersetzung kam auf dem Laufband im Hintergrund), mit der die Chinesin Hong Mei die Zuschauer als Parteigenossen ansprach, machte dies deutlich fühlbar. Daran änderte auch das strahlende puppenhafte Lächeln nichts.

Kälte, bildhaft einer der apokalyptischen Reiter, ist eine Qualität innerhalb des Spektrums von  Aggregatzuständen, die bei oder nach der Überhitzung eines Gegenpols entgegensteht. Finden sich doch im All unzählige Beispiele dafür, umgibt doch eisige Kühle die strahlenden Feuer. Die Spaltung der verbundenen Kräfte im Menschen, ein atomarer Vorgang, in ein mentales und ein emotionales Feld, führt zur Freisetzung von potentieller Energie, welche extreme Ergebnisse hervorruft. Der Mensch, von seiner Natur abgeschnitten und in eine ideologische Systemhörigkeit gepresst, die Umsetzung einer Absicht auf generalisierte Weise fordert, verbrennt oder dient, trivial ausgedrückt als Brennstoff. Es bleibt egal, auf welcher Seite er dabei steht und welchem ideologischen Konzept gefolgt wird. Je heißer und konsequenter der Kampf ums Überleben geführt wird, umso kälter und rücksichtsloser reagiert der Einzelne. Diese wissenschaftliche Erkenntnisse in anschauliche Bilder zu fassen, ist ein redliches Anliegen.

Die Aufführung war Beispiel für die Schwierigkeit, intellektuellen Text als Bühnenstück umzusetzen oder kann vielmehr als eine Anstrengung, prosaische Beschreibungen bildhaft erfahrbar zu machen, gesehen werden. Die Fülle der Erkenntnisse – „... so viel gehört, doch es kam bei mir nicht an ...“  - wirkte übermächtig. Doch tatsächlich nachhaltig beeindruckten die Bilder auf der Bühne - das Bühnenbild (Christoph Ebener), die Kostüme (Petra Winterer) und die konsequente Gestaltung, ebenso wie die darstellende Umsetzung der Figuren. Regisseur Kevin Rittberger zeichnete in der Bearbeitung und der Umsetzung klare erkennbare Vorgänge.  
Ulrike Willenbacher brillierte als Boltzmann, geschlechtsunspezifisch, wie mechanisch gesteuert, ja fast roboterhaft, agierte sie zwischen den Männern. Ein bekanntes Verhalten, welches über viele Lehrgänge antrainiert wird. Da war der Umgang mit Dorfmann (freundlich vermittelnd Felix Klare) erheblich einfacher, es reichte, den Chip an seinem Hinterkopf zu aktivieren, um Antwort oder Beteiligung zu erhalten. Miguel Abrantes Ostrowski gab den ambitionierten von Ungern-Sternberg mit außergewöhnlicher Präsenz und ließ so in verschiedenen Situationen Enthusiasmus von der Bühne leuchten. Zwicki, in Tarnkleidung die ebenso gut ein haariges Fell hätte sein können, richtete seine Äußerungen reaktiv nach den Umständen. Er wurde, sich stets opportun anpassend gespielt von Sierk Radzei. Ein Nomade zog seine Spur über die Bühne, durch das Spiel. Er bewegte sich verhalten still am Rande, bewegte sich im unendlichen Feld der Erkenntnisse. Gelegentlich brachte er wissenschaftliche Beobachtungen hervor, über die Tierwelt, über gesellschaftliche Vorgänge, über das Bewusstsein. Robert Niemann schritt langsam über die Empore, erklomm die Leiter zur umfassenden Äußerung. Seine Maske war erschreckend lebensnahe und doch deutlich Maske (Nicole Purcell/Leonhard Putzgruber). Der Focus blieb in den Theaterbildern auf das die Handlungen steuernde Gefühl gerichtet. Allein aus diesen Aspekten kann die Inszenierung als absolut gelungen betrachtet werden. Hält sie zudem der Gesellschaft den Spiegel der Selbstbestätigung in einem Vergrößerungsglas vor.
 
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Ulrike Willenbacher, Sierk Radzei, Felix Klare, Miguel Abrantes Ostrowski, Hong Mei

© Thomas Dashuber

 

Regisseur Kevin Rittberger setzte leider diese bekannten Bilder um, beließ die Lösungen im Text. So stellt beispielsweise der Winterschlaf, die Wachheit ohne Sorge, jene natürliche Überlebensform dar, die das Weiterleben unter extremen Bedingungen ermöglicht. Begäbe sich die Menschheit in eine Art Winterschlaf - die Reduktion der Tätigkeiten auf das, die unmittelbare Existenz sichernde Minimum – so würden die Kräfte und Rohstoffe noch für viele Generationen ausreichen. Da diese Einsicht keine Umsetzung in visuelle Bilder fand, so verging sie als kurzer Klang im Raum.

Ebenso wurde das Urvertrauen angesprochen, welches dem Tiefschlaf des Geistes folgt, und dieses gilt es zu erfahren. Aber ist es nicht gerade jenes Urvertrauen, welches zutiefst der Natur entspringt, das die zerstörenden und erneuernden Kräfte lenkt? Es mündete in die angesprochenen drei möglichen Bilder aller Zirkusnummern, die jemals zur Darstellung kamen und sich im Schlussbild manifestierten.

 

Das Fatale an der Inszenierung: Sie beließ Antworten in kurzen Textpassagen, zeigte nur Bestätigungen, oder sind etwa die Bestätigungen die Antwort? Damit spräche man aber dem Menschen jegliche Entwicklungsfähigkeit ab und das weigere ich mich anzunehmen. Vielmehr wäre zu hoffen, dass Erkenntnis, in dieser Zeit der schwarzen Zeichen, den Blick wieder frei werden lässt. „Die Erde ist gewaltig schön, doch sicher ist sie nicht ...“

Die Aufführung sei jenen Menschen empfohlen, die in Auseinandersetzung und deutlichen Bildern Anregung suchen. Jenen, die „Die Kälte vom Pferd in dieser Zeit“ zu reißen Willens sind,  was einfach bedeuten könnte, denen noch Selbstvertrauen und die Fähigkeit zu Leben innewohnt, die Schlüsse zu Konsequenzen führen, und die diese Einsichten, wenn auch in kleinen persönlichen Schritten, umsetzen, Spuren zu hinterlassen. „Ich werde gewesen sein.“

 

 

 

C.M.Meier

 

 


UA Wer sich traut, reisst die Kälte vom Pferd
oder Wie lässt sich eine Verhängniserzählung beenden?

nach Alexander Kluge / Bearbeitung Kevin Rittberger

Miguel Abrantes Ostrowski, Felix Klare, Sierk Radzei, Ulrike Willenbacher, Robert Niemann, Hong Mei

Regie: Kevin Rittberger