Marstall Der Geldkomplex von Jürgen Kuttner und Suse Wächter
(No) Money makes the world go round
Nein, man erfährt nichts aufregendes über das Wesen des Geldes, sondern nur einiges über das Wesen Geld: „Ich bin tatsächlich dahingekommen, das Geld als ein persönliches Wesen aufzufassen, zu dem man eine ausgesprochene und in meinem Falle eine qualvolle Beziehung hat.“ Franziska Gräfin zu Reventlow (1871 bis 1918), lebenslang dem Mangel an Geld ausgeliefert, trieb den Gedanken an selbiges in ihrem Briefroman Geldkomplex (Roman, meinen Gläubigern zugeeignet, 1916) auf die Spitze.
In einer (fiktiven) Begegnung mit Sigmund Freud rät dieser ihr, sich in das Sanatorium des Freundes Prof. X einweisen zu lassen, wo er, Freud, sie zu therapieren gedenkt, denn sie leidet an einem „Geldkomplex“. Bald schon stellt sich heraus, dass der überwiegende Teil der Insassen ebenfalls an einem „Geldkomplex“ leiden. Lukas beispielsweise ist Nationalökonom. Er hat seinen Beruf zur Obsession gemacht und ist eifrig darum bemüht, das Geld, welches die Gräfin nicht hat, zu schützen und zu mehren. Henry war Leiter eines Goldminenprojektes in Südafrika. Auch er hat einen Geldkomplex, denn er hat kein Geld. Dafür hat er hochfliegende Pläne und die unerschütterliche Gewissheit, dass seine Projekte eines Tages von Erfolg gekrönt sein werden. Bis dahin ist er ebenso vom Geld besessen, wie alle anderen.
Das Wunderbare und zugleich Unglaubliche an der ganzen Geschichte ist, dass sie in Grundzügen autobiografisch ist. Franziska Gräfin zu Reventlow berichtete einer gewissen Maria in der ersten Person vermittels 25 Briefen. Der Leser des Buches und auch der Zuschauer im Marstall erfährt von einer Scheinehe, die Franziska auf Anraten des Dichters Erich Mühsam mit dem baltische Baron Alexander von Rechenberg-Linten einging. Dem Baron, ein bizarrer Lebemann und Alkoholiker, der sich, in Italien lebend, seiner Waschfrau zugewandt hat, drohte die Enteignung. Er ging diesen Schritt, um im Testament des Vaters, der permanent die Schulden des Juniors bezahlte, als Erbe zu verbleiben. Alle Hoffnungen der Gräfin, die mit ihrem Geldkomplex im Sanatorium saß, zielten auf das zu erwartende Erbe. Zwar war Franziska nie Insassin eines psychiatrischen (oder psychoanalytischen) Sanatoriums und auch nie Patientin von Sigmund Freud, doch die auf der Bühne des Marstalls erzählte Geschichte ist in allen wesentlichen Geschehnissen authentisch.
Franziska könnte heute als eine der großen Vorkämpferinnen der Emanzipation gelten, wenn ihre Ziele ideologischer und nicht individueller Natur gewesen wären. In ihrem Essay „Viragines oder Hetären?“ (1899) ging sie unmissverständlich auf Abstand zur damaligen Frauenbewegung. Sie forderte zwar das Recht auf Selbstbestimmung, meinte aber die „volle geschlechtliche Freiheit“ und verfolgte damit die sexuelle Emanzipation. Von Gleichstellung der Geschlechter hielt sie hingegen gar nichts, denn „eine Vermännlichung der Frauen ließe die Erotik verkümmern“. (Hört! Hört!) „Bei mir steht und fällt alles mit dem Erotischen“, schreibt sie. Ihr Ideal: Die Hetäre. „Warum sollte das moderne Heidentum uns nicht auch ein modernes Hetärentum bringen? Ich meine, den Frauen den Mut zur freien Liebe vor aller Welt wiedergeben? [...] Die Hetären des Altertums waren freie, hochgebildete und geachtete Frauen.“ Sexuell lebte sich die wunderschöne, fragile Frau hemmungslos aus. Erich Mühsam vollführte immerhin den Kotau vor ihr, denn sie war für ihn „die wertvollste Frau, die (er) kannte“.
Inzwischen bestehen die Nachrichten in deutschen Medien fast ausschließlich aus dem Thema Geld, wohlgemerkt Geld, das nicht da ist, also Schulden. Zum Stück: Geld, Geld, Geld. Dabei ist es eines der langweiligsten Themen überhaupt. Und nun versprach auch noch ein Theaterstück Erbauliches zum Thema. Das war nur die halbe Wahrheit, denn das Thema hieß „Geldkomplex“, und das ist ein durchaus interessantes, insbesondere, wenn man den Patienten dabei zuschauen konnte, wie sie sich seelisch auf das Freudschen Sofa erleichterten. Es lag nahe, dass das Sofa einen zentraler Dreh- und Angelpunkt der Ausstattung bilden würde. Bühnenbildnerin Kati Seibert hatte gleich eine ganze Kaskade von Sofas in fünf Etagen auf die Bühne gebracht, als könne man die Gipfel der Psychoanalyse wie einen Berg besteigen.
Arthur Klemt, Katharina Pichler, Carolin Conrad, Jürgen Kuttner © Thomas Dashuber |
Carolin Conrad und Katharina Pichler teilten sich die Rolle der geldkomplexbeladenen Gräfin. Sie spielten kapriziös-weiblich die extravaganten Haltungen der vom Geld und seinen Verheißungen besessenen Bohemien, die nicht als Künstlerin, sondern als legendäre „Gräfin von Schwabing“ und Lebenskünstlerin in die Geschichte einging. Regisseur Jürgen Kuttner, der zugleich die Rolle des Henry übernahm, verlangte den Darstellern sowohl physisch als auch sprachlich einiges ab. Da wurde auch schon mal ein Bergringrennen auf den Sofakaskaden veranstaltet, um ein Telgramm zu erhaschen. Dann wiederum sinnierte man in lasziven oder gelangweilten Posen, um wenig später erneut auf- und niederzusteigen, wie Wetterfrösche, die auf seelischen Druck reagieren. Die tragende männliche Rolle oblag Arthur Klemt als Lukas, der auch den Miterben, also den versoffenen und spleenigen Ehemann Alexander, spielte. Klemt gab einen ökonomisch Rechtschaffenden oder Vernünftigen, was an sich schon komisch ist, denn inzwischen müsste auch der Letzte begriffen haben, dass Ökonomie (ohne Alternative) und Rechtschaffenheit oder gar Vernunft Anachronismen sind und das Eine das Andere ausschließt. Klemt verlieh dem bürgerlichen Buchhalter mit ökonomischer Bildung und Sockenhaltern glaubhaft Ausdruck. Ihn sollte man sich vor Augen halten, wenn die Gazetten berichten, dass die europäischen Staatschefs in ihren Ämtern von Bankern abgelöst werden.
Es war ein über die Maßen schwungvolles und komisches Spiel, in dem Musikeinlagen und Videoprojektionen nicht fehlten. Die Darsteller vermochten das Publikum mit engagiertem, lustvollem und ausdrucksstarkem Spiel zu fesseln, das Thema tat es darüber hinaus. Das wirkliche Highlight des Abends waren allerdings die Auftritte von Suse Wächter und Peter Lutz mit den Puppen Franziska, Siegmund Freud und Tod. Das grandiose und faszinierende Spiel mit den Puppen zeigte, wozu Theater fähig sein kann. Hinzu kam, dass Suse Wächter zu jeder Figur einen besonders trefflichen Sprachduktus der ihre Auftritte unvergesslich für den Betrachter macht. Das war ganz große Magie! Unbedingt sehenswert!
Jürgen Kuttner gelang eine hochartifizielle, komplexe, ästhetisch und inhaltlich geschlossene Inszenierung, die für die Zuschauer wahrhaft „gewinnbringend“ war. Beinahe erreichten es Kuttner und seinen Mitstreitern, den Glauben in das Geld zu erschüttern. Aber nur fast, denn Theater ist Theater und schon beim Verlassen der Institution wehte einen an der Kasse der Tiefgarage der neoliberale Wind ins Gesicht, der da wisperte: „Das ist gar nicht komisch! Denk daran, wie du deine Miete zahlen willst!“. Das bedeutet aber dennoch nicht, wie mancher Banker glauben machen möchten, dass das Geld ein Gott ist und die Wege dieses Gottes unergründlich sind. („Das Kapital“ von Karl Marx kann da Abhilfe schaffen. Man kann es verstehen; es wurde für Arbeiter und Handwerker geschrieben.)
Wie heißt es so schön im ungeschriebenen Handbuch des Neoliberalismus? „Jede Pleite ist eine Chance!“ So verstand es wohl auch Franziska Gräfin zu Reventlow: „Unser Dasein steht hier natürlich im Zeichen des Bankrotts, und auch das hat seinen Charme.“ Das hieß allerdings nicht, die Ärmel aufzukrempeln und arbeitsam anzupacken. Wozu auch, die heutige Politik, insbesondere die deutsche, handelt da ganz im Sinne der Gräfin: „Die ganze Atmosphäre hat eine kapitalistische Note bekommen, die ungemein wohltuend ist. Unsere Popularität ist ins Ungeheure gestiegen, wir gelten zum mindesten für Millionäre, weil wir unsere Verluste mit Würde tragen, und haben schrankenlosen Kredit. So läßt sich's ganz gut leben.“ Von wegen Angst vor Schulden: No Money makes the world go round!
Doch während das Kapital nur ein scheues Reh ist, hatte die Gräfin das Herz einer Löwin. Ihr Motto lautet zeitlebens: „Ich will überhaupt lauter Unmögliches, aber lieber will ich das wollen, als mich im Möglichen schön zurechtlegen.“
Wolf Banitzki
Es war ein über die Maßen schwungvolles und komisches Spiel, in dem Musikeinlagen und Videoprojektionen nicht fehlten. Die Darsteller vermochten das Publikum mit engagiertem, lustvollem und ausdrucksstarkem Spiel zu fesseln, das Thema tat es darüber hinaus. Das wirkliche Highlight des Abends waren allerdings die Auftritte von Suse Wächter und Peter Lutz mit den Puppen Franziska, Siegmund Freud und Tod. Das grandiose und faszinierende Spiel mit den Puppen zeigte, wozu Theater fähig sein kann. Hinzu kam, dass Suse Wächter zu jeder Figur einen besonders trefflichen Sprachduktus der ihre Auftritte unvergesslich für den Betrachter macht. Das war ganz große Magie! Unbedingt sehenswert!
Jürgen Kuttner gelang eine hochartifizielle, komplexe, ästhetisch und inhaltlich geschlossene Inszenierung, die für die Zuschauer wahrhaft „gewinnbringend“ war. Beinahe erreichten es Kuttner und seinen Mitstreitern, den Glauben in das Geld zu erschüttern. Aber nur fast, denn Theater ist Theater und schon beim Verlassen der Institution wehte einen an der Kasse der Tiefgarage der neoliberale Wind ins Gesicht, der da wisperte: „Das ist gar nicht komisch! Denk daran, wie du deine Miete zahlen willst!“. Das bedeutet aber dennoch nicht, wie mancher Banker glauben machen möchten, dass das Geld ein Gott ist und die Wege dieses Gottes unergründlich sind. („Das Kapital“ von Karl Marx kann da Abhilfe schaffen. Man kann es verstehen; es wurde für Arbeiter und Handwerker geschrieben.)
Wie heißt es so schön im ungeschriebenen Handbuch des Neoliberalismus? „Jede Pleite ist eine Chance!“ So verstand es wohl auch Franziska Gräfin zu Reventlow: „Unser Dasein steht hier natürlich im Zeichen des Bankrotts, und auch das hat seinen Charme.“ Das hieß allerdings nicht, die Ärmel aufzukrempeln und arbeitsam anzupacken. Wozu auch, die heutige Politik, insbesondere die deutsche, handelt da ganz im Sinne der Gräfin: „Die ganze Atmosphäre hat eine kapitalistische Note bekommen, die ungemein wohltuend ist. Unsere Popularität ist ins Ungeheure gestiegen, wir gelten zum mindesten für Millionäre, weil wir unsere Verluste mit Würde tragen, und haben schrankenlosen Kredit. So läßt sich's ganz gut leben.“ Von wegen Angst vor Schulden: No Money makes the world go round!
Doch während das Kapital nur ein scheues Reh ist, hatte die Gräfin das Herz einer Löwin. Ihr Motto lautet zeitlebens: „Ich will überhaupt lauter Unmögliches, aber lieber will ich das wollen, als mich im Möglichen schön zurechtlegen.“
Wolf Banitzki
Der Geldkomplex
von Jürgen Kuttner und Suse Wächter
Carolin Conrad, Arthur Klemt, Jürgen Kuttner, Peter Lutz, Katharina Pichler, Suse Wächter Regie: Jürgen Kuttner |