Theater im Marstall Ich, Feuerbach von Tankred Dorst


 

 

Glanz und Elend eines Mimen

Der Schauspieler Feuerbach ist zu einem Vorsprechen erschienen. Es wäre normalerweise nicht seine Art, denn er ist ein gestandener Mime. Da er jedoch in den letzten fünf Jahren nicht auf der Bühne spielte, macht es ihm weiter nichts aus, sein Können zu demonstrieren. Er möchte den Monolog des Tasso aus Goethes „Torquato Tasso“ geben. Doch der Regisseur ist noch nicht anwesend, und so bleibt ihm nur zu warten. Das zumindest empfiehlt der Assistent des Regisseurs, ein junger Mann mit Freundin, die gerade auf Wohnungssuche ist, und einer besonderen Aufgabe. Er schnippelt rote Beete. Widerwillig kommen die Wartenden ins Gespräch und der junge Assistent hört und erlebt Dinge, die sich seiner Vorstellungskraft bislang entzogen hatten. Feuerbach, seit fünf Jahren hat er endlich wieder mal ein Publikum, läuft zu großer Form auf. Er erzählt von Inszenierungen, von Pleiten und großen Momenten, die allesamt vor der Zeit des Assistenten angesiedelt sind. Immer wieder trampeln Bühnenarbeiter durch das Bild, schenken Feuerbach nicht die geringste Aufmerksamkeit. Plötzlich jagt ein Hund über die Bühne! Feuerbach ist irritiert. Da entschlüpft dem Mimen ein Wort: Patient. Er kann es nicht mehr zurückholen und muss schließlich gestehen. Der Assistent triumphiert nicht, obgleich er sich so etwas schon gedacht hat. Feuerbach, so wirr seine Assoziationsketten auch zu sein scheinen, vermag es immer noch, die große Illusion herbei zu zaubern. Dann plötzlich ist der Regisseur unsichtbar anwesend, rote Beete essend. Feuerbach hält den Tasso-Monolog. Als er geendet hat, verkündet der Assistent, der Regisseur sei bereits gegangen. So geht auch Feuerbach.
Die letzten Worte des Tasso-Monologes im 4. Akt lauten: „(...) Wohin, wohin beweg' ich meinen Schritt. / Dem Ekel zu entfliehn, der mich umsaust, / Dem Abgrund zu entgehn, der vor mir liegt?“

Theater auf dem Theater ist immer wieder ein lohnenswertes Thema. Der Einblick, der dem Zuschauer auf diese Weise hinter die Kulissen gewährt wird, befriedigt ein voyeuristisches Grundbedürfnis. Nichts ist unterhaltsamer, als aus mäßiger Entfernung den Glanz und das Elend der Darstellenden Kunst zu erleben. Nirgendwo liegen Gipfel und Abgrund so nahe beieinander wie auf der Theaterbühne. Tankred Dorst weiß ein Lied davon zu singen. Sein Leben war immer auf das Engste mit dem Theater verbunden.

Wer die Inszenierung von Veit Güssow im Marstall erlebt, der könnte glauben, Autor Dorst habe Robert Joseph Bartl vor Augen gehabt, als er seinem Feuerbach Gestalt verlieh. Der massige Mime verfügt über eine große Bandbreite darstellerischen Vermögens. Besonders ausgeprägt ist seine Fähigkeit, komische, oder tragik-komische Figuren zu gestalten.
 
 

 
 

Robert Joseph Bartl

© Thomas Dashuber

 

 

Sein Feuerbach verriet bereits in der ersten Sekunde seines Auftauchens das unausweichliche Scheitern. Dieses wurde um so grandioser, als Bartl Momente großer Schauspielkunst spielte und zugleich erzeugte. Am Ende wusste der Betrachter, dass es sich hier um ein Opfer handelte, ein Opfer des Zeitgeistes, der Institution Theater und seiner selbst. Nüchtern und distanziert agierte Shenja Lacher als Assistent. Er verkörperte die Interesselosigkeit am Medium Kunst (Kunst als Job) und die Ignoranz der Vergangenheit gegenüber. Feuerbach sagte ihm sofort voraus, dass er, der Assistent, keine Zukunft haben wird. Erschreckend für den Betrachter war, dass Feuerbach Recht hatte.

Veit Güssow inszenierte mehr als nur eine Komödie, die vor gut zwanzig Jahren geschrieben wurde. Er zeigte auf komödiantische Weise ein tiefe Krise im menschlichen Denken und im Rezeptionsverhalten auf. Kunst hat, wie es scheint, den Anspruch heilig zu sein, längst verloren. Dem Regisseur gelang es, auch dank der wunderbaren Leistung von Robert Joseph Bartl, zu zeigen, dass Kunst einen rechtmäßigen Anspruch auf Heiligkeit hat. (Das Wort heilig bedeutete ursprünglich: Zauber, günstiges Vorzeichen, Glück.) Genau dieser Moment entsteht in Güssows Inszenierung, wenn Feuerbach einen Schwarm Vögel durch den Geist des Betrachters schweben lässt. Der Zauber ist vollkommen. Doch er hält nicht lange, denn stets unerwartet und störend fallen Bühnenarbeiter ein und verrichten teilnahmslos ihre Arbeiten. Feuerbach, das Zentralgestirn des Theateruniversums, wird immer wieder aus der Bahn geworfen. Niemand nimmt Anstoß daran.

Es ist eine Inszenierung, die ausgesprochen unterhaltsam ist, die aber gleichermaßen verstört und Nachdenklichkeit erzeugt. Hier wurde nicht auf Kosten eines eitlen und auch lächerlichen Menschen die Zeit totgeschlagen, sondern hier wurde Menschlichkeit und das, was die Zeit darunter versteht, auf den Prüfstand gestellt. Das Ergebnis ist bedrückend.


Wolf Banitzki
 
 

 


Ich, Feuerbach

von Tankred Dorst


Robert Joseph Bartl, Shenja Lacher, Gabriele Scheuchenpflug

Regie: Veit Güssow