Café Metropol Über die Kunst seinen Chef anzusprechen und ihn um eine Gehaltserhöhung zu bitten von Georges Perec
Botschaft des Abends: Nie unterkriegen lassen!
Georges Perec (1936-1982) war in vielerlei Hinsicht ein außergewöhnlicher Autor. Als Sohn polnisch-jüdischer Einwanderer, in Paris geboren, musste er ohne Eltern aufwachsen. Der Vater fiel als französischer Soldat und die Mutter wurde ins KZ verschleppt und umgebracht. Nach seiner Eheschließung 1959 lebte er mit seiner Frau Paulette in Tunesien. Ab 1961 arbeitete Perec bis 1978 als schlecht bezahlter Archivar in einem Neurophysiologischen Laboratorium.
Die Literaturwissenschaft mutmaßt, dass der Umgang mit Aufzeichnungen und Datensätzen den Schriftsteller nachhaltig geprägt hat. Sicher ist sie sich hingegen, dass der Autor Raymond Queneau eine wichtige Rolle im Leben von Perec gespielt hat. Queneau war der Begründer der Gruppe Oulipo, einer „Werkstatt für Potentielle Literatur“, der ab 1967 auch Georges Perec angehörte. Die Autoren dieser Gruppe experimentierten mit onomatopoetischen Texten, zu denen Lipogramme gehörten. Dabei handelte es sich um literarische Arbeiten, in denen auf bestimmte Buchstaben konsequent verzichtet wurde. Georges Perec verfasste allerdings auch Palindrome. Das sind Wörter oder auch ganze Sätze, die sowohl von links nach rechts, aber auch umgekehrt gelesen werden können. (Bsp. Lagerregal / Ein Esel lese nie.) Das nur, um eine Andeutung zu seiner Sprachbesessenheit zu machen, die seine Werke so besonders erscheinen lassen.
Als Hauptwerk von Georges Perec gilt sein 1978 veröffentlichtes und Raymond Queneau gewidmetes Werk „La Vie mode d'emploi“ (deutscher Titel: Das Leben Gebrauchsanweisung). Es beschreibt in Form eines „Geschichtenpanoramas“ des Lebens in einem Pariser Mietshaus. Dieser Roman gewann den „Prix Médicis“ und machte den Autor immerhin ökonomisch unabhängig. Und eben dieses Werk offenbart den Charakter der Poetik von Georges Perec, der sich selbst als jemand sah, der lebenslang versuchte, ein großes Puzzle zu vollenden. So auch in „Gehaltserhöhung“ von 1967.
Ulrike Arnold © Hilda Lobinger |
Darin wird die wohl wichtigste Frage gestellt, die einen Angestellten lebenslang plagt: Wie bringe ich meinen Chef dazu, mir mein Gehalt zu erhöhen. Es ist mehr ein Exerzitienbuch als ein Ratgeber, das immer wieder darauf verweist, dass es immer (und gemeint ist wirklich immer) zwei Möglichkeiten gibt. Was aber kann dabei herauskommen, wenn stets eine Tatsache oder eine Erscheinung eintreten kann, aber auch gleichzeitig das Gegenteil möglich ist. Alex Rühle nannte das Werk in seiner 2009 erschienen Rezension ein "Dokument der Vergeblichkeit". Da wir aber darauf geeicht sind, die Dinge positiv zu sehen, so lässt sich auch aus der Vergeblichkeit eine Chance ableiten. Dank hypothetischer Annahmen kann die Suche nach der Lösung des Problems bis weit hinaus in die letzten Winkel des Kosmos des Daseins getrieben werden. Was macht es da schon aus, dass am Ende unweigerlich die Paradoxie steht. Klar ist doch von Vornherein, dass man die gewünschte Gehaltserhöhung nicht bekommt. Aber mal angenommen …
Als Ulrike Arnold das kleine Podium im Café Metropol mit festem Tritt bestieg, war ihr die Verzweiflung eigentlich schon ins Antlitz geschrieben, in die sie sich in dem knapp einstündigen Exkurs selbst trieb. Man musste unweigerlich an diejenigen Coachs denken, die heutigen tags aus ihrer eignen Lebensunfähigkeit oder der Bequemlichkeit, etwas Anständiges zu leisten, einen Beruf gemacht haben. Wichtig dabei: Der Glaube ist alles! Und doch klingt es anders, wenn Ulrike Arnold den Weg beschreibt, der gegangen werden muss, um nicht zu erreichen, was nicht erreicht werden kann. Da traten schon einige Wahrheiten zutage, die durchaus im Denken von Angestellten und auch Chefs verankert sind, die aber wegen der politischen Korrektheit nicht ausgesprochen werden (dürfen).
Emphatisch ging es zu, wenn Frau Arnold in Rage geriet und auch schon mal über die Füße der Schreibtafel zu stolpern drohte, denn Verzweiflung und Hoffnung hält sich ja (soweit man im Bereich des Hypothetischen bleibt) die Waage. Beides ist und bleibt möglich. Der Einfachheit halber, und es ist gut und notwendig zu vereinfachen, gab’s eine analoge Powerpoint Präsentation. Irgendwo erinnerte die Kryptografie an Smileys. Tatsächlich nennt sich sowas allerdings „Organigramm“. Im von Klett-Cotta vertriebenen Buch zum Abend ist eine solche „Landkarte“ (den Weg zum Chef und zur Lohnerhöhung beschreibend) tatsächlich enthalten.
Es wäre unzulässig, diesen illustren Abend mit der wunderbaren Ulrike Arnold, die eine Menge Register zieht, nur Angestellten zu empfehlen. Denn, wie man aus diesem Theaterabend lernen konnte und kann, gibt es immer zwei Seiten, zwei Möglichkeiten. Die Philosophie nennt das die Dualität der Welt und meint in diesem Fall die andere Seite des Schreibtisches. Gerade dieser anderen Seite, den Abteilungsleitern, sei das Stück ans Herz gelegt, insbesondere wenn sie noch nicht hinreichend sattelfest sind im Umgang mit Angestellten, die, aus welchen unerfindlichen Gründen auch immer, eine Lohnerhöhung haben wollen.
Jochen Schölch gelang mit dieser kleinen und sehr feinen Inszenierung ein Kabinettstück par excellence, bei dem er als Spielleiter kaum sichtbar wurde. Das war auch nicht notwendig, wenn man auf eine so virtuose Schauspielerin wie Ulrike Arnold bauen kann. Die Botschaft, sich nie unterkriegen zu lassen, kam natürlich an. Allerdings hat auch diese Aussage ein Pendant: Der Kampf kann nie gewonnen werden!
Aber, man könnte hypothetisch annehmen, dass …
Wolf Banitzki
Über die Kunst seinen Chef anzusprechen und ihn um eine Gehaltserhöhung zu bitten
von Georges Perec
Ulrike Arnold
Regie: Jochen Schölch