Metropoltheater Benefiz - Jeder rettet einen Afrikaner von Ingrid Lausund


 

 

Und ewig kreist der Klingelbeutel


Benefiz - Wohltätigkeit (veraltend: Mildtätigkeit) ist das Wirken Einzelner oder von Organisationen zu Gunsten Bedürftiger durch „milde Gaben“ (Almosen, Geschenke, Spenden). (Zitat: Wikipedia) Zu Benefizveranstaltungen werden in der Regel Prominente geladen, um entsprechend viel zahlungskräftiges Publikum anzuziehen. Prominent sind die fünf Damen und Herren, die eine Benefizveranstaltung zu Gunsten einer Schule in Guinea-Bissau planen, nicht, doch sie sind ambitioniert und bemüht. Das Bemühen um Professionalität verdeutlicht zuallererst einen lächerlichen Dilettantismus. Nebenher werden auch die unterschiedlichsten Motivationen für die Teilnahme deutlich und die verraten nicht selten einen ausgeprägten Egoismus. Vor dem Hintergrund der selbstgestellten Aufgabe werden Eitelkeiten, Vorurteile, ideologische Verblendungen, aber auch kleinbürgerliches Konkurrenzdenken sichtbar.  
Das Ziel, eine möglichst hohe Spendenbereitschaft zu erzielen, soll auf informative und unterhaltsame Weise erreicht werden. Wie spricht man unterhaltsam über Not und Elend. Jeder darf eigene Strategien entwickeln und dabei gerät man in peinlich wirkende Verbindlichkeiten, diskutiert über political correctness, verfängt sich in den Fallstricken klammheimlicher Vorurteile und Ethnokitsch. Es wird „spontan geweint“ und darum gestritten, ob und wann man das Monopol auf das „spontane Weinen“ hat. Eitelkeiten werden ausgelebt und Watschen gegen die anderen verteilt, natürlich immer unter dem Vorzeichen, der Sache zu dienen. In verkrampfter Lockerheit möchte man natürlich auch die Kunst nicht zu kurz kommen lassen. Es kommt allerdings auch zu ehrlicher Betroffenheit und die wirkt wie Sand im Getriebe der (Pseudo-) Professionalität. 


Ingrid Lausunds Text ist ein feines Gewebe aus satirischer Fadenscheinigkeit, so durchsichtig, dass er mehr entlarvt als verpackt. Und auf die Verpackung kommt es doch an, wenn man erfolgreich verkaufen will. Es ist eine intelligente und komödiantische Antwort auf Bigotterie und Dekadenz, die allerdings mehr den Schein ins Visier nimmt und weniger das Wesen. Das Wesen ist, dass es keinen Reichtum ohne Armut gibt. Das ist das wichtigste Grundgesetz des Kapitalismus, zu dem sich die Gesellschaft alternativlos bekennt. Man kann es nachlesen in jedem halbwegs anständigen Werk über politische Ökonomie. Das Geld als Repräsentant von Wert verliert augenblicklich an Wert, wenn genug davon da ist. Armut ist eine notwendige und unvermeidbare Voraussetzung für (unseren) Reichtum. Also ist Benefiz nichts anderes als ein perfides Feigenblatt, mit dem wir uns und andere belügen. Wir alle, ob wir es uns eingestehen wollen oder nicht, sind mehr oder weniger Ursache und Grund für die erbärmlichen Zustände auf diesen Planeten. Leider fällt uns nichts Besseres ein, als ewig den Klingelbeutel kreisen zu lassen. Aber genug der Selbstkasteiung. Der Abend im Metropoltheater war höchstvergnüglich und hat am Gewissen aller Beteiligten gerührt. Man muss sich als Besucher dieser Inszenierung (und man sollte sie unbedingt besuchen) auf eine Prüfung einstellen. Doch das soll eine Überraschung bleiben.


Katharina Dobners Bühne bestand lediglich aus fünf Schulbänken, von denen aus die einzelnen Akteure agierten und in die sie sich wieder zurückzogen. Um eine Schule ging es den Spendensammlern, und zwar um eine Schule in Westafrika. Introduktion war „die Essennummer“. Sie bestand in einer breiten und detaillierten Aufzählung aller Mahlzeiten eines Tages. Es war erstaunlich, wie unterhaltsam ein Speiseplan sein kann. Dabei wurde deutlich, wie tief Afrika im Bewusstsein eines Jeden verankert ist, denn wer hat in seiner Kindheit nicht den Spruch gehört: „Iss deinen Teller leer, in Afrika verhungern Kinder.“


Die musikalische Begleitung besorgte Sam Penderbayne auf der Gitarre oder am Klavier. Ob „Purple Haze“ (eine besonders ergiebige Cannabisvariante) von Jimi Hendrix unbedingt ein geeigneter musikalischer Beitrag für eine Spendengala ist, mag dahingestellt sein. Zumindest erklärt es die sonderbare Interpretation der Nationalhymne von Guinea-Bissau.


Regisseur Ercan Karaçaylı vertraute dem Text und konzentrierte sich darauf, die Charaktere der fünf Protagonisten sicht-, hör- und erlebbar zu machen. Friederike Pasch fiel dabei der Part der unablässig Betroffenen zu. Sie gab eine Frau, die ihre eher mangelhaften Reize durch beinhartes und nerviges Engagement für alle, aber auch wirklich alle geknechteten Wesen dieses Planeten kompensierte. Lilly Forgách plädierte gespreizt, spitzzüngig und penetrant für Professionalität und meldete damit unentwegt einen Führungsanspruch an. Als ihr die Gefolgschaft verweigert wurde, packte sie beleidigt ein: „Das muss ich mir nicht antun.“ Erst das Argument, dass sie doch so sexy sei, bewog sie zur Rückkehr. Martin Dudeck, er gab den stets beleidigten Zeitgenossen, vermochte es, mit seiner statistisch-argumentativen Rede den Zweiflern unter den Spendern geschickt Türen zu öffnen, durch die jeder gehen konnte, ohne sich dabei mies oder unter Zwang zu fühlen. Herbert Schäfer indes entpuppte sich mehr und mehr als jemand, dem jegliches Engagement fremd war und der überdies nicht die geringste Ahnung von dem hatte, was er stammelnd bewarb. Matthias Kupfer war der „Bibelfuzzy“ und hantierte folglich mit christlichen Begriffen wie z.B. Barmherzigkeit. Seiner eindringliche Rede, die beinahe zu Tränen rührte, weil sie vor Leidenschaft strotzte, schickte er dann doch den ernüchternden Satz nach: „War das zu lang?“


Auch diese Inszenierung gereicht dem Metropoltheater und allen Beteiligten wieder einmal zur Ehre. Es ist eine wunderbar witzige Geschichte, die mehr als nur einen Nerv der Zeit trifft und die mit Leichtigkeit und Amüsement zum Nachdenken anregt.

Wolf Banitzki

 


Benefiz – Jeder rettet einen Afrikaner

von Ingrid Lausund

Martin Dudeck, Lilly Forgách, Matthias Kupfer, Friederike Pasch, Herbert Schäfer
Musiker: Sam Penderbayne

Regie:Ercan Karaçaylı