Metropoltheater Der goldene Drache von Roland Schimmelpfennig


 

Dokumentation oder  ...

Schwarze Podeste in einem schwarzen Bühnenraum empfingen die Zuschauer im Metropoltheater. Die Ebenen des Hauses mit dem Schnellrestaurant „Zum goldenen Drachen“ waren offen gelegt. Schwarz auf schwarz, das alle Farben enthält und von denen doch nur ein Bruchteil für das menschliche Auge erkennbar ist. Der Fantasie war Hintergrund geboten, vor dem sich Gold ungleich leuchtender ausnahm.

„Somewhere over the rainbow“, sang die Grille Sebastian Griegel und beschwor damit das erste Farbspektrum vor die Augen des Publikums. Dem Takt folgend arbeiteten acht Asiaten in der Küche des Schnellrestaurants, sie rührten im Wok, klappten den Deckel der Mülltonne, schwangen den Besen, füllten die Einwegschalen. Emsig. Eine neue Bestellung wurde in als Nummer in den Raum gerufen, lautstark danach die Speisebezeichnung und die Zutaten verbreitet. „Somewhere over the rainbow“, sang die feinfühlige Grille als die dominante Ameise Svetlana Bielievtsova an der Rampe erschien. Die Fabel von der Grille und der Ameise, von der Lehre „Wer nicht arbeitet ... bekommt nichts zu essen!“ wurde angespielt. Szenenwechsel, die nächste Bestellung und dazu der Takt der Arbeitsgeräte. Szenenwechsel, ein alter Mann erwartete den Besuch seiner Enkelin. Szenenwechsel, ein junger Asiate bekommt in der Küche Zahnschmerzen. Szenenwechsel, die Ameise verdingt die hungernde Grille. Szenenwechsel, eine junge Frau erwartet ein Kind. Szenenwechsel, die nächste Bestellung im Restaurant mit Speisenummer und Zutaten. Turbulenter Alltag in einem Wohnhaus, wie es fast überall stehen könnte. Die kurzen Szenen spiegeln den Takt der Zeit, bereiten dem Gefühl von Gleichzeitigkeit den Weg. Es gibt nur hier und jetzt und alles und eins. Die Rollenverteilung in Geschlechter war ebenso aufgehoben, wie die Einheit von Rollen. Emsiges Multitasking. Vorgebracht wurden die eine Geschichte um den Zahn des Asiaten und die zahlreichen Parallelgeschehen in erzählender Form. Gleich Einträgen in ein virtuelles Forum berichteten die Figuren über die Vorgänge und trugen so, Szene für Szene, Nachricht für Nachricht einen Haufen von Worten zusammen und damit die Schicksale eines jungen Asiaten und seiner Schwester. Dennoch unterschieden sich die, alle in Schwarz gekleideten Darsteller, doch deutlich. Still leidend ertrug Barbara Krzoska den Schmerz um den Zahn. Alkoholisiert ertrug der Mann im gestreiften Hemd, Olga von Luckwald, die Trennung von seiner Frau. Starr ertrug die Kellnerin, Daniel Holzberg, das Lachen des Publikums, die Reaktion auf gekonnte Imitation von Ausspracheproblemen im Deutschen. Cool ertrug der Barbiefucker, Maren Pertiet, die Diskriminierung durch das Objekt seines Interesses. Verzweifelt ertrug die schwangere Enkeltochter, Klaus Steinbacher, die belastende Zukunft. Neugierig ertrug die blonde Flugbegleiterin, Jakob Tögel, den fremden Zahn in der Suppe. Geschunden ertrug eine hungrige Asiatin, Sebastian Griegel, die Schikanen aller sichtbaren und unsichtbaren. In allen Schwarz in Schwarz erspielten Kurzszenen standen universell präsente Schauspieler im Fokus der Scheinwerfer und erstrahlten in persönlichen Farben.

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© Tomek Wieczor

 

Was bleibt von der Werkfassung, wenn die lauten Aufzählungen der Speisezutaten entfallen? Was bleibt von der Gesellschaft, wenn die marktschreierische  Produktionspropaganda verstummt? Eine müßige Frage, denn es wird von allen, nicht nur der kunsterfüllt singenden Grille, verlangt sich den Gesetzen der global agierenden aggressiven Ameisen zu unterwerfen. Manipulation über das existentielle Gefühl Hunger treibt ein legitimiertes Unwesen. Die vergangene Erfahrung von Inhalten einer Speise führte bei deren Nennung auf der Bühne über den Pawlow'schen Reflex zu einem Lächeln ...

Wir wissen, was wir wissen und wissen doch, dass eine wunderbare Oberflächlichkeit die Wirklichkeit auf Distanz hält. Kommunikation heißt das Machtwort, aus der sich eine Kraft zu Bewegung gewinnen lässt. Der Redefluss hat längst die klassischen Ausdrucksformen hinweg gerissen und überschwemmt. Auf ihm schwimmen die Skelette der wieder und wieder wiederholten Phrasen, gleich den Szenenschnipseln die Probleme skizzieren ohne auf diese einzugehen. „Am Anfang war das Wort.“, so erzählten die Vorfahren. Doch was, wenn das Wort heute einer leeren Dose gleicht. Das darin gebundene Schicksal, der Schmerz scheint gebannt, doch mit ihm aber auch die Erkenntnis und die Freude.

Eine eindringliche Lebendigkeit trug die Inszenierung des Werkes „Der goldene Drache“ durch Jochen Schölch. Das Vermögen vielfältig darstellenden Ausdrucks junger Schauspieler vermittelte scheinbar verloren gegangene Dimensionen im Sein, die es für umfassende Menschlichkeit anzuregen gilt. Begeisterter Applaus für einen unterhaltsam „grilligen“ Theaterabend.

 

C.M.Meier

 

 


Der goldene Drache

von Roland Schimmelpfennig

Barbara Krzoska, Sebastian Griegel, Svetlana Bielievtsova, Olga von Luckwald, Maren Piertiet, Daniel Holzberg, Klaus Steinbacher, Jakob Tögel

Regie: Jochen Schölch