Metropoltheater Die Lügen der Papageien von Andreas Marber


 

 

Augen auf bei der Berufswahl!

Endlich eine Titelrolle. Der kaum beachtete Schauspieler Martin ist glücklich. Die Proben sind fortgeschritten und nun steht der Satz auf dem Probenplan, der dem Stück den Titel gab: „Ich bin ein Stück Scheiße!“ Wie spricht man einen solchen Satz? Wichtig ist, ihn durch sich hindurchfließen zu lassen, erklärt die Jungregisseurin Kathrin. Die ewige Frage wird diskutiert: Totale Identifikation mit der Rolle und „sein“ oder doch Distanz halten und „erzählen“? Kathrin legt sich ins Zeug, denn jede Arbeit könnte die Arbeit sein, mit der der Durchbruch geschafft wird. Doch dann steht plötzlich der Autor auf der Bühne. Er hat davon gehört, dass der alles entscheidende Satz gesprochen werden soll. Auf diesen Augenblick hat er sehnlichst gewartet. Man versucht ihn von der Probe zu verbannen, doch er erpresst sowohl Martin wie auch Kathrin, beschwichtigt und verspricht zu gehen, wenn er diese Szene gesehen hat. Man arrangiert sich und Martin spricht den Satz nicht nur ein Mal, nein, gleich drei Mal, da ihm die Aussage so substanzieller erscheint. Was dann passiert, läutet eine Geschichte ein, die tiefe Einblick gewährt in künstlerische (darstellerische) Existenzen, Selbstverwirklichungsansprüche und in den Apparat Theater.

Autor Andreas Marber wusste, worüber er schrieb. Am Stuttgarter Staatstheater konnte er als Dramaturg hinreichend Material sammeln. Zudem gab es für das Stück einen konkreten Anlass. Nirgendwo sind Glanz und Elend so dicht beieinander wie im Theater. In der Regel überwiegt allerdings das Elend. Doch davon bekommt das Publikum nur sehr selten etwas mit. Manches B oder C Theater lässt Dantes „Göttliche Komödie“ verblassen, angesichts der Höllen, die sich am Theater auftun. Es ist nicht nur ein Tummelplatz für Sadisten, sondern auch ein Jahrmarkt der Eitelkeiten und nicht selten auch der maßlosen Selbstüberschätzungen.

Obgleich es sich bei dem Stück um eine Komödie handelt, steckt gleichsam viel Tragödie darin. Regisseur Jochen Schölch schreckte bei seiner Inszenierung nicht davor zurück, die Geschichte in seinem Metropoltheater anzusiedeln und sie somit sich selbst und seinen Mitarbeitern unterzuschieben. Das impliziert natürlich, dass derartige Vorgänge naturgemäß immer woanders passieren und ganz gewiss nicht am Metropoltheater. Der Zuschauer, von Natur aus eine freundlich gesinnte Spezies, ist indes geneigt, das auch zu glauben. Die Vorstellung, dass die wunderbaren Schauspieler, die jeder Metropoltheaterfan längst namentlich und vom Ansehen her kennt, und die das Publikum im letzten Jahrzehnt mit grandiosen Vorstellungen und Leistungen beglückt haben, so sind, wie sie im Stück dargestellt wurden, erscheint vollkommen absurd. Dabei sollte man jedoch nicht vergessen, dass die Institution Theater aufgrund seiner Struktur und seinem Wesen solchen, im Stück beschriebenen Vorgängen unweigerlich Vorschub leistet. Schauspieler, auch wenn es manche von sich selbst nicht glauben, sind auch nur Menschen.

Cornelia Petz hatte die drei Darsteller in einigermaßen lächerliche Kostüme nebst Perücken gesteckt, die weder Zeit noch Raum erklärten, in denen das eigentliche Drama angesiedelt war, das im Stück geprobt wurde. Eine ästhetische Geschlossenheit war auch nicht auszumachen. Es war Theater im Theater, und Theater heißt immer Verkleidung. Es ist nicht selten einer der gewichtigsten Reize, der Menschen diesen Beruf ergreifen lässt. Martin Dudeck gab die tragische Schauspielerfigur, dessen Fokus auf die „Rolle seines Künstlerlebens“ den Blick auf die Realitäten und Kabalen verstellte. Strotzend vor Unsicherheit bei geballtem Bemühen, das Unmögliche zu bewältigen, hätte er Mitleid erregen können, wenn sich seine Täterambitionen nicht immer wieder Bahn gebrochen hätten. Ihm zur Seite mühte sich die Jungregisseurin Kathrin, von einer durchaus skrupelbehafteten Kathrin von Steinburg gespielt. Geschmeidigkeit war nicht ihre Stärke und so litt sie, die zwischen die Gräben geraten war, durchaus aufrichtig, um endlich den unvermeidlichen, ursprünglich mit Empörung abgewiesenen Kompromiss einzugehen. Die Gräben waren aufgerissen, als der diabolische Autor Matthias seinen Plan in die Tat umgesetzt sah. Matthias Grundig weidete sich sichtlich und völlig schamlos. Aber auch er war nur ein hypertropher Kleingeist. Kritik ließ er bloß gelten, wenn sie sich gegen andere richtete. Die eigene Arbeit war und blieb über jeden Zweifel erhaben.

Am Ende der siebzigminütigen Vorstellung stand Martin Dudeck zu sanften und bedeutungsschwangeren Klängen aus Gustav Mahlers 5. Sinfonie im Scheinwerferlicht und rang verzweifelt um Worte, die ihn aus der misslichen Lage hätten befreien können. Es konnte, es wollte nicht gelingen, denn als Schauspieler war und ist er auf Gedeih und Verderb an das Wort des Autors gekettet. Trotz aller Komik, die dieses Stück und vor allem die Inszenierung entfaltete, blieb ein bitterer Nachgeschmack über das Los des Schauspielers, der geliebt und verdammt wird und der sich nicht immer davor schützen kann. Also, Augen auf bei der Berufswahl!

 

Wolf Banitzki

 


Die Lügen der Papageien

von Andreas Marber

Martin Dudeck, Matthias Grundig, Kathrin von Steinburg

Regie: Jochen Schölch