Metropoltheater Cherubim von Werner Fritsch


 

 

Ein anrührendes Stück Theater

Er ist nicht der Mann für alle Fälle, aber für den vorliegenden Fall „Cherubim“ ist er es unbedingt. Gerd Lohmeyer, wer kennt ihn nicht in Bayern, verkörpert er doch wie kaum ein anderer Schauspieler bayerische Denk- und Fühlart. Die Geschichte „Cherubim“ war ein echtes Geschenk des Lebens für den Autor Werner Fritsch. Auf einem Einödhof im Oberpfälzer Stiftsland aufgewachsen, war Wenzel Haindl, ein eigentümlicher, vom Land und der Geschichte geprägter, verwachsener Knecht, eine prägende, die Fantasie beflügelnde Figur für den 1960 geborenen Schriftsteller. Wenzel, „frei“ von herkömmlicher Bildung und durch Kinderlähmung verunstaltet, entwickelte seine ureigene Sicht auf die Dinge. Die reichte von kindlich-fantastisch bis jenseitig-mystisch. Ausgestattet mit derartigem Rezeptionsinstrumentarium war Wenzel ein sehr eigentümlicher Chronist des 20. Jahrhunderts. „Von ihm habe ich, weil die Großelterngeneration ausfiel, neben meinen Eltern auch Sprechen und vor allem Erzählen gelernt.“ (Werner Fritsch)

Ein sphärisches Dröhnen aus dem Off erinnert schon vorab daran, dass da was ist in den Lüften, etwas Gewaltiges. Ca. 80 Minuten lang fabulierte Gerd Lohmeyer dann über zwei Kriege, über Inflation und Neuanfang, über Ehe, Liebe, Krankheit, Kinderkriegen und auch übers Sterben, nämlich das des eigenen Kindes und das der Mitmenschen, die anders waren als irgendwer. Mit dem Verstehen hapert es. Umso sicherer ist Wenzel im Erfühlen. Schaurige Geschichten von Frauen, die zum Entbinden ins Feld gingen und auf immer verschollen blieben, oder aber sich des Kindes entledigten, waren ihm sehr bedeutsam, denn auch er könnte ein solches, achtlos in die Welt geworfenes Wesen sein - oder war es sogar?

  Cherubim-Metropol  
 

Gerd Lohmeyer

© Rolph Metzner

 

Geschichten vom Hörensagen gestalteten sich ebenso fantastisch wie eigene Erlebnisse. Mit Schicksalsgenossen wie dem „Rumänenbinder“ bekommt Wenzel, der Versehrte, der immerhin zum Schienenlegen taugt, von „Hiltler“ (Jeder Nazi ist Hiltler!) eine „Einladung“ nach Flossenbürg. Das Konzentrationslager ist „Leittopos des Todes“ in Fritschs Werk. Es ist eine unbequeme Reise nur auf Stroh im offenen Waggon und der „Rumänenbinder“, ein mit allen Wassern gewaschener Geselle, der im Beisein Wenzels auch schon mal dessen Ehefrau bestiegen hat, rät ihm zur Flucht. Er taucht später wieder auf, jetzt als Sterbender im Verbrennungsofen. Das ist in Wenzels Weltbild kein Widerspruch. Die Toten sind ebenso im Leben wie die Lebenden und es steht für Wenzel außer Frage, dass er am Ende ganz sicher unter den Cherubim weilen wird. Wenzels Flucht bringt ihn sogar bis nach Afrika, wo er die Vorzüge der dortigen Weiblichkeit schätzen lernt. Am Ende bleibt er der Welt, die ihn nicht sonderlich geschätzt und schon gar nicht verwöhnt hat, freundlich gesinnt:  "Ich wünsch allensamt Glück. Wo leben tun. Auf jetzt hinauf."

Steffi Baiers spartanische Inszenierung lebte von der Verkörperung durch einen fabulierfreudigen Gerd Lohmeyer und dessen dialektgefärbte Sprache, die ebenso bucklig und steifbeinig daherkam wie Lohmeyers Wenzel. Im Unterschied zu diesem Inszenierungsansatz sei an die Darstellung von Richard Beek im Jahr 2003 am Residenztheater (Regie: Elmar Goerden) erinnert. Es war Beeks letzte große Rolle († 17. August 2007) und er gestaltete sie als einen düster-existenzialistischen Abgesang auf das Jahrhundert. Ihm standen allerdings auch nicht der beseelte (bayerische) Klang von Lohmeyers Sprechweise und auch nicht dessen einnehmend-schelmische Erscheinung zur Verfügung.

Szenen- und Stimmungswechsel realisierte Steffi Baier mittels Licht (Hans-Peter Boden). Das Bühnenbild bestand lediglich aus ein paar verstreuten Steinen und einigen wenigen verblichenen Baumskeletten. Dazwischen stakste Lohmeyer dreibeinig im Rhythmus seiner Erzählungen umher. Wenn er eine Zigarette rauchte, dann war es eine selbstgedrehte, wenn er, über „Hiltler“ sinnierend, Tabak schnupfte, blieb ihm das schwarze Zeug wie ein Bärtchen unter der Nase hängen.

Regisseurin Baier gelang ein anrührendes, nicht rührseliges, Stück Theater, das bei aller Düsternis nicht düster war, das bei aller Unmenschlichkeit der Geschichte und der Geschichten über viel Witz verfügte und das mit Gerd Lohmeyer ein sehr menschliches Antlitz bekam. Und hat man Lohmeyer in dieser Rolle erst einmal gesehen, ist es schwer vorstellbar, dass jemand anderes sie so spielen könnte. Es war ein kurzweiliger und nachdenklich stimmender Abend.

 

Wolf Banitzki

 


Cherubim

nach dem Roman von Werner Fritsch

Gerd Lohmeyer

Regie: Steffi Baier