Metropoltheater Das Ende des Regens von Andrew Bovell
Keine Erlösung am Ende des Regens
Es war ein großes Puzzle, das Jochen Schölch mit geschickter Hand und einem guten dramaturgischen Plan in der annähernd zweieinhalbstündigen Inszenierung im Metropoltheater erfolgreich zusammensetzte. Die einzige fixe Größe, die sich in der breiten epischen Geschichte in dem Zeitraum von 1959 bis 2039 auf zwei Kontinenten, Europa und Australien, abspielt, ist der Regen. Es ist kein beliebiger Regen, sondern ein scheinbar apokalyptischer. Im Alten Testament ließ Gott es vierzig Tage regnen und außer Noah und seiner Sippe kam die gesamte Menschheit dabei um.
Wir schreiben das Jahr 2039 und es regnet seit Monaten. In Bangladesch sind bereits eine halbe Million Menschen ertrunken und eine noch größere Katastrophe deutet sich in den tiefer gelegenen Regionen auch anderer Kontinente an. Allerdings, in Bangladesch ertrinken immer Menschen, davon weiß schon ein Sprichwort zu berichten. Ist „Das Ende des Regens“ von dem australischen Autor Andrew Bovell ein Drama mit ökologischer Botschaft? Die Frage muss mit einem entschiedenen „Jein!“ beantwortet werden. Selbstredend ist ein solcher biblischer Regen ein deutlicher Hinweis auf eine mögliche Klimakatastrophe, doch im Stück werden relativierend auch Klimaerscheinungen aus der Historie zitiert, die ähnliche Ausmaße hatten, und zwar zu einer Zeit, als der menschliche Einfluss auf das Klima noch marginal war, wie zum Beispiel ein Wintereinbruch in einem Sommer im 17. Jahrhundert, der zu extremer Lebensmittelknappheit führte, oder der Regensommer von 1816 nach dem Ausbruch des Vulkans Tambora 1815 in Indonesien. Noch 30 Jahre später zeitigte dieses Ereignis eine verheerende Hungersnot in Irland.
Wenn überhaupt, dann diente dieses Szenarium lediglich als düsterer Background für eine breitgefächerte Familiengeschichte über vier Generationen hinweg, in der es um Lüge, Verrat und Verzweiflung, um Liebe, Unfalltod, Selbsttötung und um eine Kindstötung geht. Bovell hat kaum etwas ausgelassen, denn wie sagte schon Aristoteles: Nur „the most worst case“ bringt die größtmögliche Katharsis. Wie schon in „Lantana“ von Bovell, das Jochen Schölch 2006 auf die Bühne des Metropoltheaters brachte, geht es auch im vorliegenden Stück um „emotionale Labyrinthe“, die sich nach und nach entschlüsseln, um in größtmöglichem Entsetzen zu kulminieren. (Ein junges Mädchen in der Reihe vor mir wurde von einem Weinkrampf geschüttelt! (Wenn das nicht wirkungsvoll genannt werden kann, …) Die Plots der Stücke von Bovell sind in der Tat nicht sehr glaubhaft, doch der Mensch lässt sich allzu gern vom Unglaublichen (aber Wahren?) in den Bann schlagen. Und das tat die Inszenierung der an Komplexität kaum zu überbietenden Geschichte.
Thomas Schrimm, Dascha von Waberer, Hubert Schedlbauer, James Newton (hinten), Vanessa Eckart (vorne) © Jean-Marc Turmes |
Das Bühnenbild von Thomas Flach wurde begrenzt durch einen schwarzglänzenden Lamettavorhang, der von der Decke bis zum Bühnenboden reichte. Die Illusion vom großen Regen, der wie ein Vorhang alles verbirgt, war perfekt. In der Mitte des mit schotterartigem Granulat bedeckten Bodens stand ein Tisch, ein alter, gebrauchter, dessen haptische Qualitäten sehr anziehend waren. Er allein repräsentierte hinreichend alle Qualitäten, das Spiel im zutiefst Menschlichen anzusiedeln. Einzige Sitzmöglichkeiten waren Koffer, denn es ging um Reisen, es ging um Nachlässe. Aber sie manifestierten ebenso Grabsteine mit beredten Familiengeschichten. Das artifizielle Bild war eine perfekte Mischung aus nüchterner Distanz und menschlicher Organik zwischen Sexualität, Geburt, Kindsein, täglichem Überlebenskampf, Alkoholismus und „Asche zu Asche“.
Das Stück erstreckt sich über einen Zeitraum von siebzig Jahren und zwei Personen werden sowohl im jugendlichen, wie auch im fortgeschrittenen Alter zitiert. Elizabeth Law wurde als Jugendliche von Eli Wasserscheid, als ältere Frau von Lilly Forgách, beide in identischen Kostümen (Sanna Dembowski) gespielt. Die Kostümgleichheit war ein sehr geschickter Zug, denn es erleichterte dem Publikum die Orientierung enorm. Der Figur der Elizabeth war die größte Bürde vom Leben auferlegt worden. In der Jugend war sie eine kluge Frau mit progressivem Weltbild, die über den Enzyklopädisten Diderot und sein revolutionäres Menschenbild Bescheid wusste und in dem Bewusstsein lebte, man könne die Welt verbessern. Doch der unerwartete Bruch in ihrem Leben war dergestalt, dass sie alle Kraft einbüßte und dem Alkoholismus verfiel. Lilly Forgách spielte diese Rolle ebenso tragödisch, wie Eli Wasserscheid ihre Elizabeth Law am großen Zorn zerbrechen ließ.
Der Grund für diese Tragödie war Ehemann Henry Law, berührend defensiv, tollpatschig im Umgang mit dem Damoklesschwert, das über seinem Haupt schwang, gespielt von Thomas Schrimm. Er wurde des Hauses verwiesen und für immer seinem Sohn entfremdet: „Ich werde jede Spur von dir aus Gabriels Leben verbannen, … “ Dieser Gabriel, von eigenen Dämonen geplagt, dabei nachdenklich gestaltet von James Newton, begibt sich auf die Suche und löst so einen Strudel der Ereignisse aus, der auch die letzten Wahrheiten an die Oberfläche spült. Zunächst begegnet er in Australien der jungen und anziehenden Gabrielle York, verliebt sich und schwängert sie.
Gabrielle York ist die zweite Figur, deren Geschichte sich über die Jahrzehnte hinweg erstreckt. Die junge Gabrielle spielte Vanessa Eckart als einen selbstbewussten, aber auch doppelbödigen Charakter, denn auch sie litt, wie Gabriel, unter der Enge ihrer Existenz, ebenso überschattet von einer Tragödie. Während Gabriel unter der Abwesenheit des Vaters gelitten hatte, litt Gabrielle unter dem Verlust des kleinen Bruders, der siebenjährig missbraucht und getötet worden war. Es sollte nicht die letzte Tragödie bleiben in ihrem Leben und so lebte die ältere Gabrielle, gespielt von Dascha von Waberer, als gebrochene, zur Liebe unfähige Frau, in heraufdämmernder Demenz, an der Seite des umso eifriger um sie und ihre Liebe werbenden Ehemanns Joe Ryan. Auch sein Schicksal war ein eher tragisches und Hubert Schedlbauer gestaltete ihn als durchaus mitleiderregenden, dabei aber keineswegs larmoyanten Mann, der sein Schicksal mannhaft trug.
Thomas Schrimm und James Newton hatten zudem jeder noch eine zweite Rolle zu gestalten, was sie auf sehr lobenswerte Weise differenziert und einfühlsam taten. Diese Inszenierung war wieder einmal eine großartige Ensembleleistung, die auf magische Momente nicht verzichtete. So erzeugten die Doppelbesetzungen Spiegelbilder durch den Lamettavorhang hindurch und es war, als wäre die Zeit in ihrer Kontinuität ausgehebelt. Auch der Blick in die Vergangenheit gelang immer wieder und selbst die Besteigung des Ulurus (Ayers Rock) wurde mittels ausgefeilter Lichtregie von Hans-Peter Boden nacherlebbar gemacht. Dabei setzte Jochen Schölch weder auf schrille Effekte, noch auf exzessives Spiel der Darsteller, ruhig, fast stoisch, von einer Szene mit Eli Wasserscheid einmal abgesehen, wird die Geschichte erzählt wie ein stetig dahinfließender Fluss. Das Vertrauen in die Geschichte und die Kraft des Wortes hat sich wieder einmal bezahlt gemacht.
Wenn im Schlussbild alle gemeinsam am Tisch sitzen und den Fisch essen, der zu Beginn des Stückes, vom Himmel fiel, hat die Szene einen religiösen Charakter. Den Fisch in seiner religiösen Symbolik zu erklären, bedarf es wohl nicht. Verquickt mit dem hörbaren Ende des Regens indes lässt sich diese Bedeutung nicht mehr ausblenden. Eine wahrhaftige Erlösung war es allerdings nicht und das war auch gut so.
Wolf Banitzki
Am Ende des Regens
von Andrew Bovell
Deutsch von Maria Harpner und Anatol Preissler
Thomas Schrimm, Lilly Forgách, Eli Wasserscheid, James Newton, Dascha von Waberer, Vanessa Eckart, Hubert Schedlbauer Regie: Jochen Schölch |