Metropoltheater  zu unseren füßen, das gold, aus dem boden verschwunden von Svealena Kutschke


 

Gesellschaftsbild des Scheiterns

Es sind sehr verschiedene Zeitgenossen, die Mieter des Pankower Mietshauses. Und sie sind ganz gewiss kein repräsentativer Querschnitt durch unsere heutige Gesellschaft. Otto Normal, und der stellt ja in der Regel die Mehrzahl, kommt eigentlich gar nicht vor. Würde Holm, der pensionierte Gerichtsvollzieher mit Trauma nicht saufen, wäre es wohl seine Rolle gewesen. Allein, Alkoholiker ist wohl bei aller Toleranz noch immer ein Alleinstellungsmerkmal. Die zitierte Mietergemeinschaft ist eher eine Ansammlung von Laborprobanden für einen Diversionsversuch. Da sind ein lesbisches Paar, eine Deutsche namens Kim, die im „Spätkauf“ an der Kasse arbeitet, und die junge, zu Aggressivität neigende Türkin Darija, Pflegerin in der Psychiatrie. Und da ist das Paar, das sich räumlich getrennt hat, Sarah, Hochschulabsolventin und depressiv, Ahmed, arabischer Herkunft, in Edelzwirn gewandet und Mitarbeiter einer Kanzlei. Nach der Trennung ist er in den gegenüberliegenden Flügel des Hauses gezogen und beargwöhnt nun von dort aus das Leben seiner Ex, weil er von ihr nicht lassen kann. Einen lernt man nicht kennen, Nabil, den syrischen Flüchtling.

Sarah hatte ihm geholfen, die Wohnung im Haus zu bekommen, hatte ihm auch einige Anzüge (ausgerechnet die maßgeschneiderten) ihres Mannes geschenkt und sich selbst dafür mit einem Beischlaf mit dem jungen, knackigen Asylanten belohnt. Ihrem depressiven Zustand war es auf positive Weise zuträglich bis zu dem Augenblick, als sie Nabil fälschlicher Weise als Dieb ausmachte. Dabei war Nabil unermüdlich darum bemüht, zu gefallen, sich einzuordnen in das deutsche Gemeinwesen, das längst kein Gemeinwesen mehr ist. Immerhin haben von den sechs Personen gerade einmal ein Drittel noch deutsche Wurzeln. Und so wird Nabil zum „Stolperstein“ des Gemeinwesens, wenn er Ratten aus dem Abfluss fischt und in der Mülltonne bestattet, wenn er sämtliche Bewohner freundlich grüßt und sich nicht zu schade ist, Hand anzulegen, wenn der Hinterhof in Unordnung geraten ist. Und so widerfährt ihm, was, diese Vorstellung lässt sich nicht beiseiteschieben, allen Emigranten in diesem Land droht: Gewalt. Die geht ausgerechnet von Holm aus, der irgendwann versucht, seinen Alkoholismus in den Griff zu bekommen und seiner Verwahrlosung entgegen zu treten.

Seit der Uraufführung von „zu unseren füßen, das gold, aus dem boden verschwunden“ der Berliner Autorin am Deutschen Theater Berlin wurde der Text von Svealena Kutschke hoch gelobt. Er wird als gelungene gesellschaftliche Analyse gepriesen, die den Nachweis erbringt, dass die heutige deutsche Gesellschaft, die so viel auf ihre eigene Diversität gibt, eine überaus brüchige und gefährdete ist. Der Text von Svealena Kutschke hat ohne Frage enorme Qualitäten. Zuallererst sei die pointierte Sprache erwähnt, die die Monologe fesselnd und auch witzig erscheinen lässt. Auch weiß die Autorin, wovon sie redet, resp. schreibt. Zudem ist ihr dramaturgischer Ansatz, die zentrale Figur, an der sich alles reibt, misst und erhitzt, außen vor zu lassen, ein grandioser.

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Matthias Grundig und Mara Widmann

© Jean-Marc Turmes

 

Allein, das gesellschaftliche Bild, das sie entwickelt, und hier handelt es sich vorgeblich um die Normalität, ist schwerlich als repräsentativ für die deutsche Gesellschaft zu nehmen. Vielleicht gilt der Text noch für Berlin, wo die Urbanität eine ganz eigene, nicht unbedingt angenehme Qualität hat, kaum aber für den Rest der Republik. In Berlin ticken die Uhren anders, insbesondere wenn es um das Zusammenleben in den Kiezen geht. Was in München bereits als Verwahrlosung denunziert wird, versteht man in Berlin nicht ohne Stolz als Charakter.

Es finden sich im Stück einige Anklänge von Konstruktivismus und auch von Sozialkitsch. Etliche Klischees werden abgearbeitet. Es fiel im Metropoltheater natürlich schwer, diese Dinge auszumachen, weil Jochen Schölch den Text auf höchst suggestive und zwingende Weise in Szene gesetzt hat. Er trieb seinen Minimalismus dabei erneut auf den Gipfel. Die eintretenden Zuschauer wurden von den schweigenden, reglosen und abgekehrten Darstellern empfangen. Sie saßen auf zwei längeren Bänken, dazwischen eine kürzere, die alsbald als die Wohnstatt Nabils ausgemacht wurde. Nachdem Nabil aus der theatralen Realität getilgt worden war, wurde die Bank zwischen die beiden anderen gerückt und die Architektur war zumindest im Bewusstsein wieder makellos. (Bühne Thomas Flach) Nabil als Störfall war ad acta gelegt. Ein starkes Bild!

Jochen Schölch konnte bei seiner eineinviertelstündigen Inszenierung auf fabelhafte Darsteller zurückgreifen, die in der Kürze der Zeit deutliche und charaktervolle Figuren erschufen, und die allesamt anbetungswürdig spielten. Am eindringlichsten geriet dabei der von Matthias Grundig gestaltete Holm. Eingangs mit wenig Expression und eher resignativ gespielt, erschuf er einen versoffenen und verwahrlosten Staatsdiener, dessen Zustand ruchbar im Sinne von beinahe riechbar wurde. Zuletzt brach ein Schmerz aus ihm hervor, der fast mythische Dimensionen besaß. Sophie Rogalls junge lesbische Türkin Darija war pures Dynamit. Sie konnte das Fürchten lehren. Ihre Bühnenparnerin Lucca Züchner spiegelte genau diese Angst als Geliebte Kim in ihrer defensiven Haltung dem Leben gegenüber, gegen das sie sich einzig mit einer durchgestylten Anzugsordnung zu schützen suchte. Letztlich traf sie die übergroße Daseinswut der Geliebten mit blutiger Wucht.

Mara Widmanns Sarah, den Namen trug sie vermutlich nicht von ungefähr, war frei von jeglicher Aufregung. Sie sprach über ihre Depression als einer Unausweichlichkeit, in der sie als Intellektuelle mit all ihrem Lebensanspruch unweigerlich versinken musste, denn als auch Nabil sie vermeintlich betrogen hatte war klar, dass sie immer ein geradezu messianisches Opfer sein würde. Sie war ein Ausbund an Lebensfremdheit. Am realitätsnahesten war wohl der von Thorsten Krohn gespielte Ahmed. Zumindest hielt er in der neoliberalen Welt ganz gut mit. Nur die unauslöschbare Liebe zu Sarah, gepaart mit einer brennenden Eifersucht, zog ihm immer wieder den Boden unter den Füßen weg.

Jochen Schölchs Inszenierung des Stückes mit dem etwas kryptischen Namen „zu unseren füßen, das gold, aus dem boden verschwunden“ war ein Gesellschaftsbildnis des Scheiterns, dem man sich nicht unbedingt in vollem Umfang anschließen konnte und kann. Alle Werte (Gold) scheinen durch das Grundwasser davon gespült zu sein und es gibt scheinbar keinen Halt mehr. Es war allemal ein grandioser und wieder einmal magisch in Szene gesetzter Theaterabend, der dennoch nicht frei von Widerspruch bleiben kann. Es sind eben diese Stücke, die uns einmal mehr suggerieren, dass unsere Welt scheinbar unweigerlich dem Untergang geweiht ist. Ohne Zweckoptimismus verbreiten zu wollen, in Berlin hatte man schon immer eine eigene Vorstellung vom Weltuntergang. Soviel sei angemerkt, in einem Pankower Hinterhof wird er gewiss nicht stattfinden.

Wolf Banitzki

 


zu unseren füßen, das gold, aus dem boden verschwunden

von Svealena Kutschke

Mit Matthias Grundig, Thorsten Krohn, Sophie Rogall, Mara Widmann, Lucca Züchner

Regie: Jochen Schölch
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