Metropol Theater Caligula von Albert Camus
Keine Tyrannen ohne uns!
Caligula, vier Jahre lang römischer Imperator, verliert die von ihm inzestuös geliebte Schwester Drusilla. Psychisch labil, reagiert er scheinbar paradox auf dieses Ereignis. Für drei Tage ist der Kaiser unauffindbar. Dann kehrt er zurück und entfesselt eine irrationale Schreckensherrschaft. Die Geschichte nennt es Wahnsinn und verhindert damit einen wirklichen Zugang zum psychischen Hintergrund. Camus erteilt Caligula das Wort, der diesen Vorgang "Pädagogik" nennt. Ein Herrschender, durch ein starkes Trauma aus der Bahn geworfen, jeglichen Sinns verlustig gegangen, lebt sich in dieser Sinnlosigkeit konsequent aus und führt damit den Beweis, dass dem Sein an sich kein tieferer Sinn innewohnt. Camus zeigt allerdings noch einen weiteren Aspekt auf, der für jede "Demokratie" von Bedeutung ist. Die Tyrannei, ausgehend von einem wie auch immer gearteten Willen, wird nur durch uneingeschränkten Opportunismus möglich.
"Der Wille zum System ist ein Mangel an Rechtschaffenheit." Dieses Zitat aus Friedrich Nietzsches "Götzendämmerung" findet sich im Tagebuch Albert Camus im Jahr 1939. Ein Jahr zuvor tauchen im Tagebuch auch der Name Caligula und die gereifte Idee zum gleichnamigen Stück auf. Europa stand am Rande des Abgrundes und der hellsichtige Camus sah in Hitler einen neuen Caligula.
Caligula, vier Jahre lang römischer Imperator, verliert die von ihm inzestuös geliebte Schwester Drusilla. Psychisch labil, reagiert er scheinbar paradox auf dieses Ereignis. Für drei Tage ist der Kaiser unauffindbar. Dann kehrt er zurück und entfesselt eine irrationale Schreckensherrschaft. Die Geschichte nennt es Wahnsinn und verhindert damit einen wirklichen Zugang zum psychischen Hintergrund. Camus erteilt Caligula das Wort, der diesen Vorgang "Pädagogik" nennt. Ein Herrschender, durch ein starkes Trauma aus der Bahn geworfen, jeglichen Sinns verlustig gegangen, lebt sich in dieser Sinnlosigkeit konsequent aus und führt damit den Beweis, dass dem Sein an sich kein tieferer Sinn innewohnt. Camus zeigt allerdings noch einen weiteren Aspekt auf, der für jede "Demokratie" von Bedeutung ist. Die Tyrannei, ausgehend von einem wie auch immer gearteten Willen, wird nur durch uneingeschränkten Opportunismus möglich.
"Der Wille zum System ist ein Mangel an Rechtschaffenheit." Dieses Zitat aus Friedrich Nietzsches "Götzendämmerung" findet sich im Tagebuch Albert Camus im Jahr 1939. Ein Jahr zuvor tauchen im Tagebuch auch der Name Caligula und die gereifte Idee zum gleichnamigen Stück auf. Europa stand am Rande des Abgrundes und der hellsichtige Camus sah in Hitler einen neuen Caligula.
Lilly Forgách, Philipp Moschitz, Wilhelm Beck |
Die Werke Albert Camus´, Vollender und konsequentester Vertreter des philosophischen Existenzialismus, sind schwer- bis unverdaulich. Es sind nicht die Geschichten, die uns schaudern lassen, sondern deren letzte Wahrheiten, die da lauten, das Sein hat keinen tieferen Sinn und die Grundfrage ist die nach dem Selbstmord! Diese Frage kennt bei Camus nur zwei Antworten: Gelingt es uns, unser Sein mit einem Sinn zu erfüllen, so haben wir ein Recht auf Leben, wenn nicht ... Nur selten finden sich Kunstwerke, die uns derart bedrängen. Es ist allemal eine gewaltige Herausforderung, dieses Werk auf die Bühne zu bringen. Wie auch immer das Ergebnis ausfällt, allein der Versuch in einer Zeit der Geistesarmut ist Verdienst.
Jochen Schölch nahm die Herausforderung dieses Stückes an und, das vorweg, bestand, obgleich seine Eingriffe in das Werk grenzwertig waren. Für seinen Exkurs über perverse Machtentfaltung schuf Quint Buchholz ein Bühnenbild, das Mussolini vermutlich geliebt, Albert Speer vermutlich in Begeisterung versetzt und G.W. Bush vermutlich wohl zu der schlichten Bemerkung verleitet hätte: "Ist ja wie am Weißen Haus." Weiße Säulen suggerierten imperialen Anspruch; es war kein Ort zum Leben, aber wohl ein guter zum Sterben oder um über Tod zu sprechen. Die existenzielle Kühle, durch die gelungene Lichtregie von Tobias Zohner, unmerklich aber effektvoll gesteigert, verschlug einen schnell an die Seite des "Fremden", Camus wohl berühmtester Romanfigur.
Jochen Schölch inszenierte seine Vorstellung von einem sehr zeitgemäßen Tyrannen. Schrill ausstaffiert von Christl Wein gab Phillip Moschitz einen überdrehten jungen Mann, der einem VIVA-Clip hätte entsprungen sein können. Moschitz´ Caligula sah in fast jedermann seinen Feind und in allen Frauen seine Drusilla. In den Momenten der Erinnerung an die geliebte Schwester erlebte der Zuschauer den altbekannten Magier Schölch, der scheinbar aus dem Nichts Drusilla auferstehen und wieder verschwinden ließ. In dieser Arbeit allerdings verzichtete der Regisseur weitestgehend auf theatralische Effekte und schälte die Charaktere aus den Rollen heraus. Phillip Moschitz gelang mit seiner Darstellung des Caligula ohne Frage eine große Leistung, allein, das letzte Quäntchen fehlte. So blieben einige im Text befindliche Momente, die den Atem hätten stocken lassen, auf der Strecke. Immerhin bewies der junge Darsteller sein unbestrittenes Talent. Die grandioseste Leistung vollbrachte vielleicht die Darstellerin einer Nebenrolle. Judith Toth spielte die Frau des Mucius. Sie war vom Kaiser auserkoren, die perversesten seiner Gelüste zu befriedigen. In Judith Toths stummem Antlitz spiegelte sich der wahre Horror.
Jochen Schölch hatte den Text auf nur neun Rollen zusammengestrichen. Die Figuren Cherea (Bernhard Letizky), Lepidus (Wilhelm Beck), Livia (Susanne von Medvey) und Mucius (Martin Dudeck) verkörperten mehr oder weniger unisono und peinlich hingebungsvoll den Staatsapparat. Caligula war ihnen nur recht: "Dieser Kaiser war großartig." (…) "Ja, genau wie ein Kaiser sein soll: gewissenhaft und ohne Erfahrung."
Einer immerhin der versteht das Monster. Scipio (Felix Kuhn) ist Künstler, Dichter und empfindet mit ihm, wenn er von seinem Streben nach dem Unmöglichen faselt. Auch hier schimmert Nietzsche durch, den Camus in seinem Tagebuch wieder und wieder zitiert: "Der tragische Künstler ist kein Pessimist - er sagt gerade Ja zu allem Fragwürdigen und Furchtbaren selbst…" (Götzendämmerung)
Am Ende starb der Tyrann von der Hand des ihm einzig Ergebenen, Helicon (Thomas Meinhardt). Hier wich Jochen Schölch gravierend vom Text ab und zerstörte damit auch noch die letzte Illusion von Loyalität. Dieser Schritt war gewagt, aber nicht unlogisch. In der letzten Konsequenz ist sich jeder selbst der Nächste. Das Tier in uns lässt grüßen.
In der Werbung betont das Metropoltheater, dass zufällige Ähnlichkeiten mit lebenden Personen durchaus beabsichtigt sind. Das Thema ist zu vielfältig und facettenreich, um jetzt durch eingrenzende Maßnahmen dem Publikum die Lust am wieder erkennen zu nehmen. Die Zahl ist heute wie damals groß: "Die Politik und das Schicksal der Menschen werden von Männern (und Frauen - Anm. W.B.) ohne Ideale noch Größe gemacht." Albert Camus: Tagebücher 1935-1951.
Eines sollten wir allerdings unterlassen, nämlich mit den Fingern auf die vermeintlichen Tyrannen und politischen Autisten zu zeigen. Wir sind die Tyrannen und die, die als solche in Erscheinung treten, sind nur die Summe aus unseren tyrannischen Elementen. "Wollte ich mich ungehindert gehen lassen, so läge es wohl in mir, mich selbst und meine Umgebung zu Grunde zu richten …", gestand kein geringerer als Goethe seinem Sekretär Eckermann. Ohne uns gibt es keine Tyrannis!
Wieder einmal ist dem Metropol Theater eine streitbare Arbeit gelungen, die zurecht Zuschauer anziehen wird.
Wolf Banitzki
Jochen Schölch nahm die Herausforderung dieses Stückes an und, das vorweg, bestand, obgleich seine Eingriffe in das Werk grenzwertig waren. Für seinen Exkurs über perverse Machtentfaltung schuf Quint Buchholz ein Bühnenbild, das Mussolini vermutlich geliebt, Albert Speer vermutlich in Begeisterung versetzt und G.W. Bush vermutlich wohl zu der schlichten Bemerkung verleitet hätte: "Ist ja wie am Weißen Haus." Weiße Säulen suggerierten imperialen Anspruch; es war kein Ort zum Leben, aber wohl ein guter zum Sterben oder um über Tod zu sprechen. Die existenzielle Kühle, durch die gelungene Lichtregie von Tobias Zohner, unmerklich aber effektvoll gesteigert, verschlug einen schnell an die Seite des "Fremden", Camus wohl berühmtester Romanfigur.
Jochen Schölch inszenierte seine Vorstellung von einem sehr zeitgemäßen Tyrannen. Schrill ausstaffiert von Christl Wein gab Phillip Moschitz einen überdrehten jungen Mann, der einem VIVA-Clip hätte entsprungen sein können. Moschitz´ Caligula sah in fast jedermann seinen Feind und in allen Frauen seine Drusilla. In den Momenten der Erinnerung an die geliebte Schwester erlebte der Zuschauer den altbekannten Magier Schölch, der scheinbar aus dem Nichts Drusilla auferstehen und wieder verschwinden ließ. In dieser Arbeit allerdings verzichtete der Regisseur weitestgehend auf theatralische Effekte und schälte die Charaktere aus den Rollen heraus. Phillip Moschitz gelang mit seiner Darstellung des Caligula ohne Frage eine große Leistung, allein, das letzte Quäntchen fehlte. So blieben einige im Text befindliche Momente, die den Atem hätten stocken lassen, auf der Strecke. Immerhin bewies der junge Darsteller sein unbestrittenes Talent. Die grandioseste Leistung vollbrachte vielleicht die Darstellerin einer Nebenrolle. Judith Toth spielte die Frau des Mucius. Sie war vom Kaiser auserkoren, die perversesten seiner Gelüste zu befriedigen. In Judith Toths stummem Antlitz spiegelte sich der wahre Horror.
Jochen Schölch hatte den Text auf nur neun Rollen zusammengestrichen. Die Figuren Cherea (Bernhard Letizky), Lepidus (Wilhelm Beck), Livia (Susanne von Medvey) und Mucius (Martin Dudeck) verkörperten mehr oder weniger unisono und peinlich hingebungsvoll den Staatsapparat. Caligula war ihnen nur recht: "Dieser Kaiser war großartig." (…) "Ja, genau wie ein Kaiser sein soll: gewissenhaft und ohne Erfahrung."
Einer immerhin der versteht das Monster. Scipio (Felix Kuhn) ist Künstler, Dichter und empfindet mit ihm, wenn er von seinem Streben nach dem Unmöglichen faselt. Auch hier schimmert Nietzsche durch, den Camus in seinem Tagebuch wieder und wieder zitiert: "Der tragische Künstler ist kein Pessimist - er sagt gerade Ja zu allem Fragwürdigen und Furchtbaren selbst…" (Götzendämmerung)
Am Ende starb der Tyrann von der Hand des ihm einzig Ergebenen, Helicon (Thomas Meinhardt). Hier wich Jochen Schölch gravierend vom Text ab und zerstörte damit auch noch die letzte Illusion von Loyalität. Dieser Schritt war gewagt, aber nicht unlogisch. In der letzten Konsequenz ist sich jeder selbst der Nächste. Das Tier in uns lässt grüßen.
In der Werbung betont das Metropoltheater, dass zufällige Ähnlichkeiten mit lebenden Personen durchaus beabsichtigt sind. Das Thema ist zu vielfältig und facettenreich, um jetzt durch eingrenzende Maßnahmen dem Publikum die Lust am wieder erkennen zu nehmen. Die Zahl ist heute wie damals groß: "Die Politik und das Schicksal der Menschen werden von Männern (und Frauen - Anm. W.B.) ohne Ideale noch Größe gemacht." Albert Camus: Tagebücher 1935-1951.
Eines sollten wir allerdings unterlassen, nämlich mit den Fingern auf die vermeintlichen Tyrannen und politischen Autisten zu zeigen. Wir sind die Tyrannen und die, die als solche in Erscheinung treten, sind nur die Summe aus unseren tyrannischen Elementen. "Wollte ich mich ungehindert gehen lassen, so läge es wohl in mir, mich selbst und meine Umgebung zu Grunde zu richten …", gestand kein geringerer als Goethe seinem Sekretär Eckermann. Ohne uns gibt es keine Tyrannis!
Wieder einmal ist dem Metropol Theater eine streitbare Arbeit gelungen, die zurecht Zuschauer anziehen wird.
Wolf Banitzki
Caligula
von Albert Camus
Philipp Moschitz, Lilly Forgách, Thomas Meinhardt, Felix Kuhn, Bernhard Letizky, Wilhelm Beck, Susanne von Medvey, Martin Dudeck, Judith Toth Regie: Jochen Schölch |