Metropol Theater Dogville von Lars v. Trier
Wiederauferstehung des Epischen Theaters
Auf einer atmosphärischen Drehbühne aus groben Dielenbrettern befanden sich nicht mehr als vier hölzerne Bänke und ein paar Hocker. Im Bühnenhintergrund ein kreisrundes Fenster mit einem Blick auf einen Miniaturfelsvorsprung, worauf der Ort Dogville gebettet war. Eine Erzählerin trat auf und führte das Publikum in die Geschichte um die Stadt am Fuße der Rocky Mountains ein. Zwölf Bewohner wurden vorgestellt. Sie trugen holzschnittartige Masken. Es wurde die Geschichte von Tom, dem Weltverbesserer und Nichtstuer, und Grace, dem Mädchen aus scheinbar gutem Hause, die es auf der Flucht vor Gangstern nach Dogville verschlug, erzählt. Tom, ein fadenscheiniger Moralist, überredete die Gemeinde, ihre Moralität unter Beweis zu stellen und Grace aufzunehmen, sie vor den Verfolgern und auch vor dem korrupten System zu beschützen. Grace war beglückt und brachte sich voller Dankbarkeit vorurteilsfrei in die Gemeinschaft ein. Doch bald schon wurden die seelischen Schattenseiten der Bewohner sichtbar. Das Ende ist eine schlimmstmögliche Katastrophe. Damit genug der Geschichte. Mehr erzählen, hieße den Plot zu verderben und wer möchte eingangs eines Krimis schon wissen, wer der Mörder ist.
Was ist der Mensch? Dieser Frage ging schon Lars von Trier in seinem aus dem Jahre 2003 stammenden Film nach. Ist der in der Gesellschaft verankerte Mensch ein moralisches Wesen oder doch nur ein Wesen, das seiner Triebhaftigkeit folgt, ein Tier? Die Frage wird sehr eindeutig zu Ungunsten des Menschen entschieden. Wer den Film kennt, wird sich sicherlich daran erinnern, wie dieses hochgradig suggestive und wohl auch manipulative Werk alle scheinbar sicheren Grundfesten des Betrachters erschütterte. Insofern ist das Werk mit äußerster Vorsicht zu genießen. Es ist zweifellos ein Geniestreich filmischer Kunst und dennoch nicht kritiklos hinzunehmen.
Auf einer atmosphärischen Drehbühne aus groben Dielenbrettern befanden sich nicht mehr als vier hölzerne Bänke und ein paar Hocker. Im Bühnenhintergrund ein kreisrundes Fenster mit einem Blick auf einen Miniaturfelsvorsprung, worauf der Ort Dogville gebettet war. Eine Erzählerin trat auf und führte das Publikum in die Geschichte um die Stadt am Fuße der Rocky Mountains ein. Zwölf Bewohner wurden vorgestellt. Sie trugen holzschnittartige Masken. Es wurde die Geschichte von Tom, dem Weltverbesserer und Nichtstuer, und Grace, dem Mädchen aus scheinbar gutem Hause, die es auf der Flucht vor Gangstern nach Dogville verschlug, erzählt. Tom, ein fadenscheiniger Moralist, überredete die Gemeinde, ihre Moralität unter Beweis zu stellen und Grace aufzunehmen, sie vor den Verfolgern und auch vor dem korrupten System zu beschützen. Grace war beglückt und brachte sich voller Dankbarkeit vorurteilsfrei in die Gemeinschaft ein. Doch bald schon wurden die seelischen Schattenseiten der Bewohner sichtbar. Das Ende ist eine schlimmstmögliche Katastrophe. Damit genug der Geschichte. Mehr erzählen, hieße den Plot zu verderben und wer möchte eingangs eines Krimis schon wissen, wer der Mörder ist.
Was ist der Mensch? Dieser Frage ging schon Lars von Trier in seinem aus dem Jahre 2003 stammenden Film nach. Ist der in der Gesellschaft verankerte Mensch ein moralisches Wesen oder doch nur ein Wesen, das seiner Triebhaftigkeit folgt, ein Tier? Die Frage wird sehr eindeutig zu Ungunsten des Menschen entschieden. Wer den Film kennt, wird sich sicherlich daran erinnern, wie dieses hochgradig suggestive und wohl auch manipulative Werk alle scheinbar sicheren Grundfesten des Betrachters erschütterte. Insofern ist das Werk mit äußerster Vorsicht zu genießen. Es ist zweifellos ein Geniestreich filmischer Kunst und dennoch nicht kritiklos hinzunehmen.
© Hilda Lobinger |
Das Metropol Theater kündigte den Film und auch die eigene Adaption als Werke an, in denen der Brechtsche Geist atmete. Das Epische Theater wurde beschworen. In Bezug auf den Film ist diese These höchst fragwürdig, denn Episches Theater zeichnet sich nicht nur dadurch aus, dass eine Geschichte "erzählt" wird. Vielmehr ging es Brecht darum, durch die Verfremdung dem Zuschauer zu verdeutlichen, dass die Akteure immer und ausschließlich Schauspieler sind, die eine Geschichte erzählen. Brecht wollte damit verhindern, dass der Zuschauer aufgrund der starken Suggestion in eine geistige Ohnmacht fällt und kritiklos wird. Dem Zuschauer bleibt das letzte Wort. Damit rechtfertigte Brecht auch seine These von der didaktischen Einflussnahme auf den Zuschauer, etwas, was in Zeiten des Individualismus und uneingeschränkter Selbstbestimmung (auch gegen die Interessen der menschlichen Sozietät), rundweg abgelehnt wird, obgleich sie doch Sinn macht. Bei genauerer Betrachtung wird der Zuschauer dabei nämlich nicht entmündigt.
Der eine oder andere Leser wird nun denken: ‚Aha, wir haben es beim Kritiker mit einem Brechtianer zu tun.' Das ist bis zu einem gewissen Grad richtig. Aber es ist nicht die Wahrheit, denn Jochen Schölch lässt Brecht mit "Die Seeräuber Jenny oder Träume eines Küchenmädchens" aus der "Dreigroschenoper" selbst zu Wort kommen. Dieser wunderbar-anarchische Text fungiert im Stück als Parabel und wer ihn kennt, könnte das Ende bereits erahnen. Wer nicht, lasse sich vom Gesang der Damen ergreifen. Zudem war das Gedicht der Auslöser für Lars von Trier, "Dogville" zu schreiben und zu inszenieren.
Man kann vorwegnehmen, dass Jochen Schölch mit dieser ästhetisch und inhaltlich brillanten Leistung dem Anspruch Brechts in einem Maße gerecht wurde, wie man es selbst in der ehemaligen DDR selten zu sehen bekam. Und dort war das Epische Theater Staatstheater.
Nach nur wenigen Minuten geriet der Betrachter in den Sog der Geschichte und die Kargheit der Bühne von Christl Wein verwandelte sich in ein Universum menschlichen, allzumenschlichen Treibens. Immer wieder wurde die Handlung unterbrochen, in dem die jungen Akteure unter ihren Masken hervortraten und den Fortgang beschrieben. Der Zuschauer stattete diese in seiner eigenen Fantasie mit allen Eigenschaften aus, die sie zu wirklichen Menschen machten. In keinem Moment jedoch konnte das Gefühl aufkommen, es handele sich um die Menschen Dogvilles und dennoch wurden die Figuren bedrückend plastisch.
Die Darsteller, allesamt Studenten der Bayerischen Theaterakademie August Everding, einzeln zu benennen, ist schier unmöglich. Jochen Schölch ließ sie mehr oder weniger unsichtbar in alle möglichen Rollen schlüpfen. So wurde die Grace allein von mindestens drei (vermutlich sogar von vier) jungen Damen gespielt. Ebenso war die Rolle des Tom besetzt. Es war ein weiterer sinnvoller Einfall im Umgang mit Brechts Verfremdungseffekt und in dieser Inszenierung beinahe ein nachhaltiger Beweis für die Richtigkeit dieser Methode. Während im Film von Lars von Trier Nicole Kidman noch Elemente des Starkultes bediente, gab es in der Metropol Theater Inszenierung einen wahren Sternenhimmel darstellerischer Höchstleistungen, auf die alle Beteiligten mit guten Grund stolz sein können.
Im Gegensatz zum Film betrügt die Inszenierung niemanden. Dass Lars von Trier dies tat, beweist die Tatsache, dass er Frau Kidman, eine doch recht überbewertete Schauspielerin, schlicht weg "verbraten" hat. Sie muss es gespürt haben, denn sie weigerte sich nach den Dreharbeiten lautstark, jemals wieder mit dem "Kultregisseur" zusammen zu arbeiten. (Gleiches gibt es von Björk zu berichten , die die Hauptrolle im Trierfilm "Dancers in the dark" spielte.)
Jochen Schölch hat sich mit dieser Arbeit erneut als ein exzellenter Theatermacher empfohlen. Darüber hinaus hat er sich mit der überzeugenden Beherrschung dieser Theatermethode einmal mehr als Lehramtsinhaber qualifiziert, denn gerade in diesem Bereich stößt man nicht selten (wohl auch ideologisch bedingt - "Es lebe das bürgerliche Amüsiertheater!") auf himmelschreiende Inkompetenz.
Der eine oder andere Leser wird nun denken: ‚Aha, wir haben es beim Kritiker mit einem Brechtianer zu tun.' Das ist bis zu einem gewissen Grad richtig. Aber es ist nicht die Wahrheit, denn Jochen Schölch lässt Brecht mit "Die Seeräuber Jenny oder Träume eines Küchenmädchens" aus der "Dreigroschenoper" selbst zu Wort kommen. Dieser wunderbar-anarchische Text fungiert im Stück als Parabel und wer ihn kennt, könnte das Ende bereits erahnen. Wer nicht, lasse sich vom Gesang der Damen ergreifen. Zudem war das Gedicht der Auslöser für Lars von Trier, "Dogville" zu schreiben und zu inszenieren.
Man kann vorwegnehmen, dass Jochen Schölch mit dieser ästhetisch und inhaltlich brillanten Leistung dem Anspruch Brechts in einem Maße gerecht wurde, wie man es selbst in der ehemaligen DDR selten zu sehen bekam. Und dort war das Epische Theater Staatstheater.
Nach nur wenigen Minuten geriet der Betrachter in den Sog der Geschichte und die Kargheit der Bühne von Christl Wein verwandelte sich in ein Universum menschlichen, allzumenschlichen Treibens. Immer wieder wurde die Handlung unterbrochen, in dem die jungen Akteure unter ihren Masken hervortraten und den Fortgang beschrieben. Der Zuschauer stattete diese in seiner eigenen Fantasie mit allen Eigenschaften aus, die sie zu wirklichen Menschen machten. In keinem Moment jedoch konnte das Gefühl aufkommen, es handele sich um die Menschen Dogvilles und dennoch wurden die Figuren bedrückend plastisch.
Die Darsteller, allesamt Studenten der Bayerischen Theaterakademie August Everding, einzeln zu benennen, ist schier unmöglich. Jochen Schölch ließ sie mehr oder weniger unsichtbar in alle möglichen Rollen schlüpfen. So wurde die Grace allein von mindestens drei (vermutlich sogar von vier) jungen Damen gespielt. Ebenso war die Rolle des Tom besetzt. Es war ein weiterer sinnvoller Einfall im Umgang mit Brechts Verfremdungseffekt und in dieser Inszenierung beinahe ein nachhaltiger Beweis für die Richtigkeit dieser Methode. Während im Film von Lars von Trier Nicole Kidman noch Elemente des Starkultes bediente, gab es in der Metropol Theater Inszenierung einen wahren Sternenhimmel darstellerischer Höchstleistungen, auf die alle Beteiligten mit guten Grund stolz sein können.
Im Gegensatz zum Film betrügt die Inszenierung niemanden. Dass Lars von Trier dies tat, beweist die Tatsache, dass er Frau Kidman, eine doch recht überbewertete Schauspielerin, schlicht weg "verbraten" hat. Sie muss es gespürt haben, denn sie weigerte sich nach den Dreharbeiten lautstark, jemals wieder mit dem "Kultregisseur" zusammen zu arbeiten. (Gleiches gibt es von Björk zu berichten , die die Hauptrolle im Trierfilm "Dancers in the dark" spielte.)
Jochen Schölch hat sich mit dieser Arbeit erneut als ein exzellenter Theatermacher empfohlen. Darüber hinaus hat er sich mit der überzeugenden Beherrschung dieser Theatermethode einmal mehr als Lehramtsinhaber qualifiziert, denn gerade in diesem Bereich stößt man nicht selten (wohl auch ideologisch bedingt - "Es lebe das bürgerliche Amüsiertheater!") auf himmelschreiende Inkompetenz.
Wolf Banitzki
Dogville
von Lars v. Trier
Dejan Bucin, Larissa Fuchs, Franziska Herrmann, Sonja Isemer, Frederic Linkemann, Christoph Müller, Dimitrij Schaad, Julia Sontag, Isa Weiß Regie: Jochen Schölch |