Metropol Theater Die Ehrmanns


 

 
Im Herzen des deutschen Glücks

Es ist kaum zu glauben, dass es einen historischen Augenblick gab, in dem sich die Deutschen einig waren, nie wieder eine Waffe in die Hand zu nehmen, dass Bundeskanzler Ludwig Erhard, Vater des Wirtschaftswunders, von den Risiken einer neoliberalen Wirtschaft warnte, dass ein Lederball das deutsche Selbstbewusstsein (scheinbar) auf eine neue qualitative Stufe katapultierte, dass das Ignorieren der eigenen Vergangenheit so reibungslos funktionierte, …

Es ist kaum zu glauben, welche Lieder in dieser Zeit gesungen wurden, wie rasant deutsche Körperfülle expandierte und wie man bei all dem Schwachsinn den Augenschein von Glück erwecken konnte. Und doch, es ist wahr, es hat diese 50er gegeben. Friedrich Rauchbauer (Idee und Konzept) und Jochen Schölch (Szenische Einrichtung) ließen sie auferstehen, die Jahre des Aufbruchs in die deutsche Saturiertheit, die nie wieder überwunden wurde. Allein, die Wurzel sind vergessen. - Hoppla, mitnichten, wie man im Metropoltheater erleben konnte, denn neben der Fraktion derer, die mit ungläubigen Gesichtern auf die Szene starrten, gab es eine Fraktion derer, die erinnerungsselig mitschunkelten und auch -sangen. Diese Wirkung war doch höchst irritierend. Lag es nun in den Intentionen der Macher, eine Zeit auferstehen zu lassen oder mit dieser Zeit abzurechnen? Zugunsten des Theater sei unterstellt, sie taten ersteres, um das Zweite zu erreichen. Auf das fatale Ergebnis soll später noch einmal zurückgegriffen werden.
 
   
 

Lilly Forgách, Susanne von Medvey, Markus H. Eberhard, Philipp Moschitz, Henriette Schmidt

© Hilda Lobinger

 

 

Die Macher nannten es einen Liederabend. Friedrich Rauchbauer begleitete "stimmungsvoll" am Klavier. Gespielt wurde im beinahe gleichen Bühnenbild von "Frohes Fest" (Thomas Flach). Jochens Schölch arrangierte die wenigen Handlungsabläufe so, dass der Eindruck entstand, es handele sich um einen beliebigen Tag im Leben der Familie Ehrmann. So kam doch immerhin durchgängig vom Gesang begleitet eine Handlung zustande, wenn auch etwas brüchig. Nach einem gemeinsamen Frühstück träumt die Mutter Caterina Ehrmann (Susanne von Medvey) Staubsauger rollernd ihre schicklichen Sehnsüchte aus. Caterina Valente lieh ihr Text und Melodie. Tochter Cornelia (Henriette Schmidt) war verliebt, tat dies über eine Rundfunksendung kund und erhielt prompt von ihrem Peter eine Einladung zum Schulabschlussball. Mittags, Heinz Ehrmann (Markus H. Eberhard) kam zum Essen nach Hause, plante man den Urlaub. Kanada, Mexiko, Italien wurden vorgeschlagen, doch der Schwarzwald, Wohnsitz der Tante, war vom Vater bereits auserkoren. (Vielleicht Heideggers Schafe besuchen?) Man musste schließlich sparen. Dann fiel Tante Linda (Lilly Forgách), die Schwester Caterinas, ein und schuf einige Verwirrung. Da war ein Geschenk für den Hein-Simon (Philipp Moschitz), eine Platte von Jerry Lee Lewis. Für einen kurzen Moment riss der Mief unter den hämmernden Takten des Rock and Roll Pianisten auf. Vater Heinz reagierte, als wäre ihm der Teufel erschienen. Tante Linda, die den Duft der großen weiten Welt verbreitete, war angeödet und kompensierte dieses Gefühl trinkend. Dann landeten Kippen im Topf des Gummibaums. Die Reaktion war heftig und als Linda sich in den Topf des heiligen Grüns übergab, herrschte Ratlosigkeit. Man verabschiedete sie dezent und mit Nachdruck. Dann Tagesschau: Ströme von Flüchtlingen ergossen sich in die freie Welt. Adenauer beschwor eine wehrhafte Nation und Ludwig Erhard verstand es nicht, warum die Menschen so egoistisch sind. Am Ende gewann die Familie Ehrmann im Radio noch eine Weltreise. Der Jubel war unbeschreiblich und das Leben ist so schön … Die Tagesschau war letztlich der Beweis, dass es den Theatermachern nicht um eine Retro-Revue populärer Lieder ging.

"Wo gesungen wird, da lass dich nieder, böse Menschen kennen keine Lieder." Ob der Dichter eine Vorstellung hatte, was es für Lieder geben kann? Wohl kaum. Dabei leben die Künstler noch immer im Gedächtnis der Nation: Heinz Erhardt, Caterina Valente, Cornelia Froboess, Melina Mercouri. Sie waren die Helden der 50er, seicht, belanglos, einlullend … An dieser Stelle soll noch einmal auf die Tatsache zurück gegriffen werden, dass das Publikum gespalten war. Der eine Teil nahmen es pur, der andere konnten es kaum fassen. Könnte das nicht bedeuten, dass ein nicht unbeträchtlicher Teil unserer Mitbürger offen ist für derartige "Künste"? Gemeint sind natürlich die Lieder, die Ästhetik der Zeit, die kaum zu beschreibende Spießigkeit im Sein und Denken. Der Verdacht liegt nahe.

So unauffällig die Sache daherkommt, es steckt viel Provokation dahinter. Die Darsteller brillierten, insbesondere Philipp Moschitz, der als Ex-Kinderstar erstaunliche Musikalität bewies. Markus H. Eberhard stach von der ersten Sekunde an als Heinz Erhardt ins Auge. Er kopierte den häufig am Rande der Albernheit agierenden Komödianten, ohne ihn zu denunzieren. Das besorgte die eigene Erinnerung. Susanne von Medvey und Henriette Schmidt gestalteten Mutter und Tochter schauspielerisch wie gesanglich souverän. Einzig Lilly Forgách als trinkende Tante konnte mit ihrer stimmlichen Gestaltung nicht immer überzeugen.

Die Meinungen über diese Inszenierung und deren Sinn werden vermutlich auseinander driften. Wenn gleich diese Produktion das Publikum nicht spalten wird, so wird die Geschichte doch polarisieren. Und damit dies auch geschieht, hier eine These: Diese Inszenierung leistet mehr Aufklärung zum Thema RAF (und warum sie entstand) als das an den Kammerspielen gegebene Stück "Ulrike Maria Stuart" von Elfriede Jelinek. Mein letzter Gedanke war identisch mit dem von Kurtz in "Herz der Finsternis" von Joseph Conrad: "Das Grauen! Das Grauen!" Wer ahnt, wovon hier die Rede ist, der sollte es sich anschauen. Es ist ein wahrlich gruseliges Kabinettstück.



Wolf Banitzki

 

 


Die Ehrmanns

Ein Liederabend über die goldenen Fünfziger Jahre

Idee und Konzept: Friedrich Rauchbauer

Markus H. Eberhard, Lilly Forgách, Susanne von Medvey, Philipp Moschitz, Henriette Schmidt
Klavier: Friedrich Rauchbauer

Szenische Einrichtung: Jochen Schölch