Metropol Theater Tannöd von Andrea Schenkel


 

 

Tannöd - ein bebildertes Hörbuch

Tannöd war ein abgelegener Hof. Man mied ihn, denn die Bewohner waren unfreundlich und ungastlich. Verwahrlosung hatte Einzug gehalten, wie Besucher zu berichten wussten. Doch dann geschah das Unfassbare. Die ganze Familie, insgesamt sechs Personen, wurde über Nacht martialisch ermordet. Die Untersuchungen verliefen im Sande. Weder ein Mörder noch ein Motiv konnte ermittelt werden. Andrea Maria Schenkel griff den aus dem Jahr 1922 stammenden Stoff auf und erzählte ihn neu. Dabei verlegte sie die Geschichte in die Nachkriegszeit, eine Zeit, durch die noch immer der Geist einer archaischen Landschaft vermischt mit dem Geist des gerade untergegangenen 3. Reiches wehte. Jochen Schölch, angetan von der erzählerischen Kraft der Prosavorlage, adaptierte die Geschichte für die Bühne des Metropol Theaters.

Der Zuschauer erfuhr, was die authentische Geschichte um den Kriminalfall "Hinterkaifeck" schuldig blieb, Täter und Motiv. Andrea Maria Schenkels fiktionale Aufarbeitung ist in sich logisch und schlüssig. Der Bauer Danner heiratete in den Hof ein, um ihn in seinen Besitz zu bringen. Er schändete die noch kindliche Tochter und zeugte später zwei Kinder mit ihr. Eines wurde einem arglosen Zugewanderten untergeschoben, der, als er schließlich dahinter kam, ausbezahlt wurde und angeblich nach Amerika verschwand. Das zweite Kind wurde dem verwitweten Nachbarn ins Nest gelegt. Der, in Barbara sein spätes Glück erhoffend, kam über ihre letztgültige Ablehnung nicht hinweg und töte in tiefster Verzweifelung die gesamte Familie.

Es ist eine Geschichte, wie sie einmal wöchentlich in der Bild-Zeitung zu lesen ist. Man hat sich beinahe daran gewöhnt. Es war auch nicht die Geschichte, um die es Schenkel/Schölch ging, sondern um das Umfeld und die Reaktion auf die Bluttat. Bei näherem Hinschauen taten sich Abgründe auf, die erschauern ließen. Von irrwitzigsten Aberglauben über religiöse Bigotterie hin zu Hass und Ignoranz fand sich jede Denkungsart des Diabolischen. Nur Menschlichkeit fand nicht statt und als der Mörder selbst am Grab der Ermordeten trauerte, war das Bild von einer irdischen Hölle komplett.
 
   
 

Thomas Meinhardt, Andreas Thiele, Martin Dudek

© Hilda Lobinger

 

 

Bei der zumindest in Bayern hinlänglich bekannten Geschichte ging es um größere Fragestellungen als die um Motiv und Täter. Es stellte sich die Frage, ob es den Gott gibt, den jedermann so beflissen im Munde führte. Diese Frage wurde verneint. Doch man gelangte immerhin zu einer anderen Antwort, nämlich zu der nach einer Hölle, die "auf Erden, in unseren Köpfen, in unseren Herzen ist." Diese Hölle könnte jederzeit über uns hereinbrechen.

So wenig spektakulär wie diese Erkenntnis war denn auch die theatralische Umsetzung auf der Bühne. Es war eine minimalistische Inszenierung, die auf die Darsteller baute. Nicht verwunderlich für den, der Jochen Schölchs Ästhetik kennt. Die Bühne von Thomas Flach zeigte nur eine abgearbeitete Tür, die sich scheinbar auch von selbst bewegte und einen kleinen groben Tisch. Rechts, ein wenig im Hintergrund gesichtslose bekleidete Ständer, die die permanente Anwesenheit der Ermordeten suggerierten, und dem z.T. das Spiel der Darsteller entstieg. Das war jedoch eine Lösung, die der fleißige Metropoltheatergänger bereits kannte. Einige rote Kerzen waren positioniert, die bei Bedarf verrückt oder gelöscht wurden.

Von Spiel konnte dabei kaum die Rede sein. Die Darsteller deklamierten, monologisierten oder erzählten. Es war keine Dramatik, sondern Epik. Das führte denn auch zu etlichen Längen. Es gab wenig Überraschendes und die Geschichte bewegte sich ziemlich zäh auf einen Plot zu, der recht bald absehbar war. Einige wenige bemerkenswerte Lösungen bleiben im Gedächtnis; beispielsweise wenn Judith Toth für den Zuschauer uneinsehbar Thomas Meinhardt ihre Stimme lieh, wenn dieser die alte Bäuerin spielte. Auch die sichtbare Verwandlung Andreas Thieles von einem Kind in einen Amtmann erinnerte daran, dass es sich um Theater handelte. Allen Darstellern war ihr Engagement anzumerken, das sich leider nicht im szenischen Spiel entfalten konnte.

Unterm Strich blieb eine bekannte Geschichte, die vornehmlich erzählt und kaum erspielt wurde und deren Katharsis ausblieb. Oder mit anderen Worten, der Zuschauer erlebte ein bebildertes Hörbuch.

 
Wolf Banitzki

 

 


Tannöd

von Andrea Schenkel

Christian Baumann, Martin Dudeck, Thomas Meinhardt, Andreas Thiele, Judith Toth, Susanne von Medvey, Elisabeth Wasserscheid

Regie: Jochen Schölch