Metropol Theater Woyzeck nach Georg Büchner von Tom Waits/Kathleen Brennan/Robert Wilson


 

 

Das Tier

Ein großer, mit weißem Stoff verhängter Würfel nahm die Bühne des Metropol Theaters ein. Sound. Der Ausrufer erschien im Scheinwerferlicht. Zylinder, weißes Gesicht, schwarze Brauen und grauer Frack, „The higher the monkey can climb …“, sang sie. Licht fiel auf den Würfel, eine Mücke, die sie geschickt mit dem Hut fing, dann der Schatten eines Esels, er wackelt mit den Ohren, dem Schwanz. „…nothing kind about mankind…“. Der Ausrufer schwang den Stock, bewegte den Vorhang, zog ihn auf den mit schwarzen Plastiksäcken ausgelegten Bühnenboden. Ein großer wandelbarer Stahlkäfig mit Öffnungen, Klappen und einer Querstange als Sitzplatz beherrschte das Bild. In ihm standen nun Franz, Marie, der Hauptmann, der Doktor, der Tambourmajor und Andres – ihre Körper hatten den Schatten geworfen.

Woyzeck, ein einfacher Soldat, muss Geld verdienen für Marie und für das gemeinsame Kind. Er tut dies im Rahmen seiner Möglichkeiten, rasiert den Hauptmann, dient dem Doktor als Versuchs“tier“, frisst nur Erbsen. Marie begegnet in der Zwischenzeit dem Tambourmajor, der ihr goldene Ohrringe schenkt und laut darüber nachdenkt mit ihr weitere Tambourmajore zu zeugen. Woyzeck macht sich Gedanken über das Leben und das Tun der Menschen, kommt dem Wahn nahe, dem eigenen und dem der anderen. Als er von Maries Untreue erfährt, bleibt nur eine Konsequenz.

Die Armee, die Wissenschaft, die Fortpflanzung und das Vergnügen daran bilden die äußeren Schwerpunkte für das, die Abgründe der armen geknechteten Kreatur ausleuchtende Werk. „Langsam, Woyzeck, langsam; eins nach dem andern! …“, stellt der Hauptmann fest, der sich den Tag zu füllen sucht.  Franz kann sich derlei nicht leisten: „… Sehn Sie: wir gemeine Leut, das hat keine Tugend, es kommt nur so die Natur; …“ Jochen Schölch betonte in seiner Inszenierung die tierische Natur des Menschen und seine verzweifelten Versuche, mit dieser zu leben. In einer Gesellschaft, deren Menschen um Gleichgewicht ringen, zumindest vorgeben dies zu tun, und in der diese tierischen Verhaltensweisen von einer starren scheinbar allgewaltigen Vernunft drangsaliert werden, ist dies ein zweifelsohne sinnfälliger Ansatz.

 
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Georg Stephan, Fabian Stromberger, Agnes Kiyomi Decker, Sebastian Fritz, Benedikt Zimmermann, Evgenija A. Rykova

© Hilda Lobinger

 

 

Im dunklen Hintergrund saßen die Musiker und erfüllten mit ihrem virtuosen Spiel den Raum. Kräftig rockig, sentimental oder melodiös variierten sie und zogen den Zuschauer in den Bann brillant zu Hörgenuss erweckten Tom-Waits-Sounds. Der Ausrufer umschlich den Käfig wie ein Raubtier auf Beutesuche, sang, kommentierte, griff ein. Evgenija A. Rykova gab diese Figur herausfordernd, langbeinig, lebendig. Sie traf stets die richtige Tonart, die passende Geste. Präzise imitierte sie Marie, die im Spiegel ihr Gesicht und die neuen Ohrringe betrachtete, „… the face forgives the mirror …“.  Im Käfig: Woyzeck, gutmütig, leicht und leidensfähig gegeben von Fabian Stromberger, spiegelte er die Situationen durch seine Haltung, kletterte verzweifelt, schlug mit dem Kopf gegen das Gitter, klammerte sich an Marie oder den Käfig. Marie, Agnes Kiyomi Deckers Spiel glich dem einer Puppe, ein modernes Mädchen, dessen Augen Halt suchend durch den Raum streiften, das unmerklich kokett die Schaukel mit dem Tambourmajor teilte. Tambourmajor Sebastian Fritz ließ mit „Ich bin ein Mann“ und dem Griff zur Flasche „Ich wollte die Welt wär Schnaps…“ keinen Zweifel an seiner Rolle aufkommen. Dem Hauptmann, Georg Stephan, gelang die Veranschaulichung von Langsamkeit. Ruhig, behäbig füllte er den Käfig, kletterte er die Wand zur Sitzstange hoch, um sich mit dem Doktor zu unterhalten. Der Doktor, Benedikt Zimmermann, war ein pfiffiger, listiger und wendiger; rücksichtslos auf der Suche nach Anerkennung. Andres, Lilly Grooper, stellte den Gegenpart vor. Ruhig zurückhaltend brachte sie den treuen Begleiter und Freund Woyzecks in den Käfig. Ihr Stottern war meisterhaft und die abschließende Erzählung vom verlassenen weinenden Kind ergreifend. Die Inszenierung zeichnete eine äußerst lebhafte und körperlich aktive Darstellung aus. Die Charaktere waren sorgfältig umgelegt auf die Körpersprache, in der die Darsteller agierten, die Gitterwände hochkletterten, sprachen, sich bewegten. Die Bühnenkünstler aus der Münchner Theaterakademie spielten mit großer Freude und Einsatz. Die Gesangseinlagen gelangen bravourös und mitreißend.

 
 
Tom Waits Songs machen eine weitere Ebene des Fragmentes von Georg Büchner aus dem Jahre 1837 erfahrbar. Stand bislang (bis zur UA des >art-musical< 2002 in Kopenhagen) der Text im Vordergrund, die Bilder, so kommt durch die Musik zusätzlich Bewegung in die Gefühlswelt. Der unverkennbare Sound, die Mischung aus sensibler Romantik und aggressiven Rhythmen, die verbundenen Elemente von Country, Classics, Blues, Pop u.a. berühren, nimmt den Zuhörer ein. Die Lyrics von Kathleen Brennan und Tom Waits bringen neue Perspektiven ins Spiel. Die Situationen werden auch physisch erfahrbarer, was zweifelsohne eine Bereicherung darstellt. Die minimalistische Konzeption Robert Wilsons eröffnet die Tiefe einzelner Schlüsselszenen, ohne den Zusammenhang zu verlieren. Die Lebenswahrheiten und die lebendige Inszenierung von Jochen Schölch schufen zusätzlich Gewicht, das auf die eine oder andere Art von jedem Betrachter erfahren wurde. Wenn sich herausragende Künstler zu einem Werk zusammentun, so kann dies nur einen Höhepunkt bedeuten.


 
C.M.Meier

 

 


Woyzeck

nach dem Stück von Georg Büchner

Musik und Liedtexte von Tom Waits und Kathleen Brennan / Konzept Robert Wilson

Textfassung von Ann-Christin Rommen/Wolfgang Wiens

Fabian Stromberger, Agnes Kiyomi Decker, Georg Stephan, Benedikt Zimmermann, Sebastian Fritz, Lilly Gropper, Evgenija A. Rykova
Musik: F. Rauchbauer, Andreas Lenz v. Ungern-Sternberg, Maria Friedrich, Christoph Sauer, Steffen Schmitt, Christoph Delker

Regie: Jochen Schölch