Metropol Theater Frankenstein nach Mary Shelley
Bald schon mangelte es an Unterhaltung und so kamen die Dichter auf die Idee, einen Wettstreit im Schreiben von Gruselgeschichten zu veranstalten. Byrons Leibarzt Polidori schrieb eine Geschichte mit dem Titel „Der Vampyr“ und läutete damit ziemlich unbemerkt das Genre der Vampirliteratur ein. Die Arbeit von Mary Shelley wurde Weltliteratur und unter dem Titel „Frankenstein“ vielfach adaptiert. Da es sich um einen gut geschriebenen, nach besten Regeln der Prosa verfassten Roman handelte, ließ das Kolportieren nicht lange auf sich warten, und so ist „Frankenstein“ weltweit eine der bekanntesten Literaturfiguren. Doch nur selten werden die Adaptionen dem Anspruch des Shelleyschen Werkes, das übrigens den Originaltitel „Frankenstein or The Modern Prometheus“ trägt, gerecht. Es ist ein Werk mit philosophischen Ambitionen, geht es doch um Schöpfung und um die Verantwortlichkeiten des Schöpfers. Das 20. Jahrhundert sollte mit der Entwicklung von Massenvernichtungsmitteln diese Frage in den Mittelpunkt aufgeklärten Denkens stellen.
Zum Inhalt: Mary Shelley erzählt die Geschichte des jungen Schweizers Victor Frankenstein, der, durch den Tod der Mutter traumatisiert, nach Ingolstadt reist, um an der dortigen berühmten Universität Mittel und Wege zu finden, den Tod zu besiegen. Tatsächlich gelingt es ihm, einem eigens zu diesem Zweck kreierten Geschöpf Leben einzuhauchen. Die Kreatur ist missraten, flößt der Umgebung Entsetzen ein und wird vertrieben. Frankenstein wird sich seiner Tat in vollem Umfang bewusst und fällt in eine tiefe Krise. Freund Heinrich Clerval, der ihm nachgereist ist, um gemeinsam mit ihm zu studieren, pflegt ihn. Viktor will vergessen. Doch seine Kreatur holt ihn bald ein, tötet den Bruder Wilhelm, schiebt die Tat der Magd Justine in die Schuhe, die wird, wider besseres Wissen Victors, für schuldig erklärt und hingerichtet. In einem Treffen zwischen Schöpfer und Geschöpf fordert die Kreatur, inzwischen der Sprache und vieler Emotionen mächtig, er hat einem „Selbstbewusstsein“ erlangt, eine Lebensgefährtin. Die Kreatur sehnt sich nach Liebe und Zuneigung, hat sie doch bislang nur Ablehnung erfahren. Viktor lässt sich auf das Unterfangen ein. Doch kurz vor Vollendung der zweiten Schöpfung quälen ihn Skrupel, und er tötet das künstlich erschaffende weibliche Wesen im Angesicht der Kreatur. Dieser hat inzwischen Viktors Freund Heinrich erdrosselt und ist entschlossen. Victor das Liebste zu nehmen, was dieser hat: Elisabeth. Die grauenvolle Tat geschieht in der Hochzeitsnacht. Victor zieht nun aus, das Geschöpf zur Strecke zu bringen. Beide finden ihr Ende im ewigen Eis der Arktis.
Philipp Moschitz © Hilda Lobinger |
Diese ganze Geschichte erzählt Victor Frankenstein dem ehrgeizigen, vom Drang nach großen Taten besessenen Seefahrer Robert Walton, dessen Schiff im arktischen Eis feststeckt. Victor hofft, den Mann, in dem er sich selbst wiedererkennt, zur Vernunft zu bringen.
Auch Felix Bärwald hatte einen Rahmen um die Geschichte des ehrgeizigen Wissenschaftlers gestrickt. Er benutzte die Gesellschaft der Dichter am Genfer See. Als Mary Shelly, gespielt von der beeindruckend präsenten Elisabeth Wasserscheid, ihre Geschichte zu erzählen begann, verwandelte sich die Dichtergemeinde in die Protagonisten der eigentlichen Geschichte. Die Bühne öffnete sich und der Blick des Zuschauers verlor sich in ein großflächiges Gewirr von Nerversträngen. Das visuell sehr suggestive und sinnfällige Bühnenbild gestaltete Christiane Bärwald. Die Kostüme von Cornelia Meurer versetzten den Betrachter hingegen zurück ins Biedermeier, was zu einem wunderbaren Spannungsverhältnis zum Bühnenbild führte und signalisierte, dass hier eine (Psycho) Fantasiegeschichte erzählt wurde.
Mary Shelley deutete mit ihrer Fantasie an, dass die Zeiten im Umbruch waren. Die Versuche Luigi Galvanis mit der Elektrizität, insbesondere an Fröschen, wirkten seinerzeit wie Zauber, verhießen aber gleichsam ungeahnte Möglichkeiten in der Beantwortung der existenziellen Fragen. Die Belebung unbelebter Materie schien Dank Galvanis möglich. Mary Shelley dachte diesen Gedanken konsequent zu Ende, ging dann aber einen Schritt weiter und hinterfragte den Sinn.
Auf der Bühne des Metropoltheaters wurde die Kreatur ohne Vorspiegelung technischen Raffinements aus einem von der Decke hängenden Kokon geboren. Der in seiner Schlankheit eher fragil wirkende Philipp Moschitz konnte zwar nicht das übergroße Monster vorstellen, wie es Mary Shelley beschrieb, doch sein spannungsgeladenes, körperlich aufwendiges Spiel kehrte die Seelenzustände des bedauernswerten Geschöpfes heraus. Damit gelang Felix Bärwald, was vielen Adaptionen nicht vergönnt ist. Der Zuschauer konnte die Tragweite des Sujets begreifen und erfühlen. Moschitz Spiel erzeugte Mitgefühl für das unschuldige, aber mordende Monster. Die Kreatur war in diesem Spiel nicht das Böse, auf das es sehr oft festgelegt wird. Ihr Schöpfer, Peter Papakostidis spielte eingangs den blasierten, selbstgefälligen Byron, in der Romanhandlung dann den besessenen, bald schon von Schuldgefühlen zerfressenen Frankenstein, war im Bewusstsein des Betrachters die letzte Figur am theatralischen Pranger.
So erreichte es Regisseur Bärwald, das große Thema gegen die Tendenzen oberflächlicher Unterhaltung zu retten. Dank auch des guten Ensemblespiels entstand eine ästhetisch ansprechende, von Längen freie und szenisch interessante Inszenierung, die schaffte, was wider den Zeitgeist ist: Eine fast schon toterzählte Horrorgeschichte, wurde wiedererweckt zu einem spielerischen und unterhaltsamen Exkurs um das großen Thema Verantwortung. Respekt! Eine Leistung, die sich nicht nur sehen lassen kann, die auch gesehen werden sollte.
Frankenstein
nach Mary Shelley
In der Fassung von Felix Bärwald und Sven Hasselberg Mirkus Hahn, Philipp Moschitz, Peter Papakostidis, Irina Ries, Johannes Schön, Judith Toth, Elisabeth Wasserscheid Regie: Felix Bärwald |