Kammerspiele Die Straße. Die Stadt. Der Überfall. von Elfriede Jelinek


 

 

Die Maximilianstraße ist weg!

Warum gehen so viele Menschen in die Maximilianstraße? Sie wollen einkaufen, shoppen, konsumieren? Nein, viele von ihnen wollen einfach nur endlich sichtbar werden, denn sie sind nichts. Sie existieren nicht. Sie existieren so lange nicht, bis sie sich wanden, in Prada, Gucci, Versace, etc. So gewandet werden sie endlich sichtbar. Doch sind sie jetzt glücklich? Nein, denn der Rock, das Kleid, die Hose sehen an der Frau, an dem Mann auf dem Foto ganz anders aus, besser, anbetungswürdig. An der eigenen Person wird das Kleidungsstück entstellt, entstellt durch das Nichts der Person. Sogar der Spiegel erträgt dieses Bild der Entstellung nicht und wirft es angewidert zurück. Gleichsam bannt der Spiegel das Bild in seinem Rahmen und damit die Schande bis in alle Ewigkeit. ... Langsam bekommen wir eine Vorstellung, von dem unvorstellbaren Leid derer, die erst in der Maximilianstraße zu existieren beginnen. Tiefes Mitleid erfasst uns, oder etwa nicht?

Was passiert hier in München eigentlich? Wir sind Gefangene in diesem Glamour, der nur Fassade ist, in diesem Nichts, das nur vom Nichts bewohnt und bevölkert wird. Herz dieser Stadt ist die Maximilianstraße, doch auch die ist Nichts, vom Nichts bevölkert, selbst wenn wir auf den Landtag schauen. Ist das Ganze vielleicht eine große Verschwörung? Organisiert von der Stadt München, die uns nie umsonst einlässt? Die nichts gibt, obwohl sie viel zu geben hätte, sondern nur nimmt. Und das ist gut und richtig so, denn nirgendwo wird einem was geschenkt. Und dabei sollten wir froh sein, dass die Stadt uns nur unser Geld nimmt, denn es gab einmal ein Zeit, da hat sie auch Gliedmaßen und Körper genommen. Aber diese Zeiten sind gottlob vorbei. Nur nicht daran denken, an diese vergangenen Zeiten. Und wo vergisst man leichter, als in der Maximilianstraße, in derem Nichts, wo wir in unserem eigenen Nichts nicht auffällig werden. Das war einmal anders. Da gab es mal einen Italiener, bei dem man gut essen konnte. Da gab es mal einen kleinen Laden mit Büchern und CDs, auch zu laufenden Inszenierungen in der Oper. Diese menschlichen Makel erwiesen sich aber als Sand im Getriebe, auch sie sind weg, gottlob. So bleibt niemand nicht kleben irgendwo in der Maximilianstraße und der Fluss ist gewährleistet, vornehmlich der Geldfluss.

Der Prinzipal der Münchner Kammerspiele, Johan Simons, bat die unsichtbare Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek um ein Theaterstück über die Maximilianstraße. Die große Unsichtbare tat, wie ihr geheißen und machte manches sichtbar. Fast möchte man meinen, sie schuf einen letztgültigen Beitrag zur bürgerlichen Kulturgeschichte, die sich im Exempel Maximilianstraße/München zu erfüllen scheint. Warum lieben alle, ohne wirklich zu wissen warum, diesen Topos, der wie kein anderer das Nichts in Reinkultur verkörpert? Vielleicht, weil die letzte Oase des Unbehelligtseins das Nichts ist, und also begeben wir uns hinein, vorausgesetzt, wir können es uns leisten, denn soviel haben wir bereits gelernt: In München und schon gar nicht in der Maximilianstrasse gibt es nichts umsonst, auch nicht das Nichts.

Jeder müsste wissen, was es bedeutet, wenn sich Elfriede Jellinek eines Gegenstandes, hier einer Straße annimmt. Der Gegenstand, oder wie hier die Straße, wird ausgelöscht. Eigentlich ist sie es längst, nur wurde es bislang nicht bemerkt. Die Maximilianstraße verschwand gemeinsam mit Rudolf Moshammer, der eigentlich nur geliebt werden wollte und den ein Überfall ereilte, wobei ihm auch das Zungenbein gebrochen wurde. Nun konnte Mosi auch nach seinem Ableben nicht mehr sprechen. Frau Jellinek deckte nun auf, dass es sich dabei um eine Verschwörung durch die Stadtoberen handelte und den weiblichen Streiterinnen in „ihrem Walhalla“ am Ende der Maximilianstraße. Warum? Mosi, das einzige verbliebene Lebenszeichen im Nichts, hatte die Götter erzürnt. So waren die letzten Worte des stummen Mosis ein Versprechen an die Zuschauer in den Münchner Kammerspielen: „Sie werden ins Nichts treten, wenn sie rausgehen, ein Jüngstes Gericht für diese Straße, und ich habe es ihr bereitet.“

Frau Jellineks Abrechnung ist gründlich bis zur Auslöschung, dabei höchst vergnüglich und voller nicht zurücknehmbarer Wahrheiten. Das ist ein Vorzug, wenn man Nobelpreisträgerin ist. Schade nur, dass die, die in ihrem Nichts das Nichts bevölkern, nicht anwesend waren. Oder doch? Einige waren sichtlich nicht amüsiert. Dabei waren die Wortkaskaden, die keinerlei Stringenz zu folgen schienen, sich immer wieder neue Wege mäandernd bahnten, die auch keine zwingende Logik erkennen ließen, höchst amüsant. Frau Jellineks Gedanken sprudelten wie feinster Champagner und es war ein intellektueller Hochgenuss.

Eva Veronica Borns Bühne war ein schlichtes quadratisches Areal mit einem U-Bahnschacht in die Tiefe (vielleicht Maximilianstraße / Ecke Wimmer-Ring) und ein teilweise gläsernes Wartehäuschen, in dem die fünf Musiker Platz genommen hatten. Carl Oesterhelts musikalische Begleitung war sowohl strukturell, wie auch ästhetisch ein echter Gewinn für die Inszenierung. Kurz vor Beginn der Vorstellung wurde die Bühne mit kleingehacktem Eis überflutet, das wie eisige Diamanten strahlte. Darüber eine große Leuchtkugel, die das „berühmte Licht (verbreitete), diese sonderbare Helligkeit unter dem Alpenhimmel, die alles zum Strahlen bring und selbst die Fassaden grinsen lässt.“ (Matthias Günther im Programmheft zur Inszenierung)

Regisseur Simons hatte sich aus dem 129 Seiten breiten Sprachmonstrum die Perlen rausgepickt und sie auf die Schnur des Abends gespannt. Sie schmückten ihre Träger vorzüglich und über weite Strecken war man verzückt vom komödiantischen Spiel und dem Sirenengesang der Sandra Hüller. Steven Scharf, der unter anderem die Stadt spielte, und die muss man (in ihrem Nichts) erst einmal verinnerlichen, gerierte sich von grobschlächtig bajuwarisch, ohne die hochdeutsche Ebene zu verlassen, bis weltgewandt sophisticated. Hans Kremer, seine Abstinenz auf der Kammerspielbühne wurde schon schmerzlich wahrgenommen, spielte zurückgenommen, verletzlich nur in figurschaffendem fleischfarbenen Damenunterhöschen (Kostüme: Teresa Vergho) und war dabei ungeheuer präsent. Stephan Bissmeier wetteiferte mit Kremer um die Eleganz des Spiel und des Wortes. Es war unbestritten eine Augenweide. Marc Benjamin und Maximilian Simonischek komplettierten das wunderbare Ensemblespiel.

Alles schien auf einen grandiosen Abend hinauszulaufen, bis nach der Pause Benny Claessens die Hüllen fallen ließ und Mosi zum Vorschein kam. Auch das erheiterte anfangs noch. Doch als sich der Gemeuchelte von der Bühne des Lebens verabschieden sollte, geriet alles aus dem Lot. Claessens spielte wie eine Furie, um den Preis, dass kaum noch Text zu verstehen war und alles in schier endloser Hysterie versank. So gelang es Regisseur Simons, dem bestens dahingleitenden Vehikel die Achse zu brechen. Zurück blieb ein bedauerlich fader Nachgeschmack. Schade, denn es hätte ein grandioser Abend werden können. Einige Buhs waren unüberhörbar, aber auch einige verstörte Gesichter. Das Einverständnis in den Umgang von Jellinek und Simons mit der allseits beliebten Stadt München war sichtlich gespalten. Doch auch der patriotischste Bürger dieser Stadt wird den einen oder anderen Seitenhieb anerkennen müssen. Amüsant war zum Beispiel die Entlarvung der Spezies Mensch, die von sich glauben, sie seien reich, die aber einfach nur viel Geld haben. Vielleicht waren einige aber auch nur verstört von der Aussicht, aus dem Theater zu treten und festzustellen: Die Maximilianstraße ist weg! Soviel sei verraten, sie ist noch da.

 

Wolf Banitzki


 


Die Straße. Die Stadt. Der Überfall.

von Elfriede Jelinek

Marc Benjamin, Stephan Bissmeier, Benny Claessens, Sandra Hüller, Hans Kremer, Steven Scharf, Maximilian Simonischek

Trompete: Micha Acher
Bassklarinette: Stefan Schreiber
Posaune: Mathias Goetz
Piano: Sachiko Hara
Melotron: Michael Oesterhelt


Regie: Johan Simons