Kammerspiele Ekzem Homo von Gerhard Polt


 

 

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Wenn man das bayerische Wort „Krattler“ erklären möchte, reicht es eigentlich, den Namen Gerhard Polt zu nennen. Polt ist Fleisch gewordene Krattler-Kunst. Es gibt ihn heuer wieder zu sehen und mit ihm die Well-Brüder, die ja bekanntlich bereits ihren Rücktritt von den „Brettern“ erklärt hatten. Aber wer glaubt schon an Rücktritte? Schon die Ankündigung der Neuauflage von „Gerhard Polt und den Well-Brüdern aus'm Biermoos“ sorgte für einen regelrechten Run auf die Kassen der Münchner Kammerspiele. Das hat Tradition, denn Otto Falckenberg sah sich bereits im Jahr 1922 wegen klammer Kassen, nachdem Brechts Erstling „Trommeln in der Nacht“ den Zuschauerraum leergefegt hatte, gezwungen, in die Niederungen der „Volkskunst“ hinabzusteigen, Karl Valentin und Liesl Karlstadt bewahrten das Haus vor einer Abschaltung vom Stromnetz wegen unbezahlter Rechnungen.

Man kann wohl getrost davon ausgehen, dass der Auftritt der Dame Funke Konate (die/das Fremde verkörpernd), der Well-Brüder, Stefan Merkis und Gerhard Polts nicht der finanziellen Situation der Münchner Kammerspiele geschuldet war, sondern vielmehr dem Bemühen Johan Simons, selbst exotischste Kulturen, in unzugänglichen Biotopen erblüht,  zusammen und auf die Bühne zu bringen, um mit deren Weisheit die letzten Welträtsel zu lösen. Eines ist naturgemäß der Mensch an sich. Der ist, wie Polt ohne jeden Zweifel zu postulieren weiß, gut, aber die Leute sind halt…

Das liegt vermutlich daran, dass der Mensch eigentlich nur ein „Zwischenwirt“ ist und darum unvollkommen. In ihm nisten sich „Parasiten, … Bazillen, … Waffenhändler, Religionen und Fußpilze“ ein. „Vor allem aber ist er ein Kostenfaktor.“ Der Mensch ist ein Problemfall, dessen Unzulänglichkeiten schnell ausgemacht sind: Er eignet sich nicht als „Nachbar“, denn als solcher, kommuniziert er erst einmal, wird er ganz schnell und unvermittelt auch schon mal zum Mörder. Ebenso wenig ist er ein guter Steuerzahler; die Neigung zum Hinterziehen scheint im Wesen des Menschen verankert zu sein. Schließlich ist jede nichtgeleistete Überstunde schon eine Steuerhinterziehung. Ob Uli Hoeneß, wenn er den Namen Sepp Blatter hört, tatsächlich denkt: „Die Kleinen sperrt man ein, die Großen lässt man laufen“? Möglich wär´s wohl.

Zudem scheitern auch und insbesondere die wertvollsten unserer Mitbürger in ihrem Bestreben, der Welt ein menschliches Antlitz zu verleihen, unweigerlich, wie Polt am Dom Pérignon schlürfenden Landrat schlüssig bewies. Wir müssen irgendwann einmal einsehen, dass diese Menschen, also unsere Politiker, sich für uns geradezu aufreiben und wir dies in unserer Ignoranz nicht zu würdigen wissen. Ach, übrigens, wer sind „Wir“? Es macht schon nachdenklich, wenn man erkennen muss, dass Ich nicht Wir bin.

Neben Transzendentalem gab es indes auch handfeste Bildungsinhalte, vermittelt in einer „Brandschutzschulung“, beispielsweise wenn die Frage beantwortet wird, warum für eine Hexenverbrennung trockenes Holz verwendet werden sollte: Nicht trockenes Holz führt zu starker Rauchentwicklung und behindert die Sicht auf die verbrennende Hexe. Das leuchtet ein, oder? Gerhard Polt argumentiert nicht, er erklärt  sich selbst. Und warum auch nicht, wir können doch alle voneinander lernen. Schon wieder dieses Wir! Das pathetischen „Ecce Homo!“ wich an diesem Abend (3. Vorstellung), nach Polts eigenwillig schrägen Analysen, der nüchternen Einsicht: „Ekzem Homo!“

Regisseur dieser kabarettistischen Revue, die durch die musikalischen Einlagen der Well-Brüder (in bekannter Manier) wie eine Perlenkette verknüpft und zusammengehalten wurde, die darüber hinaus durchaus eigenständigen Kabarettnummern darstellten, war Johan Simons. Es heißt, eine gute Regie ist die, die man nicht wahrnimmt. Sollte dies Vorsatz gewesen sein, hat es bestens funktioniert. In dem von Laubenpiepercharme geprägten Bühnenbild von Sina Barbra Gentsch waren alle Darsteller Nachbarn. Sie traten in ihre Vorgärten hinaus und lamentierten, stritten, philosophierten oder spielten sogar Theater, denn Polt hatte das Publikum wissen lassen, dass der Nachbar Merki ein professioneller Schauspieler sei. Kein sonderlich erfolgreicher, denn in „Dahoam is dahoam“ ward er nie gesehen. Doch immerhin konnte der sich ein eigenes Haus leisten. Das war früher auch mal anders. Da sind die Schauspieler, fast möchte man meinen - wie es sich gehört, an Hunger verreckt.

Und so mäanderte der Geist des Abends über zweieinhalb Stunden (eine Pause) durch das Tal der Ahnungslosigkeit. Erklärend konstatiert Polt: „Ich red halt auch oft nur so dahin und hoffe, dass ein Gedankengang Schritt hält. Und wenn nicht, hat er halt Pech gehabt, der Gedanke.“

Polts Witz ist angesiedelt zwischen Banalphrase, Unaussprechlichkeit und existenzialistischer Absurdität. Er ist ebenso ein Kind Karl Valentins wie Samuel Becketts. Die Höhen und auch die Tiefen, in die er radikal und tabulos vordringt, machen ihn zu einem ganz besonderen Künstler und den Abend mit ihm zu einem Ereignis. So geschehen an den Münchner Kammerspielen. Das Publikum, es war augenscheinlich nicht unbedingt das angestammte, feierte ihn wie einen Propheten. Die Frage, von Christoph Well im Vorfeld der Inszenierung gestellt: „Da bin ich jetzt schon gespannt, wie der Johan (Simons) einen Jodler inszeniert“, wird übrigens auch beantwortet.

 

Wolf Banitzki

 


Ekzem Homo

von Gerhard Polt

Funke Konate, Stefan Merki, Gerhard Polt, Karli Well, Michael Well, Christoph Well

Regie: Johan Simons

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