Kammerspiele  Der Vater von August Strindberg


 

Lebe dein Transsein

„Und so gehe ich wie ein Menschenfresser und Henker herum. Welch´ ein Lebensberuf Schriftsteller zu sein: wie ein Fleischhauer töten und verkaufen.“ Diesen Satz schrieb Strindberg 1898 an seine Tochter Kerstin aus zweiter Ehe, die weiland erst vier Jahre alt war und die bereits mit 8 Monaten Briefe vom Vater bekam. Strindberg, der sich selbst immer wieder ins Zentrum seiner Dramen und Texte rückte, verhinderte mit seinen literarischen Morden und Selbstmorden den eigenen Untergang. Nachzulesen ist dies auch in seiner Autobiografie, die sein Leben von seiner Geburt 1849 bis ins Jahr 1900, zwölf Jahre vor seinem Tod beschrieb. (Ausgenommen die Jahre 1888 bis 1892.) Darin fixierte er einen gewaltigen Fundus aus Zwangsvorstellungen, Verfolgungswahne, Angstzuständen, Eifersuchtsqualen und Selbstmordsehnsüchten.

Viele der persönlichen Konflikte nahmen in seinen Dramen Gestalt an. So auch in dem Jahr 1887 uraufgeführten Trauerspiel in drei Akten „Der Vater“. 1877 heiratete Strindberg die Schauspielerin Siri von Essen, die Ex-Frau seines Freundes Baron von Wrangel. Er führte sieben Jahre eine glückliche „moderne“ Ehe, in der Kinder geboren wurden. Nach seinem Pamphlet „Das neue Reich“ schlug Strindberg eine extreme Ablehnung seiner Landsleute entgegen, so dass er Schweden verließ und sechs Jahre mit seiner Familie durch Europa reiste. Seine Ehe kriselte. Strindberg glaubte, dass Siri ihn in lesbischer Liebe betrog, dass sie ihn bespitzelte und ins Irrenhaus bringen wollte. Schließlich reichten beide 1887 auf postalischem Weg die Scheidung ein. Als Strindberg 1889 nach Schweden zurückkehrte, hatte er bereits 25 Bücher verfasst. Zwei Jahre später wurde er geschieden und verfasste zu diesem Anlass eine „Verteidigungsrede eines Toren“, in der folgende Sätze stehen: „Die Geschichte ist jetzt aus, meine Geliebte. Ich bin gerächt: wir sind quitt.“

Dieses Ende war dem männlichen Protagonisten in „Der Vater“, einem Rittmeister, nicht vergönnt. Er erlag nach einem gnadenlosen Kampf gegen seine Frau Laura einem tödlichen Schlaganfall. Ausgelöst wird der finale Kampf durch einen Streit um die Zukunft der Tochter Bertha. Mutter Laura sieht in ihr eine begabte Malerin. Der Vater indes möchte die Tochter in die Stadt schicken, damit sie dort zu einer Lehrerin ausgebildet wird. Das hätte den Vorteil, dass sie in dem Fall einer Nichtverheiratung ihren eigenen Lebensunterhalt erwirtschaften könnte, im Fall einer Heirat immerhin über ein solides Rüstzeug für die Erziehung der Kinder verfügen würde. Laura ist in diesem Streit jedes Mittel Recht, sie bringt sogar Zweifel an der Vaterschaft des Rittmeisters ins Spiel. Der Rittmeister gerät in einen Strudel aus Verzweiflung und beginnenden Wahnsinn, an dessen Tiefpunkt er in einer Zwangsjacke steckt, um seiner Frau auch noch den letzten Gefallen zu tun, nämlich eines natürlichen Todes zu sterben. So bleiben sie und die Tochter Dank der Pension des Rittmeisters wirtschaftlich versorgt. Lauras Deutung des Geschehenen: „Die Macht, ja. Worum ging es in diesem ganzen Streit auf Leben und Tod denn sonst, wenn nicht um die Macht?“

  Der Vater  
 

Benjamin Radjaipour, Daniel Lommatzsch, Zeynep Bozbay

© Thomas Aurin

 

Heutige Vorbehalte gegen das Stück werden zumeist mit dem patriarchalischen Charakter der Familienkonstellation begründet und so kippt Nicolas Stemann den Konflikt, der bei Strindberg in dem Kampf zwischen das in den Wahnsinn getriebenen Prinzip der Vernunft und einem bigotten Egoismus besteht, vor dem Hintergrund der Me-Too-Kampagne in eine Neuauflage der Emanzipationskritik. Natürlich ist die Interpretation als Konflikt zwischen Vernunft und Egoismus heutigen tags unstatthaft, da er politisch nicht korrekt ist (Mann-Vernunft / Frau-Egoismus), und man gerät automatisch in den Verdacht, patriarchalischen Strukturen das Wort zu reden. Dem würde man allerdings entgehen, wenn man das Stück als ein Drama des ausgehenden 19. Jahrhunderts betrachten würde. Immer wieder erstaunlich ist, und das betrifft häufig auch die Ästhetik der Kammerspielinszenierungen, dass es dabei nicht um Ergebnisse, um Wahrheitsfindung oder gar Erkenntnisse geht, sondern um die Debatte an sich „für ein gemeinsames, offenes, auch verstörendes und verunsicherndes Nachdenken über das Mensch-Sein heute“. (Werbetext Kammerspiele) Wenn dem nicht so sein sollte, ist es den Machern gelungen, eventuelle Erkenntnisse gut zu verbergen.

Für Nicolas Stemann sind Dramen, und mögen sie eine noch so lange und erfolgreiche Rezeptionsgeschichte haben, nichts anderes als vage Vorlagen. Dabei sind die Eingriffe so radikal wie umstritten. Ein wesentlicher dramaturgischer Fakt im Strindbergschen Stück ist das Fehlen eines Vaterschaftstestes, von dem 1887 noch niemand zu träumen wagte. Den bringt Stemann jedoch ins Spiel, stattet die Tochter mit den neuzeitlichen Erkenntnissen zum Thema aus und erzeugt damit eine gewaltige Unlogik. Immerhin ist die Ungewissheit der Vaterschaft der wesentlichste Druckpunkt, den Rittmeister in den Wahnsinn zu treiben. Eingebaut wurde zusätzlich ein ganzer Verhau von zeitgenössischen Texten zum Thema, vorgetragen von Zeynep Bozbay und Benjamin Radjaipour, die gemeinschaftlich in die Rolle der Tochter Bertha schlüpften. Ansonsten wurden den Darstellern Julia Riedler und Daniel Lommatzsch keine konkreten Rollen zugewiesen, jeder sprach einmal die eine oder die andere, zumeist auf prosaische und weniger dramatische Weise. Manche Szenen wurden bis zu vier Mal eingesprochen, wobei auch ein Pastor, der Arzt Dr. Östermark, die Amme und der Hausangestellte Nöjd zu Wort kamen. Es ist schwer vorstellbar, dass sich der Zuschauer ohne Kenntnis des Werkes orientieren konnte. Letztgenannte Figuren blieben nuturgemäß völlig abstrakt, womit sich ein komplexes Zusammenspiel der Personen, hinter jeder steht schließlich ein markanter Lebensentwurf, erübrigte.

Das scheint in Nicolas Stemanns Inszenierung auch nicht vordergründig von Interesse zu sein. Vielmehr wird unablässig des Wort, der Satz gestisch und sprachlich ins Komische gekippt und verkalauert, wodurch sich große Teile des Publikums durch das geistige Labyrinth kichern konnten. Am Ende wussten sich diese Zeitgenossen gut unterhalten und honorierten das Gesehene mit frenetischem Applaus. Formen braucht es also nicht wirklich. Alle Darsteller trugen die gleichen geschlechtslosen Anzüge. (Kostüme Marysol del Castillo) Warum auch nicht, ist ja weder die Rolle, noch das Geschlecht ernsthaft zugeordnet. Das führte letztlich dazu, dass verminderte Maßstäbe (künstlerischer Verzicht allenthalben) angesetzt werden, der Freiheit oder auch Formlosigkeit der Interpretation angemessen. Allerdings ist auch diese Formlosigkeit nicht konsequent. Denn spätestens als Wiebke Puls die finale Szene sprach, war die wunderbare Kraft der Interpretation im Sinn einer Figur unüberhör- und unübersehbar. Das machte dem Betrachter schmerzlich bewusst, was er nicht zu sehen bekommen hatte.

Inhaltlich wurde jedenfalls nichts festgeklopft, was man hätte mit nach Hause tragen können. Auch auf die Gefahr hin in den Verdacht zu geraten, „über den ‚Gender-Wahn‘ herzuziehen, diskriminierte Identitätsweisen und Daseinsformen als dekadentes Establishment zu brandmarken und die Sehnsucht nach einem ‚Take back control‘ zu schüren“ (Werbetext Kammerspiele), sei festgehalten: Es gibt einen tragischen, unüberwindlichen Dualismus der Geschlechter. Das Angebot von Gender-Spezialisten ist der gutgemeinte Ratschlag zur Selbstauflösung in einem Gender-Spektrum zwischen Cis-Männchen und Cis-Weibchen (ganz widerwärtige Geschöpfe, die ihr, nach der Geburt verliehenes Geschlecht annahmen und es fortan performten) in dem sich jeder selbst zu verorten hat und sich dabei sein Transsein (Viele wissen gar nicht, dass sie ein solches haben.) eingestehen und es auch leben soll. Verzweifelte Frage: Sind das wirklich unsere drängenden, existenziellen Sorgen?

Wolf Banitzki

 


Der Vater

von August Strindberg

Zeynep Bozbay, Daniel Lommatzsch, Wiebke Puls, Benjamin Radjaipour, Julia Riedler

Inszenierung: Nicolas Stemann