Kammerspiele Macbeth nach William Shakespeare
Theater auf dem Prüfstand
„Macbeth“ nach William Shakespeare von Amir Reza Koohestani war Theater auf dem Theater. Ein Regisseur, nennen wir ihn Christian Löber, inszenierte Shakespeares „Macbeth“. Im Verlauf der eineinhalbstündigen Inszenierung diente die Geschichte des Macbeth lediglich als Katalysator für die Spannungsfelder und Differenzen der darstellenden Schauspieler. Die Kenntnis des Werks kann dabei durchaus von Vorteil sein, wird vermutlich auch vorausgesetzt. Aber sie muss nicht vorhanden sein, denn eigentlich werden die großen Konflikte des Shakespeareschen Dramas gar nicht wirklich thematisiert. Noch ehe das Spiel um „Macbeth“ und dem Versuch, das Drama auf die Bühne zu bringen, begann, betrat ein blutiger Mann die Bühne, nennen wir ihn mal Walter Hess, um dem Publikum Tipps zu geben für den Fall, dass Blut von der Bühne ins Publikum spritzen und die Kleidung der Besucher verunreinigen sollte. Diese wenig sinnhafte Introduktion verwies doch immerhin darauf, dass man sich im Theater befand, denn das Blut sei natürlich künstlich und wasserlöslich. Selbstredend erheiterte der Monolog große Teile des Publikums.
Doch dann ging es los. Erst einmal mit gemeinschaftlichem Pinkeln. Die Theatertoilette bildete einen wesentlichen Teil, genau genommen die Hälfte des Bühnenbildes von Mitra Nadjmabadi. Gedreht wurde die andere Hälfte der Drehbühne zur Theaterbühne und zum Schlafgemach, nachdem, sichtbar für das Publikum, ein großes Bett aus dem Bühnenhimmel herabgelassen wurde. In diesem starb dann auch König Duncan, der von Walter Hess gespielt wurde und darum auch der blutige Mann hieß. Doch zurück zum gemeinschaftlichen Pinkeln. An dieser Stelle sei angemerkt, dass es ein blödsinniger Mythos ist, dass Männer dort, stehend an den Urinalen, die tiefschürfendsten und ehrlichsten Gespräche führen. Stefan Merki, er spielte in der Inszenierung des „Macbeth“ den Banquo, stellte den Regisseur, also Christian Löber zur Rede, was wohl wäre, wenn die Hexen ihm, Banquo, und nicht Macbeth die kommende Königswürde offenbart hätten? Wie hätte sich Macbeth verhalten? Immerhin sein sie beide doch Freunde. Und damit deutete sich an, worum es in Koohestanis Geschichte und Inszenierung ging. Es wurde hinterfragt: die Geschichte, die Sprache, die Figuren und auch die Darsteller, ihre Methoden, ihre Ideen vom Stück, ihre Eignung für die Rolle. Koohestani fuhr einen ganzen Fragenkanon auf, für die seine Inszenierung in den seltensten Situationen Antworten parat hatte. Eine seiner wichtigsten Fragen war die nach dem Abstand zwischen Alptraum und Realität in der Figur des Macbeth und auch im realen Leben. Diese Frage wurde immerhin mit sehenswerten Videoprojektionen auf der Rückwand der Bühne und auch in den Spiegeln der Toilette formuliert.
Im dramatischen Entwurf ging es szenisch sehr sprunghaft zu, begleitet von fünf Sprachen (Farsi, Arabisch, Englisch, Französisch und Deutsch), sowie zwei voneinander unabhängigen Screens mit Übertiteln und einer stimmgewaltigen Pollyester als Hexe. Das war Multitasking vom Feinsten. Allein Mahin Sadri, die nachgerückte Darstellerin der Lady Macbeth, die erste war dem Regisseur bereits abhanden gekommen, brachte es auf den Punkt, als sie meinte, sie möge die Übertitel nicht, denn das Publikum schaue nur nach oben und nicht auf sie. Wo sie Recht hatte, da hatte sie Recht.
Die erste Darstellerin der Lady Macbeth, gespielt von Gro Swantje Kohlhof, hatte sich an dem Satz: „Nur Söhne gebärst Du. So hartes Material soll nichts als Männer formen.“ aufgerieben. Klar, der Satz geht heute gar nicht mehr. Ihn streichen? Schwierig. Aber was soll man schon von einer Rolle halten in der die Figur nicht einmal einen eigenen Namen hat: Lady Macbeth. Und fort war die Dame. Doch auch die zweite Lady Macbeth schmiss hin. Ihr Argument, nachdem Regisseur Löber äußerst unzufrieden mit der „blutdurchtränkten Frau“ war. Sie konterte und fragte, ob er jemals eine blutdurchtränkte Frau gesehen habe? Sie schon! Und die Waffen, die das angerichtet haben, wurden in der Straße um die Ecke verkauft. Das war ein politisches Statement, vor dem Regisseur Löber kapitulieren musste. Nicht das einzige übrigens, denn allein schon Farsi oder Arabisch auf einer deutschen Bühne löst den politischen Pawlowschen Reflex aus.
Mahin Sadri, Christian Löber (v.l.n.r.); Hintergrund: Gro Swantje Kohlhof © Thomas Aurin |
Kurz vor dem Ende senkte sich der eiserne Vorhang und aus dem Orchestergraben wurde ein Tisch hochgefahren zu einer Leseprobe, wohlgemerkt, zehn Tage vor der Premiere. An dieser Stelle hatte es auch Pollyester satt (Man weiß nicht wirklich warum?) und verabschiedet sich mit den Worten, das sei ihre letzte Probe gewesen. Die Leseprobe drehte sich vornehmlich um Sprache, und zwar die von Shakespeare, die umrahmt von der laxen Alltagssprache der Schauspieler, immer wieder in ihrer Schönheit aufblitzte und zunehmend infrage gestellt wurde. Als Kinan Hmeidan (Donailbain) und Kamel Najma (Rosse) sich auf Arabisch fragten, was sie hier eigentlich verloren hätten, kamen sie immerhin zu der Erkenntnis, dass ihre Anwesenheit das Ganze überhaupt erst politisch mache. Und wieder war man beim politischen Pawlowschen Reflex, der heutigen tags allgegenwärtig und für den insbesondere die Münchner Kammerspiele zur Speicheldrüse geworden ist.
Von einer Form in der Inszenierung zu reden, wäre geradezu wagemutig. Es gab keinen roten Faden, weder im Spiel, noch in der Entwicklung der Ideeninhalte. Fragen ohne Antworten hinterlassen Leerstellen. Es ist wohl richtig, dass es nicht immer nur eine gültige Antwort gibt, doch einfach nur Assoziationsräume aufzureißen, die der Zuschauer dann im freien Fall durchsegelt, ist auch nicht befriedigend, es sei denn, er liebt geistiges Bungeejumping und kann auf Botschaften gern verzichten. Dass etliche Zuschauer sich amüsierten, war nicht zu überhören. Es war allerdings beim Schlussapplaus auch zu hören, dass nicht alle hinreichend befriedigt waren. Deren Buhs waren auch nicht zu überhören. Viele konnten sich ganz augenscheinlich keinen rechten Reim auf das Gesehene machen. Aber im Zweifelsfall bleibt da immer noch das Programmheft, in dem die Dramaturgie subtil zu erklären versuchte, was man eigentlich wollte mit der Inszenierung.
Im Werbetext zur Inszenierung tauchte ein zentraler Begriff immer wieder auf: Propaganda. Und im Zusammenhang damit wird die Frage gestellt: „Welche Geschichten müssen und welche dürfen erzählt werden? Wie unschuldig oder gefährlich ist die Kunst, wie wirkmächtig sind ihre Erzählungen?“ Was bedeutet das im Umkehrschluss? Die Kunst sollte sich zensieren! Bestimmte Geschichten dürfen nicht erzählt werden! Das macht Staunen. War nicht die Wahrheit stets das Einzige, in der Kunst wie im Leben, was zählen sollte? Haben nicht darum Demagogen alternative Wahrheiten erfunden, um Politik und Weltanschauungen wirkmächtig zu unterlaufen? Und wie steht es mit der Wahrheit, zumeist repräsentiert durch den neuesten Stand der Forschung, zum historischen Hintergrund des Werkes „Macbeth“?
Helena Eckert fragte Amir Reza Koohestani in ihrem Interview (Programmheft zur Inszenierung,
S. 8): „Shakespeare schrieb ‚Macbeth‘ vor dem Hintergrund des Gunpowder-Plots auch als Propagandastück im Auftrag Jakobs. Das Stück sollte seine Herrschaft legitimieren und als Abschreckung für Königsmord gelten. Wie politisch ist Macbeth?“
Spätestens seit Joseph Sobrans „Genannt: Shakespeare“ (1997) und Kurt Kreilers „Der Mann, der Shakespeare erfand: Edward de Vere, Earl of Oxford“, in denen die Autorenschaft der Shakespearschen Werke Edward de Vere, 17. Earl of Oxford zugeschrieben wird, sind heftige Zweifel angebracht, denn Edward starb 1604, ein Jahr vor dem Gunpowder-Plot (5. November 1505). Kurt Kreiler stellte kurz und bündig in seinem Buch fest: „Im Übrigen: Eine Beziehung zwischen Macbeth und dem Gunpowder-Plot gibt es nicht.“ (S. 548)
Es ist darüber hinaus problematisch, politische Schlüsse als Analogien zum Heute zu ziehen, da die Shakespearesche Darstellung, inspiriert durch den Chronisten Raphael Holinshed, meilenweit von der Realität entfernt war. Duncan war keineswegs der gütige und großzügige König, wie im Drama dargestellt. Auch meuchelte ihn Macbeth nicht feige im Schlaf, sondern bezwang ihn am 14. August 1040 in der Schlacht bei Elgin. Macbeth verfiel keinem Wahnsinn, sondern er regierte Schottland 17 Jahre lang bei relativem Wohlstand und innerem wie äußerem Frieden. Am 15. August 1057 fiel er im Kampf gegen Duncans Sohn Malcolm III. durch die Hand MacDuffs. Fazit: „Macbeth“ ist Literatur und kaum zitierbar, wenn es um tatsächliche historische Ereignisse geht. Es war ein schauriges, sehr unterhaltsames Königsdrama und keine Propaganda im politischen Sinn, sondern Aufklärung im humanistischen Sinn und somit naturgemäß politisch.
Am Ende steht ein Regisseur in seinem Theater und hat keine Darsteller und auch kein Stück mehr. Das Theater wurde in Koohestanis Inszenierung der Realität gegenübergestellt und es verlor. Allerdings gilt das nicht nur für die Geschichte von Amir Reza Koohestani, sondern auch für dessen Uraufführung in den Münchner Kammerspielen. Koohestani hatte das Theater auf den Prüfstand gestellt und war zu keinem wirklichen Ergebnis gekommen. Die Erkenntnis, dass Kunst sehr nahe beim Scheitern liegt, kann nicht unbedingt als Erleuchtung gelten. Und auch Lady Macbeth hatte auf die Frage ihres Mannes, „Und wenn wir scheitern?“, keine befriedigende Antwort: „Dann scheitern wir“. Die Frage von Vincent Redetzki, er spielte, oder sollte den Malcom spielen, ehe er sich aus dem Unternehmen verabschiedete und nachdem er das Scheitern konstatiert hatte, was wohl geschehen würde, wenn man auf der Bühne wirklich in das Urinal pinkeln würde, war durchaus charakteristisch für den Abend.
Wolf Banitzki
Macbeth
nach William Shakespeare
von Amir Reza Koohestani
Mit: Walter Hess, Kinan Hmeidan, Gro Swantje Kohlhof, Christian Löber, Stefan Merki, Kamel Najma, Vincent Redetzki, Mahin Sadri Live-Musik Pollyester Inszenierung Amir Reza Koohestani |