Kammerspiele  Drei Schwestern von Susanne Kennedy nach Anton Tschechow


 

Tschechow zwischen Nietzsche und Pipilotti Rist

Nicht Tschechow war der Stichwortgeber für Susanne Kennedy und ihrer „Drei Schwestern“-Inszenierung an den Münchner Kammerspielen, sondern Friedrich Nietzsche: Die Zeit ist ein Kreis. Diese These wirft Fragen auf. Die Vorstellung, dass sich der Kreis immer wieder aufs Neue mit immer denselben, geradezu identischen Inhalten in allen Details schließen würde, müsste unser Leben zwangsläufig beeinflussen, oder? Wären wir, nähmen wir das Unausweichliche an, glücklicher oder unglücklicher. Um diese Frage zu erörtern, wohlgemerkt, nicht um sie zu beantworten, wurden Tschechows „Drei Schwestern“ herbeizitiert. Sie werden es allerdings nicht in ihrer konkreten Figürlichkeit, sondern in dem gemeinsam erlittenen Schicksal, in einer freud- und reizlosen Provinzkleinstadt für alle Ewigkeit gefangen zu sein. Man könnte diesen Ort auch Hölle nennen. Dieser Status wird in Kennedys Inszenierung indes lediglich als Prämisse formuliert, um die sich dann eine Dramaturgie von Zustandsaufnahmen rankt. Die Geschichte der drei Schwestern, auch in ihrem Beziehungsgeflecht, bis hin zu dieser entsetzlichen Erkenntnis wird nicht erzählt.

Da Nietzsches These (von der ewigen Wiederkunft) auch die Möglichkeit zulässt, dass alles zur selben Zeit passiert, besteht die Gegenwart (des Betrachters) in der Möglichkeit, die Vergangenheit und die Zukunft lediglich durch einen Bild-, oder Raumwechsel gleichsam zu erleben: „Is this now? – It’s a story that happened yesterday, but I know it’s tomorrow." Das klingt kompliziert und ist es auch. Hinzu kommt, dass weder die einzelnen Schwestern bei Susanne Kennedy, noch die drei Darsteller der männlichen Protagonisten den Tschechowschen Figuren zugeordnet werden können. Bis auf ganz wenige Bilder agieren die Darsteller mit einheitlichen Masken. Für Susanne Kennedy, die sich auf Buster Keaton beruft, schafft dieses Spiel mehr Ausdruck, ohne dabei alles mimisch zu „bebildern“. In „Drei Schwestern“ blieben die Akteure indes weitestgehend Unpersonen und die Frage nach einer Erlösung rückt weit in den Hintergrund.

Es wird indes nur eine Szene in einer Endlosschleife abgespult, die kaum noch Tschechow Texte beinhaltet und von Mal zu Mal geringfügige Abweichungen aufweist. Damit verfolgt die Regisseurin weder das Ziel, die drei Schwestern zu retten, noch sie soweit zu ertüchtigen, sich selbst zu retten, sondern dem Publikum bewusst zu machen, dass es in demselben Dilemma steckt. Beweis: Seit gut einhundert Jahren gehen wir ins Theater, um die unauflösbare Geschichte von den drei Schwestern immer wieder aufs Neue in derselben theatralischen Form anzuschauen und zu segnen. Und das verweist zugleich auf ein Spiegelbild unserer eigenen inneren Unfreiheit, so Frau Kennedy.

Dabei beschwor die Regisseurin den Dämon Nietzsches, der sich täglich und nächtens in unsere „einsamste Einsamkeit“ schleicht und der als blaue indifferente Fratze durch die Inszenierung geisterte: "Dieses Leben, wie du es jetzt lebst und gelebt hast, wirst du noch einmal und noch unzählige Male leben müssen; und es wird nichts Neues daran sein, sondern jeder Schmerz und jede Lust und jeder Gedanke und Seufzer und alles unsäglich Kleine und Grosse deines Lebens muss dir wiederkommen, und Alles in der selben Reihe und Folge – und ebenso diese Spinne und dieses Mondlicht zwischen den Bäumen, und ebenso dieser Augenblick und ich selber. Die ewige Sanduhr des Daseins wird immer wieder umgedreht – und du mit ihr, Stäubchen vom Staube!" Nietzsches Plädoyer: Sag Ja, nimm dein Schicksal freudig an! Zum Dämon: „Du bist ein Gott und nie hörte ich Göttlicheres!“

  Drei Schwestern Kennedy  
 

© Judith Buss

 

Spätestens seit Marieluise Fleißers „Fegefeuer in Ingolstadt“ an den Münchner Kammerspielen weiß man um die besondere Ästhetik Susanne Kennedys. Die Akteure sind in ihren Physiognomien/Kostümen überzeichnet; sie bewegen sich kaum oder nur extrem langsam und sie sind von ihren Stimmen abgekoppelt. Die werden von anderen Sprechern realisiert und eingespielt, quasi als Playback. Mehr Verfremdung geht kaum und die Wirkung ist exorbitant. Das Konzept funktionierte auch noch bei „Warum läuft Herr R. Amok?“ von Rainer Werner Fassbinder. Doch bereits bei „The Virgin Suicides“ nach Jeffrey Eugenides zeichnete sich ab, dass das Konzept in den Manierismus zu kippen drohte und die Geschichte hinter der Ästhetik zurückstand. Die grandiose theatrale Wirkung der beiden vorhergehenden Arbeiten fand nicht mehr statt. Zweifel an diesem Weg wurden in diesem Medium artikuliert. (Nachzulesen unter: Willkommen in der Welt der Mangas)

Nun hat ein echter Entwicklungsschritt stattgefunden, allerdings nicht in Richtung Theater, sondern in Richtung Bildender Kunst. Bei näherer Betrachtung wird deutlich, dass man Tschechow als Autor getrost beiseitelassen kann. Aus „Drei Schwestern“ wurde ein Axiom (gültige Wahrheit) destilliert, nämlich die systemimmanente Gefangenschaft dreier Frauen als Schicksal, das man im „Kreislauf der ewigen Wiederkunft“ einem größtmöglich grellen Licht der Betrachtung aussetzt. Zu welchem Ende? Nun, hoffentlich nicht um den Preis, dass das (in diesem System) Unausweichliche als unabänderlich und also freudig angenommen wird. Man nennt das in der Philosophie einen antagonistischen Widerspruch, einen Widerspruch, der nur gelöst werden kann, indem das System „revolutioniert“ werden muss, weil sich der Widerspruch innerhalb des Systems nicht lösen lässt. Doch diese Erkenntnis steht in Susanne Kennedys Inszenierung nicht an. Der Kick kommt aus und verbleibt im Spekulativen.

So entstand eine Abfolge von Beinahe- Tableaux vivants, lebenden Bildern, deren gesamte Umgebung und auch der Hintergrund computeranimiert war. Die Bühne von Lena Newton war zuerst eine große Projektionsfläche für Videos, sämtlich künstlich erstellt und nicht aus einer Realität abgeleitet. Auf halber Höhe der Bühne war ein Guckkasten eingelassen, in denen sich die überwiegend maskierten Darsteller in nahezu unbeweglichen Posen zeigten und einige wenige Hauptsätze sprachen, häufig in Englisch. Der im „Universum“ hängende Raum war umgeben von surrealen Räumen und Landschaften (Video Rodrik Biersteker). Der Rahmen des Guckkastens wurde als Laufband genutzt, auf dem englischsprachige Texte, ähnlich einer Bandenwerbung umliefen wie beispielweise „It´s a strange loop“. (Hier bin ich mir über den exakten Wortlaut nicht ganz sicher.) Hinterlegt waren die knappen Szenen mit einer Musik von geradezu symphonischem Ausmaß (Sounddesign und Voice-Montage Richard Janssen). Die kurzen bis sehr kurzen Szenen wurden mit schlagartiger Dunkelheit und häufig mit einem „Cut“ aus dem Off beendet. Einige Szenen waren auch nur blitzartige Einblendungen wie Fehlschaltungen auf den unterschiedlichen Ebenen der Paralleluniversen.

Der Schauwert war enorm und auch das – wenn überhaupt – stattfindende Spiel der Darsteller, das allerdings kaum Tragik transportierte. Die Kostüme von Teresa Vergho waren zudem sehr variabel und nicht immer verständlich. So posierten die drei Schwestern beispielsweise in schwarz-weißen Kleidern ohne Gesicht. Verständlich mussten diese Bilder, in denen Masken zur Anwendung kamen, nicht unbedingt sein. Vielmehr sollten sie „eine Form von Geheimnis“ schaffen, in das sich die Zuschauer „hineininterpretieren“ sollen. (Susanne Kennedy: Im Programmheft zur Inszenierung) Die Bilderwelt, die in der knapp eineinhalbstündigen Inszenierung abgespult wurde, war beeindruckend, allerdings, und hier spielte sicher auch die Erwartungshaltung des Publikums eine Rolle, auch bald monoton.

Es war kein Theater im Sinn Stanislawskis, dessen Interpretation der Tschechowschen „Komödien“ ohnehin längst in Frage gestellt wurden. Ein gutes Beispiel dafür ist die am Residenztheater laufende Inszenierung von „Die Möwe“ in der Regie von Alvis Hermanis. Es war vielmehr eine Videoinstallation à la Pipilotti Rist, in der ein philosophisches Problem zur Diskussion gestellt wurde, allerdings mit fragwürdigem Ergebnis - eher ergebnisoffen. Es war ein ästhetisch aufregender und bildgewaltiger Beitrag zur allgegenwärtigen Diskurskultur, bei der es nicht zuletzt mehr um den Unterhaltungswert als um den Erkenntnisgewinn geht. Sehenswert ist es allemal, vorausgesetzt man hat keine Erwartungshaltung zum Thema Tschechow und dessen Drama „Drei Schwestern“.

Wolf Banitzki

 


Drei Schwestern

von Susanne Kennedy nach Anton Tschechow

Manuela Clarin, Kristin Elsen, Marie Groothof, Walter Hess, Eva Löbau, Christian Löber, Benjamin Radjaipour, Sibylle Sailer, Anna Maria Sturm

Inszenierung: Susanne Kennedy
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