Kammerspiele  Nirvanas Last von Damian Rebgetz

 

Es ist die Zeit, …

Wenn man nach Kurt Cobain fragt, lautet in neun von zehn Fällen die Antwort sinngemäß: „Das ist doch der Musiker, der sich mit einer Pumpgun den Schädel weggeschossen hat.“ Genau der Musiker ist es. Und zieht man das Internet zu Rate, findet man nicht nur eine Unzahl Tatortfotos, sondern auch ein Menge perverser Illustrationen zu diesem Suizid. Insofern ist es problematisch, Kurt Cobain und den Mythos um ihn einzig über sein musikalisches Werk verstehen zu wollen und dabei sein kurzes Leben und die Umstände seines Todes auszublenden. Seit van Gogh und dem abgeschnittenen Ohr wissen wir, wie pervers die Rezeption sein kann. Kurt Cobains Leben, er wurde nur 27 Jahre alt, war gezeichnet von Drogensucht, gescheiterter Beziehung und Selbstzweifel. Seine Heroinsucht ließ ihn ständig am Rand des Abgrunds tanzen. Der Charakter seiner Beziehung zu Courtney Love, Ehefrau und Mutter der gemeinsamen Tochter, wird erschreckend deutlich in einer handschriftlichen Notiz Cobains: „Nimmst du, Kurt Cobain, Courtney Michelle Love zu deiner gesetzlich zerschredderten Ehefrau, auch wenn sie eine pickelige Schlampe ist, die all dein Geld für Drogen und Rumhuren verschwendet.“

Die Selbstzweifel in Bezug auf seine Musik wurden am deutlichsten in dem letzten Satz seines Abschiedsbriefes, in dem er Neil Young, den Godfather des Grunge zitierte, der übrigens aufrichtig Anteil nahm am Leben Cobains und ihn als Künstler sehr schätzte: „It´s better to burn out than to fade away.“ Kurt Cobain zweifelte den Sinn seines Tuns an, der Welt des Kapitalismus und der gnadenlosen Vermarktung von allem was sich vermarkten lässt, also auch seiner eigenen Musik, entgegen zu treten mit menschlichen Attributen. Er war längst ausgebrannt als er in seinem Abschiedsbrief bekannte: „Mich törnt schon seit zu vielen Jahren weder das Musikhören noch das selber Spielen mehr richtig an. Ich kann gar nicht sagen, was für unglaubliche Schuldgefühle ich deswegen habe. (…) Aber Tatsache ist, dass ich Euch nichts vormachen kann, niemandem. Es wäre einfach nicht fair, weder Euch noch mir selbst gegenüber. (…)Manchmal fühle ich mich, als sollte ich eigentlich eine Stechuhr passieren, bevor ich auf die Bühne gehe.“

Grunge war der Ausdruck einer ganzen Generation, die es für sinnvoll erachtete, das brennende Gefühl der Frustration wütend herauszuschreien, als daran zu ersticken. Am 1. März 1994 verkündete Bassist Krist Novoselić bei dem letzten Konzert der Band Nirvana im ehemaligen Flughafen Riem „Grunge is dead“. Dieses Konzert vor einem viertel Jahrhundert wurde zum Anlass für das Tribut-Konzert „Nirvanas Last“ an den Münchner Kammerspielen unter der Ägide von Damian Rebgetz. Die Bezeichnung „Re-enactment“ für diese Veranstaltung trifft nur sehr bedingt zu, denn das Einzige, was identisch war mit dem Konzert vor 25 Jahren, war die Setlist. Sämtliche Texte waren von Ann Cotten übersetzt worden, die Originaltexte wurden als Übertitel angezeigt, und die Musik hatte Paul Hankinson neu arrangiert. Musikalische Anklänge an Nirvana waren eher unschlüssig und der Faktor Wut war textuell erklärt, aber nur selten spürbar. Auch das Publikum blieb außen vor, denn ehe der musikalische Teil begann, bat Damian Rebgetz, von Applaus zwischen den einzelnen Titeln abzusehen. Die fehlende Interaktion mutete in diesem Zusammenhang recht seltsam an.

Damian Rebgetz erschien zu Beginn auf der Bühne, einen dicken Folianten aufschlagend, mit den Worten, „Es war einmal…“ Er sprach in der ihm eigenen sanften Art von sich und seinem über vierjährigen Aufenthalt in München, darüber, dass er keine Lederhosen besitze, dass aber der Abend ungeachtet des Themas durchaus etwas mit Bayern und München zu tun habe, denn das Konzert hätte niemals in München stattfinden können. Grunge und München schlossen seinerzeit einander aus. München hatte 1992 einen neuen Flughafen mit Namen „Franz Josef Strauß“ bekommen und der alte in Riem wurde zur anderweitigen Verwendung frei. Riem wurde zu einer alternativen Kulturstätte und machte das Konzert erst möglich. Rebgetz schwelgte in der Beschreibung des Umzugs des Flughafens, der in einer Nacht stattfand und erwähnte Kammerspielmitarbeiter und Bekannte, die dem legendären letzten Konzert beigewohnt hatten, allerdings aufgrund ihrer Jugend oder anderer guter Gründe nicht mehr in der Lage waren, Auskunft zu geben.

  Nirvanas Last  
 

v.l.n.r.: Damian Rebgetz, Benjamin Radjaipour, Zeynep Bozbay, Christian Löber

© David Baltzer

 

Ehe er abging formulierte er das Anliegen des Abends, nämlich das Konzert in allen Details noch einmal ablaufen zu lassen, wobei darauf verwiesen wurde, dass das Ensemble der Darsteller nicht die Band Nirvana seien. Es sollte deutlich gemacht werden, dass diese Band am Höhepunkt ihres Scheiterns war, was die Kommunikationsarmut der Bandmitglieder bewies, aber auch zugleich das Scheitern Münchens/Bayerns aufzeigen. Überzeugt, ob das gelingen könnte, war der gebürtige Australier Damian Rebgetz nicht und schlich sich achselzuckend. Was folgte, war eine eineinhalbstündige Performance der ins Deutsche übersetzten Texte, die zumeist aus der Feder Kurt Cobains stammten. Angesichts der eingeblendeten Originaltexte wurde schnell deutlich, dass hier qualitative Unterschiede bestanden. Den Übersetzungen von Ann Cotten fehlten nicht selten der zwingende Rhythmus und die Sprachmelodiösität der Originale. Paul Hankinson Arrangements waren mehr Kunstlied und Chanson als wütender, harter Grunge, der durchaus immer wieder auch aufblitzte, aber nicht den Grundtenor bildete.

Der Vortrag der Darsteller Benjamin Radjaipour, Damian Rebgetz, Zeynep Bozbay und Christian Löber war getragen und manche Zeile wurde in bayerischer Mundart gesungen („Oma bring mi hoam“) Im Hintergrund, schließlich ging es ja auch um das Scheitern Bayerns, stiegen Videoprojektionen (Video Amon Ritz) auf wie die mittelalterliche Darstellung einen feisten Bürgers, der sich zur bedrohlicher Riesenhaftigkeit auswuchs und sich dann in eine Stadtlandschaft aus Knete auflöste. Bayerischer Wald waberte im Hintergrund als Damian Rebgetz in bayerischer Bauerntracht (Kostüme Veronika Schneider) mit Schnauzbart seine Büchse abfeuerte, ein durchaus stimmiges Bild, wenn es um Bayern geht. Weniger einleuchtend war indes das Kostüm von Benjamin Radjaipour, eine artifizielle Variante mit bayerisch-folkloristischen Anklängen, der zudem auch noch ein kleines Bocksgeweih auf dem Kopf trug. Zeynep Bozbay in einer aufwendigen signalroten Robe und ihren blonden Haaren erinnerte an Courtney Love, die fraglos eine große Rolle im kurzen Leben Kurt Cobains gespielt hatte. Warum allerdings Christian Löber mit silbernen Spockohren und giftgrünen langen Haaren ausgestattet war, erschloss sich (mir) nicht unbedingt.

Im letzten Teil wurde der Tod von Kurt Cobain vorweggenommen und die Darsteller erschienen in Kostümen, die sie zu verwachsenen und missgebildeten Gestalten (vielleicht auch Aliens) machten, und errichteten auf der pyramidenförmigen Lebens- oder auch Showtreppe (Bühne Janina Sieber) einen Totenaltar, mit Blumen. Danach erschienen alle in Schwarz und auch das gesamte Orchester nahm Platz auf der Treppe zum großen Finale. Das Bild und auch der Sound hatten durchaus kitschigen Bombast und nach dem Verklingen feierte das Publikum die Inszenierung und die Leistung der Darsteller frenetisch.

Dabei blieb vieles sehr vage und die zwei Stunden fühlten sich keine Minute kürzer an. Die angekündigte politische Botschaft gehörte auch nicht wirklich zum Belastbaren. Eigentlich stellte sich überhaupt kein konkretes Gefühl her. Aber vielleicht war das ja auch Kurt Cobains letzter Botschaft geschuldet, der in dem Song „Auf einer Höhe“ sang: „Jetzt ist die Zeit, den Sinn zu verschleiern. Zeilen zu schmieren, die niemand versteht.“ Ein Satz, eher beiläufig auf dem Konzert gesprochen von Krist Novoselić, ging indes unter die Haut: „Das sind alle eure Freunde, die Medien.“ Er spiegelt eine große Verbitterung wieder auch und vor allem, als man erfuhr, dass der Song „Rape me“ bei vielen Gelegenheiten nicht gespielt oder nur mit verändertem Text gesungen werden durfte.

Kurt Cobain, war nicht nur Opfer der äußeren Umstände, sondern auch seiner eigenen Sensibilität und seines eigenen Narzissmus, zu dem er sich in seinem Abschiedsbrief bekannte. Es zeugt auch von einer gewissen Naivität, zu glauben, so gute Musik zu machen, dass sie viele Menschen erreicht und dabei die Mechanismen des Kapitalismus umschiffen zu können. Sicher ist, nichts und niemand, der Öffentlichkeit sucht, entgeht der Verwertungsindustrie, und die frisst alles und jeden mit Haut und Haar. Dem Spiel entzieht man sich auch nicht durch Selbstmord. Kurt Cobains Haus in Seattle hat 7,5 Mio. Dollar gebracht, sein mit Brandlöchern übersäter, ungewaschener Pullover 137.500.

Wolf Banitzki


Nirvanas Last

von Damian Rebgetz

Mit
Zeynep Bozbay, Christian Löber, Benjamin Radjaipour, Damian Rebgetz
Horn: Stefano Brusini / Konrad Probst, Querflöte: Janine Schöllhorn / Isabelle Soulas, Violoncello: Katerina Giannitsioti / Mareike Kirchner, Violine: Julia Bassler / Nina Takai, Klavier: Sachiko Hara

Inszenierung: Damian Rebgetz