Kammerspiele The Vacuum Cleaner von Toshiki Okada


 

Der Mensch im Schneckenhaus

Der japanische Regisseur Toshiki Okada wird nach seinen bisheriger drei Arbeiten an den Münchner Kammerspielen als der Chronist der japanischen jungen „Lost Generation“ gehandelt. Mit „The Vacuum Cleaner“ beschreitet er nun neue Pfade, denn die Protagonisten sind inzwischen jenseits der 40. Sein Augenmerk liegt auf dem Phänomen „Hikikomori“. Es gibt derer mehr als 600.000 in Japan. Bei diesen Menschen handelt es sich um Zeitgenossen zwischen 40 und 64 Jahren, die sich gänzlich aus der menschlichen Gesellschaft zurückgezogen haben und allein oder noch bei ihren Eltern leben. Was passiert, wenn sich Menschen in ein Schneckenhaus zurückziehen, jegliche Kommunikation mit der Außenwelt abbrechen, sich von den Eltern, die zumeist Rentner sind, ernähren lassen, und was geschieht mit ihnen, wenn die Eltern sterben?

Toshiki Okada versuchte in seiner 100minütigen Inszenierung zumindest auf die Frage nach den Ursachen solcher Rückzüge Antworten zu geben und die waren durchaus einleuchtend. Dabei sind die Ursachen zwar vielfältig in den dramatischen Texturen, gehen aber auf eine wesentliche zurück. Es ist der Anspruch der Gesellschaft, Familie inbegriffen, an das Individuum. Und in kaum einer Gesellschaft ist der so rigide, wie in Japan, was schon die hohe Selbstmordrate unter Kindern und Jugendlichen beweist. Selbstmord ist in Japan die häufigste Todesursache unter Teenagern.

Gerau betrachtet ist die Wahl, ein Hikikomori zu werden, nichts anderes als ein Suizid, allerdings ohne den physischen Tod. Toshiki Okada ließ fünf Protagonisten zu Wort kommen, die jeweils ihre traumatischen Erfahrungen offenbarten. Die Ästhetik der Inszenierung beschrieb der Regisseur in einem Interview im Programmheft: „In ‚The Vacuum Cleaner‘ habe ich ziemlich konservatives Bühnentheater geschrieben und für mich ist sehr interessant, wie wir das auf die Bühne bringen können.“ In jedem Fall gelang ihm das überzeugend und dabei tat das „Konservative“ der Sache keinen Abbruch.

Dominic Hubers Bühne bestand aus einem Querschnitt durch ein traditionelles japanisches Haus aus dunklem Holz und Papierwänden. Drei Räume waren ineinander geschachtelt. Die lichttransparenten Wände ließen Schattenrisse aber auch vielfältige Lichtstimmungen zu. Requisiten bedurfte es nicht. Auch der Staubsauger blieb unsichtbar, wenngleich er das Spiel eröffnete. Benutzt wurde er von Deme, die mit dem Staubsaugen der einzigen sinnvollen Tätigkeit in ihrem Leben nachging. Irgendwann hatte sie das Studium abgebrochen und sich nach ein paar unerfreulichen Jobs schließlich gänzlich zurückgezogen. Inzwischen lebte sie seit Jahren in dem Haus, dessen Schwelle sie seither nicht mehr übertreten hatte. Als es einmal geschah, dass der Wind einige Wäschestücke aus dem Raum blies, half ihr das lange Saugrohr des Staubsaugers, sie wieder einzufangen, ohne das Haus verlassen zu müssen. Julia Windischbauer spielte das junge Mädchen geradezu leicht und heiter, was ihr selbstgewähltes Schicksal umso bedrückender erscheinen ließ.

  The Vacuum Cleaner  
 

Julia Windischbauer, Damian Rebgetz, Annette Paulmann, Thomas Hauser, Walter Hess

© Julian Baumann

 

Sämtliche Figuren hatten eine unnatürliche Motorik, sie tänzelten, ruderten manieriert mit den Armen umher und drehten Pirouetten wie künstliche Wesen. Und das waren sie auch, denn bis auf zwei Personen lebten sie in einer künstlichen Welt. Das Familienoberhaupt Chôhô, gespielt von einem irrlichternden Walter Hess, konnte immerhin noch von einem neueröffneten Kaffeehaus berichten und seine Sinneseindrücke offenbaren. Doch die anderen Insassen des Hauses erreichte er nicht. Seine Tochter Homare, aggressiv und niederschmetternd im Ton, gespielt von Annette Paulmann, ließ ihre Wut und Verzweiflung immer wieder am Vater Chôhô aus, den sie für ihr Trauma verantwortlich machte. Als er ihr einen poetischen Wintermoment zerstörte und sie zwang, sich der familiären Tradition zu fügen, zerbrach etwas in ihr und sie zog sich endgültig zurück.

Ihr Bruder Richigi, sehr verhalten und zart von Damian Rebgetz gegeben, zog es zwar vor, das Haus zu verlassen, doch auch er war ein Hikikomori, nur versteckte er sich im öffentlichen Raum, sorgsam darauf bedacht, nicht in Kontakt mit der Umwelt zu geraten. Einer seiner letzten sozialen Kontakte war Hide, ein ehemaliger Arbeitskollege, der zu Besuch kam und berichtet, wie er gemeinsam mit Richige in einem großen Warenlager gearbeitet hatte. Hide war einem elektronischen Befehlshaber ausgeliefert, der ihm die Aufträge erteilte. Gänzlich ohne menschliche Kontakte verbrachte Hide ganze vier Tage in diesem riesigen Warenlager. Als er in einem Akt der Verzweiflung das Gerät zerstörte und den Job hinschmiss, verabschiedete er sich gleichsam aus der Gesellschaft. Es war klar, dass er länger, vielleicht sehr lange bleiben würde, als er verlauten ließ, er würde für ein paar Tage eines der Zimmer beziehen. Thomas Hauser verlieh seiner Figur eine Vorsätzlichkeit, die seinen Ausstieg zu einer philosophischen Entscheidung machte. Er war ein Verweigerer aus Überzeugung.

Die sehr kurzweilige Inszenierung hatte schöne ästhetische Momente, wobei das Licht von Pit Schultheiss und auch die Musik, vornehmlich Rhythmisierungen mittels Xylophon und Staubsaugergeräuschen von Kazuhisa Uchihashi großen Anteil hatten. Es mangelte der Inszenierung auch nicht an Komik, obgleich das Thema überaus düster und bedrückend war. Die einzelnen Geschichten des Scheiterns wurden frei von Plots, gänzlich unspektakulär und darum umso eindringlicher erzählt. Hinzu kam, dass das Bühnenbild und auch die Kostüme (Kostüme Tutia Schaad) tatsächlich fernöstliche Stimmung erzeugten. Schließlich war es keine Hybridisierung eines deutschen Regisseurs, der sich Japan aus touristischem Blickwinkel vorstellt. Regisseur Toshiki Okada gab einen Einblick in die japanische Gesellschaft und er ließ dabei keine Hoffnung aufkommen. „No Future“ und „Lost Generation“, fest verankertes Vokabular im Werk Okadas waren auch in dieser Arbeit Begleitumstände. Und es war leicht verständlich, da der Autor Toshiki Okada über eine durchaus kunstvolle, als auch natürliche Sprache verfügt.

Das hatte allerdings zur Folge, dass man sich schwer vorstellen konnte, angesichts der Texte, der Reaktionen der Figuren, der Umstände der Geschichten, dass das aufgezeigte Problem nicht auch in unserer Gesellschaft auftritt oder auftreten könnte. Eine Folge der Globalisierung ist, dass auch alle Katastrophen und Fehlleistungen ex- oder importiert werden. „The Vacuum Cleaner“ sollte unbedingt auch unter diesem Aspekt gesehen werden, was nicht schwer fallen dürfte, weil eingängig, poetisch anspruchsvoll und lebensnah zugleich erzählt wurde. Eine Aussage der Hikikomori sollte indes nicht unterschätzt werden: „Nicht ich bin sonderbar, die Welt ist es.“

Wolf Banitzki

 


The Vacuum Cleaner

von Toshiki Okada

Mit: Thomas Hauser, Walter Hess, Annette Paulmann, Damian Rebgetz, Julia Windischbauer

Inszenierung: Toshiki Okada