Kammerspiele Maß für Maß von W. Shakespeare


 

 

Maß für Maß oder doch menschliches Maß?

Vincentio, Herzog eines "märchenhaften" Wien, sieht seine Stadt in einen Sündenpfuhl verwandelt. Selbst ein Hallodri, vermag er den geschriebenen (und ruhenden) Gesetzen kein Leben einzuhauchen. So ernennt er den jungen Angelo zum Statthalter, ausgestattet mit allen herzoglichen Kompetenzen, damit dieser Ordnung schaffe. Vincentio geht in ein Kloster, verkleidet sich als Mönch und wandelt hernach unerkannt als Beobachter der Szenerie unter seinen Zeitgenossen.
Erstes Opfer des alten/neuen Rechtsstaates ist Claudio. Angeklagt der Lasterhaftigkeit wird das Todesurteil über ihn gesprochen. Das Prickelnde an dieser Geschichte ist jedoch, dass Claudio kein lasterhafter Mensch ist. Er schwängerte Julia zwar, doch nach vorab gegebenem Eheversprechen. Das Ja-Wort sollte gesprochen werden, sobald die Mitgift eintreffen würde. Am Wort Claudios zweifelte niemand. Lucio, ein wirklich lasterhafter Mensch, bringt Isabella ins Spiel. Sie steht bereits an der klösterlichen Pforte, um ihr Leben Gott zu weihen, als Lucio sie bedrängt, Angelo in Versuchung zu führen, damit er von seinem unmenschlichen Richtspruch ablasse. Gesagt, getan. Der moralische Hardliner wird schwach, taumelt, stürzt und sündigt. Nicht mit Isabella, die unantastbar bleibt bis zum Ende, sondern mit Marianna treibt er es nächtens. Sie war schon einmal seine Verlobte, doch ließ er sie in Ermangelung einer anständigen Mitgift sitzen. Nicht nur, dass Angelo mit falscher Zunge spricht, tiefste Verderbtheit erkennen lässt, er lässt auch noch das Urteil an Claudio vollstrecken. Am Ende taucht der Herzog wieder auf und fordert Rechenschaft. Obgleich das Spiel immer am Rand der Katastrophe wandelt, nimmt letztlich niemand Schaden.
 
   
 

Brigitte Hobmeier Isabella, Christoph Luser

© Arno Declair

 

Regisseur Stefan Pucher inszenierte die Komödie als Experiment mit dem Erfolg, dass viel Komödiantisches auf der Strecke blieb. Der Vorsatz war unübersehbar, die dem Stücke innewohnenden Fragestellungen an die Rampe zu rücken, denn sie sind in höchstem Maße aktuell. Allein im Programmheft werden zwei ganze Fragenkomplexe sichtbar. Der von Jens Roselt, er zeichnete auch für die Übertragung ins Deutsche verantwortlich, verfasste Essay zur Shakespeareschen Poetik und zum Thema theatralische Wahrheitsfindung spricht auf bestechende Weise vom Dilemma des moralischen Scheins und Seins. Spiegelung ist dabei das Schlüsselwort, und Theater ist eine Form der Spiegelung. Um dies dem Publikum bewusst zu machen, bedurfte es der praktizierten komödiantischen Zurückhaltung. Der zweite Fragenkomplex resultierte aus dem staatsmännischen Anspruch, der hier durchdekliniert wird, der einige Schwachstellen des Stückes bloßlegt und damit zugleich bedeutet, dass es sich nur um ein Experiment handelt. Der Vorteil eines Experimentes besteht immerhin darin, dass niemand zu Schaden kommt. Und der dritte Fragenkomplex stellte sich, bewusst provoziert, beim Publikum her. Ist der Mensch überhaupt in der Lage, seinen eigenen öffentlich vertretenen Moralansprüchen zu genügen? Menschlich urteilend kann die Antwort nur Nein! sein. Immerhin, das Streben danach adelt die Kreatur schon.


Pucher geht mit klassischen Texten nicht zaghaft um. Das ist hinlänglich bekannt. In den Kammerspielen erlaubte er sich eine zusätzliche Bearbeitung der von Roselt geschaffenen Vorlage. Jens Roselt zitierte im bereits genannten Essay Hamlet, den Shakespeare über das Schauspiel sagen ließ: " (...) passt das Spiel dem Wort an, das Wort dem Spiel, und habt besonders im Auge, dass ihr nicht die Mäßigung der Natur überschreitet." Wenn sich Regisseur Pucher an diesem "schauspielästhetischen Manifest" (Roselt) messen lassen musste, dann schnitt er nicht sonderlich gut ab. Das Wort ging nicht selten verloren und zurück blieb die Pose, deutlich zwar, aber verlustreich. Besonders Thomas Schmauser wurde als Herzog Vincentio allzu oft in die Pose gezwungen. Hier gab es kein Maß, zumindest kein logisches. Ganz anders agierte Christoph Luser als Angelo. Stocksteif deklamierte er, ohne physische Extravaganzen. Ähnlich legte die Regie Brigitte Hobmeiers Isabella an. Wenn sie sich anschickte, Angelo in die Versuchung zu führen, meinte man, sie wolle ihn durch Einschläferung überwinden. Peter Brombacher, der als Lucio dabei aus dem Publikum heraus die Fäden zog, wirkte dabei kontrastierend natürlich.

Puchers theaterästhetische Ansätze waren unbestritten originell und häufig auch sinnreich. Allerdings blieben viele Erwartungen, insbesondere die des reiferen Publikums, unbefriedigt. Denen, die das Stück kannten, fehlte die überbordernde Komödiantik, der feine Wortwitz, der das Stück in ein Feuerwerk philosophischer und menschlicher Spitzfindigkeiten verwandelt. Regisseur Stefan Pucher konnte seinen Geniestreich, den er mit "Der Sturm" abgeliefert hatte, leider nicht wiederholen. "Maß für Maß" wies Längen auf. Und ob es maß- und vor allem sinnvoll war, die Paare Christoph Luser (Angelo) / Tabea Bettin (einstige Verlobte) und Lasse Myhr (Claudio) / Selale Gonca Cerit (Claudios Geliebte) zur "Hundehochzeit" auf die Knie zu zwingen, blieb fraglich. Zumindest in Christoph Lusers Gesicht war kaum mehr als Teilnahmslosigkeit zu lesen.

Barbara Ehnes hatte für diese Inszenierung ein aufregendes Bühnenbild geschaffen. Diagonal zugeschnittene Wände schufen ganz nach Bedarf Flächen oder Räume. Auch die fantasievollen Kostüme von Annabelle Witt entführten den Betrachter in eine fiktionale Welt. Und obgleich spannend anzuschauen, lenkten Bühnenbild und Kostüme nicht ab von Handlung und Anliegen. Dennoch blieb ein Nachgeschmack zurück, dass das ideale Maß nicht erreicht war. Jens Roselt schrieb dazu im Programmheft: "Es geht im Theater nicht darum, dem Publikum einzig und allein zu gefallen, indem man die Zuschauer zum Lachen bringt, vielmehr hat man die urteilsfähigen Zuschauer für sich einzunehmen."

Wolf Banitzki
 

 

 


Maß für Maß

von  W. Shakespeare

Deutsch von Jens Roselt in einer Bearbeitung von Stefan Pucher

Thomas Schmauser, Christoph Luser, Wolfgang Pregler, Lasse Myhr, Peter Brombacher, Stefan Merki, Sebastian Weber, Stefan Merki, Walter Hess, Sebastian Weber, Wolfgang Pregler, Brigitte Hobmeier, Tabea Bettin, Selale Gonca Cerit

Regie: Stefan Pucher
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