Kammerspiele Fünf Goldringe von Joanna Laurens


 

 

Das gefickte Hirn oder wie mache ich ein Theaterstück

Es ist eine höchst erstaunliche Poetikauffassung, die sich im Programmheft zu "Fünf Goldringe" nachlesen lässt. Joanna Laurens hat herausgefunden, dass sich mit Lyrik kein oder nur wenig Geld verdienen lässt und so beschließt sie ganz pragmatisch, dem Theatergänger ihre lyrische Arbeit aufzunötigen. "Ich packe es (die Lyrik - A.d.V.) in ein Stück und zwinge damit alle, es anzuhören." Das fiel ihr wahrlich nicht leicht, denn Dramatik lebt überwiegend vom Dialog und so gesteht sie freimütig: "Ich bevorzuge, Zeile für Zeile zu schreiben und diese aus Worten, aus dem Klang von Worten, der Musik von Worten zu entwickeln, mehr als dieses ‚Kann diese Person dieses tun, bevor sie jenes tut.' Das fickt mein Hirn und macht mich komplett wahnsinnig." Es ist fatal, wenn die Gesetze der Dramatik dem Drang, ein Stück zu schreiben, im Wege stehen. Umso verwunderlicher ist, dass Joanna Laurens nicht versucht hat, eine neue Dramenstruktur zu entwickeln, in der ihre Lyrik zum Tragen kommt. Vielmehr ist die vorliegende eine sehr konventionelle, einem klassischen Dreiakter nicht unähnlich.
In der Vergangenheit war sie mit "Drei Vögel" erfolgreich, einer Adaption aus Ovids Metamorphosen. Es ist gewiss keine Schande, zu adaptieren. Heiner Müller stand zu seiner Einfallslosigkeit und tat lebenslang nichts anderes.
Mit "Fünf Goldringe" versuchte Joanna Laurens ein eigenes Sujet zu bauen. Dieses ist jedoch so fadenscheinig, dass jeder geübte Vorabendseriengucker den Fortgang der Geschichte soufflieren könnte. Sie zu erzählen wäre müßig.
 
   
 

Katharina Schubert

© Andreas Pohlmann

 

Nur soviel: Der Vater Henry (Walter Hess) wird wie jedes Jahr von seinen Söhnen Simon (Wolfgang Pregler) und Daniel (Matthias Bundschuh) zum Weihnachtsfest besucht. In Begleitung der beiden Ehefrauen Miranda (Karin Pfammatter) und Freyja (Katharina Schubert) fallen Sie in das Reich des Vaters, eine ehemals lebenswerte grüne Oase, jetzt eine Wüste, ein. Die Bühne von Maria-Alice Bahra ist ein dick auswattierter, wüstensandfarbener Guckkasten ohne Türen und gleichsam eine Metapher für sich. Nach und nach werden die Konflikte sichtbar, Indizien für eine schon lange nicht mehr funktionierende Welt. Da stellt sich die Frage, wer mit wem? Am Ende weiß man, beinahe jeder mit jedem, selbst Bruder mit Bruder. Wer gegen wen? Auch hier schält sich heraus, beinahe jeder gegen jeden. Und einer muss auf der Strecke bleiben. Der hängt dann am Ende auch mehr dekorativ als die Zuschauerseele erschütternd an der Rückwand.

Überraschend ist keine der Antworten und eine Horizonterweiterung bleibt dem Zuschauer versagt. Die Geschichte ist allzu eklektizistisch und entseelt, was jedoch ohne größere Bedeutung zu sein scheint, geht es der Autorin doch einzig um den Transport ihrer Lyrismen. So ergießt sich eine Flut von beeindruckenden Metaphern und kunstvollen Bildern über den Zuschauer und auch eine dreifache Alliteration fehlt nicht. Allein, eine Wirkung kann die Sprache nur sehr begrenzt entfalten, denn der Rhythmus eines Dramas ist und bleibt ein anderer als der eines Gedichts. Wollte man diese Sprache zur Blüte bringen, wäre wohl die dreifache Zeit vonnöten gewesen.
Lyrik und Dramatik ließen sich nie voneinander trennen. Schon in den antiken Tragödien des Sophokles lässt sich der jambische Trimeter nachweisen. Lessing übernahm von Shakespeare den Blankvers und Schiller von Racine und Corneille den Alexandriner. Doch nie war bei einem dieser Dichter der Inhalt des Stücks Vehikel für die Sprache.
Regisseurin Christiane Pohle machte ihrerseits gar nicht erst den Versuch, sich auf diese Besonderheit einzustellen. Sie lässt das Werk sprechen, als wäre es ein eingängiger, von innerer Logik getriebener Dramentext. Zwar hat Sie das Mittel der Verlangsamung für sich entdeckt, jedoch nicht, um den Potenzen der Sprache Raum zu geben, sondern eher im Sinne des Häuptlings des postmodernen Theaters Robert Wilson, nämlich um eigenständige Bilder zu schaffen. Letztlich gelang es der Regisseurin nicht, dem blutarmen Konstrukt der Geschichte menschliches Leben einzuhauchen. Vieles blieb künstlich. Am überzeugendsten war die Musik Peter Bichlers, die nicht selten über Text und Regie hinausging und innere Schwingungen erzeugte.
Dass dieser Abend nicht in völliger Ratlosigkeit endete, war dem exzellent agierenden Ensemble zu verdanken. Einzelne zu nennen, hieße andere zurücksetzen. Den Darstellern gelang es, weitestgehend unabhängig vom Text Figuren aus Fleisch und Blut zu zaubern, die Mitgefühl beim Betrachter erzeugten.
Nebenbei bemerkt, vermutlich wurde noch nie ein Stück geschrieben, in dem das Wort Geld so häufig vorkam. Aber vielleicht ist dies ja der wichtigste Realitätsbezug und, wie wir sicher wissen, eine starke Triebkraft für die Autorin.
Fazit: Der Zuschauer teilte das gelegentliche Los der Dichterin und wurde ins Gehirn gefickt. Doch hat ihn das nicht schwanger gemacht und ein wenig schwanger möchte der Zuschauer nach einem Theaterstück sein, um für sich seine tieferen Einsichten über das Leben zu gebären.

 
Wolf Banitzki

 

 


Fünf Goldringe

von Joanna Laurens

Walter Hess, Wolfgang Pregler, Karin Pfammatter, Matthias Bundschuh, Katharina Schubert

Regie: Christiane Pohle