Kammerspiele Troilus und Cressida von W. Shakespeare
Es war der Krieg der Kriege, der Trojanische genannt, der nach zehn Jahren mit dem Untergang der stolzen Stadt endete. Es war ein verheerender Krieg, in dem die "Edelsten" und "Tapfersten" ihr Blut und Leben ließen. Niedergelegt, als Mutter der europäischen Literatur, wurde die Geschichte von Homer etwa 800 v.Chr. und vierhundert Jahre nach dem vermeintlichen Ereignis. Noch heute wird sie in der selben Tonart erzählt. Krieger, die zahllose Köpfe gespaltet, unschuldige Menschen in die Sklaverei gezwungen und Frauen hoher und niederer Abkunft geschändet hatten, werden auch heutigentags "groß" genannt. Der menschliche Geist ist scheinbar zwanghaft Traditionen verhaftet und vornehmlich lernunwillig. Shakespeare schrieb mit "Troilus und Cressida" seinen Kommentar zur Geschichte. Das Drama stieß seinerzeit auf wenig Interesse und so wurde der Text vermutlich erst 1679, siebenundsiebzig Jahre nach seiner Entstehung und mehr als sechzig Jahre nach dem Tod des Dichters uraufgeführt.
Diese Tatsache spricht für sich und ein Kommentar Heinrich Heines weiß zu ergänzen: "Und in der Tat, es herrscht darin eine jauchzende Bitterkeit, eine weltverhöhnende Ironie, wie sie uns nie in den Spielen der komischen Muse begegnete. Es ist weit eher die tragische Göttin, welche überall in diesem Stück sichtbar wird, nur dass sie hier einmal lustig tun und Spaß machen möchte." Spaß macht das Zuschauen für eine gewisse Zeit schon, wenngleich nichts an dieser Geschichte spaßig ist. Und mit Shakespeare hat auch nicht viel zu tun, was Luc Perceval in den Münchner Kammerspielen auf die Bühne brachte. Vielleicht sollte der Besucher dieser Inszenierung seine Erwartungen gänzlich aus seinem Bewusstsein tilgen. Wenn Perceval einen Shakespeare auf die Bühne bringt, schreibt er ihn erst einmal um. Im Falle "Troilus und Cressida" tat er dies gemeinsam mit Paul Brodowsky. Das Programmheft zur Inszenierung und das Informationsheft 15 der Münchner Kammerspiele geben Auskunft darüber, was Shakespeares Werke für Autor und Regisseur sind: Steinbrüche.
Was immer der Zuschauer über das Shakespearesche Stück weiß, er sollte es ausblenden und sich wie ein unbeschriebenes Blatt ins Theater begeben. Was man dort erleben kann, ist ein antiker Mythos, der nicht mehr ist als ein Vehikel für Zeitgedanken, die in ihrem philosophischen Gehalt durchaus zeitlos sind (ein wichtiges Spurenelement Shakespearschen Denkens), zum sehr aktuellen Thema Krieg. Die Liebesgeschichte, die dem Text den Titel lieh, ist marginal, gerade tauglich, um ein paar menschliche Weisheiten auch zum Thema Liebe einzustreuen. Perceval konzentriert sich vielmehr auf den Rahmen, den trojanischen Krieg, den Krieg an sich.
Barbara Nüsse, Bernd Grawert, Wolfgang Pregler, Stefan Merki, Hans Kremer, Oliver Mallison © Andreas Pohlmann |
Als der Vorhang aufging, erlebte der Zuschauer einen Haufen müder, abgeschlaffter Warlords. Apathisch dämmerten sie vor sich hin, selbstgefällig, eitel und großsprecherisch. Allen voran bemühte sich Ulysses (Wolfgang Pregler), der Manager dieses Krieges, Worte zu finden, die der fortgeschrittenen Sinnentleerung etwas entgegensetzen könnten. Im Hintergrund schnitt Agamemnon (Hans Kremer) seine Fratzen, denn er weiß um die Sinnlosigkeit aller Erklärungsversuche. Einzig Menelaus (Bernd Grawert) hielt an seinen Gründen fest. Ihm wurde das Weib gestohlen. Aber wer will, wer kann den vermeintlichen Grund des Krieges nach sieben Jahren Kampfhandlungen noch ernst nehmen? Ulysses verkündete desillusionierend, dass jeder Krieg immer nur ein Anliegen hat, den Erwerb von materiellem Besitz. Die Auslöser für Kriege freilich sind vielfältig.
Zwei gab es, die wussten um den Ausgang. Kalchas (Annette Paulmann), trojanischer Priester mit seherischer Gabe, schlug sich vorsorglich auf die Seite der zukünftigen Sieger - die Griechen. Und Cassandra (ebenfalls Annette Paulmann) kannte als Seherin das Schicksal Trojas und warnte lautstark. Sie steckte beizeiten in der Zwangsjacke. Spätestens hier war der Zuschauer in der Realität angekommen. Moralisch verkommene, zynische, aufgeblasene, z.T. psychisch gestörte Politiker stürzen die Welt in immer neue Kriege, die vom Fußvolk ausgefochten werden müssen. Im Falle Troja war der Krieg zur Lebensform geronnen, die ganze zehn Jahre anhielt und aus der der abgefeimteste Demagoge, Ulysses, die fetten, trägen, geilen Griechen mittels eines barbarischen Aktes herausführte.
Die Barbarei war zentrales Thema in Percevals Inszenierung und die verkommene und verlogene Rhetorik, mittels der sie sich breit machte. Die Vernunft schien völlig auf der Strecke geblieben sein oder sie steckte bereits in der Zwangsjacke. Wenn es um wirtschaftliche Belange, um Profit geht, ist jedes Mittel, jede Lüge recht. Karl Marx schrieb bereits vor einem und einem halben Jahrhundert, dass das Kapital bei 300% Profit bereit ist, zu töten. Wer vermag bei Kenntnis der Geschichte zu widersprechen?
Luc Perceval hatte ein Bühnenbild entworfen, das wenig Konkretheit aber viel Atmosphäre suggerierte. Unentwegt tropfte es in den nebligen dunklen Raum, dessen Boden mit Auffangbehältern übersät war. Das Verrinnen von Zeit wurde hörbar. Darin apathische Männer, die sich mit jeder verbalen oder mimischen Äußerung selbst entlarvten. Die Regieeinfälle waren so einfach wie gut. Mit Schüsseln auf dem Kopf waren die Darsteller Tojaner, ohne Schüsseln Griechen. Einige Darsteller spielten einen Griechen und gleichzeitig dessen trojanischen Gegenspieler. Große Komödiantik war angesagt. Hans Kremer gab einen zynischen Agamemnon und gleichzeitig einen verbissenen Hektor mit Unteroffiziersmentalität. Bernd Grawert gestaltete den betrogenen, recht stumpf wirkenden Menelaus und gleichsam den Betrüger Paris, im Mythos zwar Königssohn, aber ohne Bildung als Ziegenhirt aufgewachsen. Grawerts gesangliche Einlagen und sein Saitenspiel verliehen dem Ganzen den Charakter eines großen Vorstadtblues. Barbara Nüsse verkörperte den 300jährigen Nestor und zugleich einen ebenso senilen Priamus. Peter Brombachers Ajax war hünenhaft und tumb. Wolfgang Pregler brillierte als Ulysses ebenso wie Stefan Merki als Diomedes. Es war über weite Strecken eine Augenweide.
Doch leider verloren sich die Darsteller immer wieder in Slapsticknummern und komödiantischen Banalitäten, was den hervorragenden Ansätzen häufig die Spitze nahm. Es schien, als hätte Regisseur Luk Perceval panische Angst vor Verbindlichkeiten, als fürchte er, ein Bild könnte zu einer handhabbaren Botschaft kristallisieren. Immer wieder schimmerte das Bemühen durch, Pathos zu verhindern, tradierte künstlerische Ergebnisse, zu denen die hervorragenden Darsteller allemal in der Lage waren, ungebrochen stehen zu lassen. Dabei waren die Einfalle nicht selten bedrückend belanglos, beispielsweise ein Reimlied von Grawert und Kremer auf die Endung u. Immer wieder glitten die Darsteller infolge der Schauspielerführung in scheinbar private Haltungen ab. So wurde die große Botschaft, die sich deutlich abzuzeichnen begann und mit der sich Regie und Darsteller verdient gemacht hätten, zerblödelt.
Das Publikum reagierte gespalten, was bei Perceval-Inszenierungen eigentlich vorprogrammiert ist. In "Troilus und Cressida" hat der Regisseur weniger ästhetische Grenzen überschritten, als vielmehr mit einem etwas zwanghaft scheinenden Wunsch nach Unkonventionalität in jeder Situation das rechte Maß verpasst und die Botschaft des eigenen Werkes verwässert. Schade! Aber ungeachtet dieses Mankos ist die Inszenierung durchaus sehenswert.
Wolf Banitzki
Troilus und Cressida
von W. Shakespeare
Übersetzung und Bearbeitung: Paul Brodowsky. Fassung: Luk Perceval Peter Brombacher, Bernd Grawert, Joel Harmsen, Julia Jentsch, Hans Kremer, Christoph Luser, Oliver Mallison, Stefan Merki, Barbara Nüsse, Annette Paulmann, Wolfgang Pregler, Frederik Tidén. Regie und Raum: Luk Perceval |