Kammerspiele Schnee nach Orhan Pamuk
Der wahre Herrscher heißt Hass
Unlängst führte ich in einer gemütlichen Münchener Kneipe ein Gespräch mit einem mittelständischen deutschen Unternehmer, dessen Textilfirma in der Türkei Kleidungsstücke nähen lässt. Auslöser des Gesprächs war die Abschaffung des Kopftuchverbots an türkischen Hochschulen. Er feixte angesichts dieser Meldung in sich hinein. "Die Türken verbauen sich den EU-Beitritt immer mehr." Ich fragte erstaunt zurück: "Sind Sie gegen einen Beitritt der Türkei zur EU?" Er: "Klar doch!" Ich, meinerseits: "Aber Sie lassen in der Türkei arbeiten." Er grinste breit: "Eben drum. Wenn die Türken in die EU kommen, werden die Löhne auch in Anatolien unweigerlich steigen." Ich war verblüfft und fragte zurück: "Wer sollte denn Ihrer Meinung nach in die EU?" Ohne zu überlegen antwortete er: "Die Länder in denen sich die Bevölkerung meine Klamotten kaufen können." "Also zum Beispiel Kuweit." Er lachte: "Das wäre doch mal eine gute Idee!" Ich fragte den Wirt, einen Türken, der unser Gespräch verfolgt hatte, was er von einem baldigen Beitritt halte? Auch er lächelte und winkte ab. "Mann, wir sind doch schon da."
Diese surreal anmutende Szene war sehr aufschlussreich.
Aufschlussreich war ohne Zweifel auch die Inszenierung von Orhan Pamuks Roman "Schnee" in den Münchner Kammerspielen. Dort wurde die Geschichte eines türkischen Dichter mit dem Spitznamen Ka erzählt. Der war nach Kars gereist, um über eine Reihe von Selbstmorden junger Frauen zu berichten. Dieser Grund war jedoch mehr ein Vorwand, denn der in Frankfurt lebende Künstler hatte erfahren, dass seine Jugendliebe mit Namen Ipek geschieden und also wieder frei war. Unvermittelt gerät er in dem verschneiten ostanatolischen Städtchen in einen Militärputsch. Der Aufstand findet in einem Theater, einem Volkstheater statt. Anführer ist ein gewisser Sunay Zaim, einst gefeierter Staatsschauspieler und inzwischen aufs Abstellgleis verfrachtet. In einem Anflug von Größenwahr hatte er öffentlich verlautbaren lassen, dass er durchaus im Stande wäre, den Propheten selbst in einem Film darzustellen. Der Kampf zwischen Laizisten (Menschen mit säkularen Bestrebungen) und Islamisten fordert viele zumeist unschuldige Opfer. Ka versucht zu vermitteln. Seine eigene, angesichts der Vorgänge sehr gesunde Feigheit hilft ihm nicht. Vier Jahre später ereilt ihn in Frankfurt eine Kugel, abgefeuert von grenzüberschreitendem Hass.
Unlängst führte ich in einer gemütlichen Münchener Kneipe ein Gespräch mit einem mittelständischen deutschen Unternehmer, dessen Textilfirma in der Türkei Kleidungsstücke nähen lässt. Auslöser des Gesprächs war die Abschaffung des Kopftuchverbots an türkischen Hochschulen. Er feixte angesichts dieser Meldung in sich hinein. "Die Türken verbauen sich den EU-Beitritt immer mehr." Ich fragte erstaunt zurück: "Sind Sie gegen einen Beitritt der Türkei zur EU?" Er: "Klar doch!" Ich, meinerseits: "Aber Sie lassen in der Türkei arbeiten." Er grinste breit: "Eben drum. Wenn die Türken in die EU kommen, werden die Löhne auch in Anatolien unweigerlich steigen." Ich war verblüfft und fragte zurück: "Wer sollte denn Ihrer Meinung nach in die EU?" Ohne zu überlegen antwortete er: "Die Länder in denen sich die Bevölkerung meine Klamotten kaufen können." "Also zum Beispiel Kuweit." Er lachte: "Das wäre doch mal eine gute Idee!" Ich fragte den Wirt, einen Türken, der unser Gespräch verfolgt hatte, was er von einem baldigen Beitritt halte? Auch er lächelte und winkte ab. "Mann, wir sind doch schon da."
Diese surreal anmutende Szene war sehr aufschlussreich.
Aufschlussreich war ohne Zweifel auch die Inszenierung von Orhan Pamuks Roman "Schnee" in den Münchner Kammerspielen. Dort wurde die Geschichte eines türkischen Dichter mit dem Spitznamen Ka erzählt. Der war nach Kars gereist, um über eine Reihe von Selbstmorden junger Frauen zu berichten. Dieser Grund war jedoch mehr ein Vorwand, denn der in Frankfurt lebende Künstler hatte erfahren, dass seine Jugendliebe mit Namen Ipek geschieden und also wieder frei war. Unvermittelt gerät er in dem verschneiten ostanatolischen Städtchen in einen Militärputsch. Der Aufstand findet in einem Theater, einem Volkstheater statt. Anführer ist ein gewisser Sunay Zaim, einst gefeierter Staatsschauspieler und inzwischen aufs Abstellgleis verfrachtet. In einem Anflug von Größenwahr hatte er öffentlich verlautbaren lassen, dass er durchaus im Stande wäre, den Propheten selbst in einem Film darzustellen. Der Kampf zwischen Laizisten (Menschen mit säkularen Bestrebungen) und Islamisten fordert viele zumeist unschuldige Opfer. Ka versucht zu vermitteln. Seine eigene, angesichts der Vorgänge sehr gesunde Feigheit hilft ihm nicht. Vier Jahre später ereilt ihn in Frankfurt eine Kugel, abgefeuert von grenzüberschreitendem Hass.
Bernd Moss © Arno Declair |
Der Roman Pamuks leistet ein gewaltiges Maß an Aufklärung, an dessen Ende die These steht: Es geht nicht um Links oder Rechts, um den Islam oder das Christentum, um den ethnischen Unterschied, sondern es geht um oben und unten, um reich oder arm.
Regisseur Lars-Ole Walburg gelang gemeinsam mit Malte Jelden kein Bühnenstück, doch zumindest ein großer Szenenreigen, der die Detailopulenz des Romans erahnen lässt.
Die Geschichte wurde in den Grundzügen deutlich und das Wesentliche der Vorgänge szenisch erzählt. Auf der Bühne der Kammerspiele türmte sich ein Berg aus Bildschirmen, die die Handlung sinnreich illustrierte und gleichsam verfremdete. ‚Wir reden und sehen fern, und während wir reden sehen wir fern, und während wir fern sehen reden wir.' Vielmehr hielt Bühnenbildner Robert Schweer kaum für nötig, einen Stuhl, einen Sessel, ein Sofa, einen Tisch.
Die Menschen in Kars, denen die Segnungen der westlichen Zivilisation vorenthalten geblieben waren, dämmerten in ihren verblassenden Träumen dahin. Necip, ein junger Mann, träumt davon, ein islamischer Science-Fiction Schriftsteller zu werden. Sebastian Weber agierte schmerzverzerrt und verängstigt, denn schon der Traum hat Gefahrenpotenzial. Annette Paulmann gab eine selbstbewusste Ipek, die noch nie in ihrem Leben an ein erträumtes Ziel gekommen war. Auch die Liebe zu Ka blieb nur Möglichkeit, ungelebt. Kadife, ihre Schwester, wünschte sich ein ganz normales Leben. Tabea Bettin agierte kraftvoll, geradezu laut, in einer Welt, in der sich Frauen besser unsichtbar machen sollten. Kadife sitzt einem Mann auf, der fundamental-islamische Werte predigt und der seinem Ego auf jede erdenkliche Weise Nahrung gibt. Bernd Grawerts Lapislazuli ist ein Mann der seelischen und familiären Entwurzelung, der den Hass braucht wie das tägliche Brot. Sein Gegenspieler wird von Hans Kremer gespielt. Der Schauspieler Sunay Zaim ist der klassische Rebellenführer mit faschistoiden Zügen. Er gehört zu den machohaften, sich selbst überschätzenden Männern, denen nur noch die Gewalt bleibt, um auf sich als etwas besonderes aufmerksam zu machen. Bin Ladens Biografie drängt sich an dieser Stelle geradezu auf. Kremers Darstellung ist beängstigend, wenn er erst seine verlogenen Phrasen mit Theatralik verkündet und als Unterstreichung die Kalaschnikow effektvoll bellen lässt. Und zwischendrin Ka, sensibel und mit Anflügen von Komik gestaltet von Bernd Moss. Ka findet in die Heimat ebenso wenig zurück, wie er jemals in Frankfurt angekommen ist. Vereinsamt und voller Sehnsucht nach menschlicher Liebe, einem kleinen Glück, ist er von vornherein zum Scheitern verurteilt.
Lars-Ole Walburg inszenierte weitestgehend unspektakulär, wenn man einmal vom Abfeuern einer Kalaschnikow absieht. Die Geschichte passiert die Bühne ohne das Verwirrung aufkommt. Seine Schauspielführung war äußerst solide. Heraus kam (endlich) einmal wieder eine Inszenierung, die Betroffenheit auslöst, ohne Befindlichkeiten zu beflügeln. Dabei kann getrost darüber hinweg gesehen werden, dass es kein Theaterstück war. Der Zuschauer konnte Einblick in eine Gesellschaft nehmen, die in ihren Bestrebungen historisch an einem Punkt ist, den das westliche Europa vor vierhundert Jahren überwand. Traurig stimmt es, von der Bühne herab glaubhaft erfahren zu müssen, dass nur halbherzig nach Lösungen gesucht wird und die öffentliche Meinung mit Lügen, Halbwahrheiten und tendenziösen Bildern vergiftet wird.
Doch, wie gesagt, es geht um arm oder reich. Damit sei noch einmal auf das eingangs beschriebene Gespräch verwiesen. Mir stellt sich die Frage, welche Partei der an Gewinnen orientierte mittelständische Unternehmer unterstützen würde, wenn er Gelegenheit dazu hätte?
Wolf Banitzki
Die Geschichte wurde in den Grundzügen deutlich und das Wesentliche der Vorgänge szenisch erzählt. Auf der Bühne der Kammerspiele türmte sich ein Berg aus Bildschirmen, die die Handlung sinnreich illustrierte und gleichsam verfremdete. ‚Wir reden und sehen fern, und während wir reden sehen wir fern, und während wir fern sehen reden wir.' Vielmehr hielt Bühnenbildner Robert Schweer kaum für nötig, einen Stuhl, einen Sessel, ein Sofa, einen Tisch.
Die Menschen in Kars, denen die Segnungen der westlichen Zivilisation vorenthalten geblieben waren, dämmerten in ihren verblassenden Träumen dahin. Necip, ein junger Mann, träumt davon, ein islamischer Science-Fiction Schriftsteller zu werden. Sebastian Weber agierte schmerzverzerrt und verängstigt, denn schon der Traum hat Gefahrenpotenzial. Annette Paulmann gab eine selbstbewusste Ipek, die noch nie in ihrem Leben an ein erträumtes Ziel gekommen war. Auch die Liebe zu Ka blieb nur Möglichkeit, ungelebt. Kadife, ihre Schwester, wünschte sich ein ganz normales Leben. Tabea Bettin agierte kraftvoll, geradezu laut, in einer Welt, in der sich Frauen besser unsichtbar machen sollten. Kadife sitzt einem Mann auf, der fundamental-islamische Werte predigt und der seinem Ego auf jede erdenkliche Weise Nahrung gibt. Bernd Grawerts Lapislazuli ist ein Mann der seelischen und familiären Entwurzelung, der den Hass braucht wie das tägliche Brot. Sein Gegenspieler wird von Hans Kremer gespielt. Der Schauspieler Sunay Zaim ist der klassische Rebellenführer mit faschistoiden Zügen. Er gehört zu den machohaften, sich selbst überschätzenden Männern, denen nur noch die Gewalt bleibt, um auf sich als etwas besonderes aufmerksam zu machen. Bin Ladens Biografie drängt sich an dieser Stelle geradezu auf. Kremers Darstellung ist beängstigend, wenn er erst seine verlogenen Phrasen mit Theatralik verkündet und als Unterstreichung die Kalaschnikow effektvoll bellen lässt. Und zwischendrin Ka, sensibel und mit Anflügen von Komik gestaltet von Bernd Moss. Ka findet in die Heimat ebenso wenig zurück, wie er jemals in Frankfurt angekommen ist. Vereinsamt und voller Sehnsucht nach menschlicher Liebe, einem kleinen Glück, ist er von vornherein zum Scheitern verurteilt.
Lars-Ole Walburg inszenierte weitestgehend unspektakulär, wenn man einmal vom Abfeuern einer Kalaschnikow absieht. Die Geschichte passiert die Bühne ohne das Verwirrung aufkommt. Seine Schauspielführung war äußerst solide. Heraus kam (endlich) einmal wieder eine Inszenierung, die Betroffenheit auslöst, ohne Befindlichkeiten zu beflügeln. Dabei kann getrost darüber hinweg gesehen werden, dass es kein Theaterstück war. Der Zuschauer konnte Einblick in eine Gesellschaft nehmen, die in ihren Bestrebungen historisch an einem Punkt ist, den das westliche Europa vor vierhundert Jahren überwand. Traurig stimmt es, von der Bühne herab glaubhaft erfahren zu müssen, dass nur halbherzig nach Lösungen gesucht wird und die öffentliche Meinung mit Lügen, Halbwahrheiten und tendenziösen Bildern vergiftet wird.
Doch, wie gesagt, es geht um arm oder reich. Damit sei noch einmal auf das eingangs beschriebene Gespräch verwiesen. Mir stellt sich die Frage, welche Partei der an Gewinnen orientierte mittelständische Unternehmer unterstützen würde, wenn er Gelegenheit dazu hätte?
Wolf Banitzki
Schnee
nach Orhan Pamuk
Deutsch von Christoph K. Neumann Bühnenfassung von Lars Ole Walburg und Malte Jelden Bernd Moss, Annette Paulmann, Tabea Bettin, Jochen Striebeck, Bernd Grawert, Hans Kremer, Sebastian Weber, Wolfgang Pregler Regie Lars-Ole Walburg |