Kammerspiele Der Sturm von W. Shakespeare
Als Shakespeare dieses, sein letztes Stück im Jahre 1611 schrieb, war er selbst ein ästhetisches Auslaufmodell. Das italienische Theater mit seinen Illusionskünsten hielt im alten England Einzug und verdrängte die Autoren, die nur auf die gestalterische Kraft des Wortes und seines Darstellers setzten. Und wer weiß, vielleicht lag hier sogar der Beginn Hollywoods. Technisch verlangte das märchenhafte Schauspiel ein Theater, wie es das Globe-Theater in seiner Schlichtheit nicht war. Shakespeare war sich all dessen bewusst und angesichts dieser Tatsache sollte der Text, der erst zwölf Jahre später am Hof König Jakobs I. auf die technisch vermutlich aufgepeppte Bühne gelangte, mit besonderer Aufmerksamkeit gelesen werden. Es waren die letzten künstlerischen Zeilen des Genies, das danach verlosch und der Mann William Shakespeare in Stratford zum wohlhabenden spießigen Eigenheimbesitzer mutierte.
Es ist eine aufwendige Geschichte voller Irrungen und Wirrungen, unglaublicher Vorgänge und Statements, über denen eine abgründige Melancholie lastet. Diese Melancholie entspricht der Seelenlage des Autors, der, gleich Prospero, seine liebgewordene Insel räumen muss. Dabei war die Insel nur Asyl. Prospero, der Herzog von Mailand, strandete mit seiner Tochter auf diesem Eiland irgendwo zwischen Tunis und Neapel, das gleichsam ein utopischer Ort war. Er nimmt die Insel mit ihren Wesen in Besitz, unterwirft den missgestalteten Caliban und macht sich den Luftgeist Ariel dienstbar, der ihn in den Stand versetzt, die Geschicke Dank Zauberei zu gestalten. Als sich die ehemaligen Widersacher Antonio, Prosperos Bruder gemeinsam mit Alonso, König von Neapel, und Sebastian, Alonsos Bruder, nebst Anhang wie den rechtschaffenen Ratsherrn Gonzalo und den noch unschuldigen Ferdinand, Sohn von Alonso, auf der Rückreise von einer königlichen Hochzeit in Nordafrika der Insel nähern, veranlasst Prospero seinen Untertanen Ariel, einen Sturm zu entfesseln. Ein ausgeklügelter Plan voller Magie und Verwirrung nimmt seinen Lauf. Nur soviel, am Schluss gibt's ein Happy End, eines mit dem Wehmut des Shakespeareschen Abschieds vom Lebenswerk zu dessen Verkünder der Dichter den Prospero erkoren hat.
Hildegard Schmahl, Wolfgang Pregler
© Arno Declair |
Es ist ein märchenhaftes, philosophisches, politisches, menschliches und unmenschliches Stück. Es ist zugleich ein Stück, das der Fantasie eines Regisseurs beinahe unendlichen Raum lässt. Stefan Pucher wusste diesen genussvoll und rotzig-radikal zu nutzen. Er schuf nicht nur große und überzeugende Bilder, sondern griff gleichsam durch eigene Bearbeitung - mehr als mutig - in den Text ein. Die sprachliche Bearbeitung - eine Verfeinerung war es nicht gerade - geschah um den Preis der Verhinderung sentimentaler oder gar kitschiger Posen, wie sie sich gerade in Shakespeares Märchenspielen gelegentlich einschleichen können. Pucher scheute nicht davor zurück, die Schauspieler aus den Rollen aussteigen zu lassen, um ihnen Raum für erhellenden Kommentar zu geben. So entgegnete Wolfgang Pregler als Ariel auf das Lob seines Herrn: Unangenehm an der Sache sei, dass man dabei so bescheuert aussehe. (Kostüme: Annabelle Witt) Und da er in der Tat herrlich bescheuert aussah, zollte das Publikum berechtigten Beifall. Dennoch muss dieser Inszenierung bescheinigt werden, dass Shakespeare allgegenwärtig war und nicht unter Druck geriet. Vielmehr entfalteten gerade die Passagen, in denen die Sprache des Dichters über das Spiel hinaus hörbar wurde, eine wundervollen Zauber.
Barbara Ehnes griff für ihr Bühnenbild eine Schlüsselidee zum Verständnis der Figur des Prospero auf. Der nämlich liebte Bücher mehr als alles andere, selbst mehr als sein Fürstentum. Darum verlor er es auch. Und weil das Geistige dem Pragmatischen der Realität so entgegensteht, ist das als Buch mit umschlagbaren Bildseiten konzipierte Bühnenbild die alles beherrschende Metapher. In der Ankündigung der Münchner Kammerspiele heißt es: "Prospero agiert wie ein Wissenschaftler, der mit Hilfe von schwarzer Magie, wie auch gesellschaftstheoretischen Erkenntnissen seine Allmacht unter Beweis stellt. Die Frage ist allerdings: Was existiert nur im Kopf Prosperos und wo ist die Grenze zwischen Gedankenwelt und Realität zu ziehen?"
Stefan Pucher und seine komödiantischen Mitstreiter beantworten diese Fragen letztlich nicht und bewahren somit den Reiz des Vagen, der letzten Geheimnisse, die aus der menschlichen Fähigkeit zum Versagen herrühren. So gelang, was Vorsatz war: "Es ist ein Spiel, eine Art Verhaltenslabor, das im Zusammentreffen unterschiedlicher sozialer Gruppen und Typen einen Cultural Clash in Gang setzt." (Ankündigung der Münchner Kammerspiele) Es gelang zudem auf unterhaltsame und kurzweilige Weise. Die Akteure in diesem Reigen zu loben, ist im einzelnen kaum möglich. Die Inszenierung zeichnete sich sowohl durch exzellentes Ensemblespiel, als auch durch die Fähigkeit jedes einzelnen Darstellers aus, der jeweiligen Figur eine besondere - eine wirklich besondere - Haltung und ein ungewöhnliches Antlitz zu verleihen. Allen voran selbstverständlich Hildegard Schmahl, deren Prospero nicht nur eine Rollengestaltung war, sondern ein theatralisches Ereignis.
Bei allem Lob soll doch auf einen Vorgang verwiesen werden, auf den bereits hingedeutet worden ist mit der Aufforderung, diesen Text mit besonderer Aufmerksamkeit zu lesen. Gemeint ist die Rede des Gonzalo im 2. Aufzug, 1. Szene, in der er einen Gegenentwurf, und zwar einen absolut konsequenten Gegenentwurf zu allen bislang bestehenden Gesellschaftsmodellen entwickelte. In beinahe alle Inszenierungen und hier nimmt sich die an den Münchner Kammerspielen nicht aus, wird diese Rede als schwärmerische Narretei aufgefasst. Sie wird mit Zynismus abgetan und verursacht nur Langeweile bei den Antagonisten. Man bedenke noch einmal, dass es das letzte Stück von Shakespeare war; man bedenke weiterhin, dass die Erinnerung an Thomas Morus (Autor des Buches "Utopia") noch nicht verblasst war und man bedenke zudem noch, dass in allen sekundären Schriften zu "Der Sturm" von der Unvermitteltheit (gelegentlich auch Grundlosigkeit) dieser Passage die Rede ist. Was ist also ihr Sinn? Der Sinn ist, dass Shakespeare seinen letzten Text nutzte, um seine Utopie zu formulieren. Es ist eine der verwegensten, aber zugleich hoffnungsträchtigsten überhaupt. Man stelle sich einmal vor, er habe den ganzen Sturm nur für diese wenige Sätze entfesselt. Immerhin haben derartige Sätze schon gewaltige Stürme initiiert! Leider glaubte ihm auch in den Münchner Kammerspielen niemand. Man hielt es von Seiten der Theatermacher wie auch von Seiten des Publikum für eine surreale Attitüde. Schade.
Wolf Banitzki
Der Sturm
von W. Shakespeare
Hildegard Schmahl, Wolfgang Pregler, Katharina Schubert, Oliver Mallison, Walter Hess, Jörg Witte, René Dumont, Peter Brombacher, Thomas Schmauser, Stefan Merki, Bernd Moss, Joy Maria Bai, Annika Olbrich, Julia Schmelzle Regie: Stefan Pucher |