Kammerspiele Drei Schwestern von Anton Tschechow


 

 

Mogelpackung

Es sind die Träume, die Sehnsüchte, die Wünsche, die die Menschen am Leben erhalten, sie von Minute zu Minute, Stunde zu Stunde, Tag zu Tag tragen. Träume, Sehnsüchte, Wünsche wirken auch dann noch, wenn das Dasein nicht mehr Leben genannt werden kann, weil es nur noch ein vegetieren ist. Sie wirken auch dann noch, wenn der Mensch längst gescheitert ist, weil er zwangsläufig scheitern muss, immer scheitern wird.

Diese unabwendbare Tatsache begegnet uns in den Zeiten des Zerfalls augenscheinlicher, als zur Zeit scheinbaren Fortschritts. Anton Tschechow war sie gegenwärtig, erlebte er doch den beginnenden Zerfall des zaristischen Russland, seiner bürgerlichen Gesellschaft, welche sich nur noch am Gespinst der dünnen Fäden intellektuellen Gedankenguts festhielt. Mit dem analytischen Blick eines Arztes, der die Tiefen der Seele auslotet und die Feinheit ihrer Machart kannte, beschrieb er in seinen Dramen bereits Vegetierende, denen das Leben zwischen den Gedanken hindurch ins Schweigen, ins Nichts lief.

Drei Schwestern hängen in einer kleinen Garnisonsstadt fest. Sie sind vor Jahren ihrem Vater, einem Brigadegeneral, gefolgt. Doch der Vater verstarb und sie finden allein den Weg zurück nach Moskau nicht. Moskau, die gelobte Stadt, mit der sie die Erinnerungen an eine glanzvolle Jugend verbinden, nährt die Flamme der Sehnsucht. So machen sie ihre Hoffnungen am Bruder Andrej fest, der sie, nachdem er als Wissenschaftler anerkannt wurde, wieder an das "Herz des Lebens" führen soll. Doch dem Bruder fehlt das Format, er schafft es nur in den Kreisrat, protegiert durch den Liebhaber seiner Frau. Zudem verpfändet er das gemeinsame Erbe, das Haus, in dem sie leben, um Spielschulden zu begleichen. Seine Hoffnungen hängen nun an seiner Frau Natalja, die daraufhin die Herrschaft im Haus übernimmt. Die Sehnsucht der Schwestern nach Moskau wächst. Ein wenig Abwechslung bieten die Herren aus dem Regiment, an ihnen lässt sich auch Hoffnung festmachen.
Irina, die Jüngste der Schwestern arbeitet als Telefonistin, schließlich gibt sie dem Werben des Barons nach. Er liebt Irina, doch die Liebe ist einseitig und er zieht den Tod im Duell einer Ehe vor. Mascha, verheiratet mit einem Lehrer, liebt den Batteriechef, der zuvor ihren Bruder protegierte. Doch das Regiment wird abberufen und die Stadt in noch tiefere Bedeutungslosigkeit fallen. Olga ist Lehrerin, sie leidet, da die Kraft der Jugend sie verlässt und die Sehnsucht nicht mehr nähren kann, die Sehnsucht nach Leben, Liebe und nach Moskau. "... Die Zeit wird verrinnen, einst werden auch wir für ewig von hinnen gehen, die Menschen werden uns vergessen, sie werden sich nicht mehr an unsere Gesichter und Stimmen erinnern, nicht mehr wissen, wie viel wir waren, aber unsere Leiden werden sich für die, die nach uns kommen, in Freude verwandeln, Glück und Frieden werden auf Erden herrschen, und die Menschen werden mit guten Worten und dankbaren Gefühlen derer gedenken, die jetzt leben. Oh, meine lieben Schwestern, unser Leben ist noch nicht zu Ende. Wir werden weiterleben. Die Musik spielt so heiter, so fröhlich, und man möchte meinen, nur noch ein kleines Weilchen, und wir erfahren, weshalb wir leben, weshalb wir leiden .. Ach, wenn wir's doch wüßten, wenn wir es wüßten!"
 
   
 

Oliver Mallison, Tanja Schleiff, Annette Paulmann, Sylvana Krappatsch, Katharina Schubert, Paul Herwig

© Arno Declair

 

Das Gespinst der Beziehungen zwischen den einzelnen Figuren ist fein und vielschichtig. Nie lässt es sich an einem Punkt festmachen, und doch brechen die Hoffnungen bei allen an den selben Stellen hervor, werden vom Gegenüber erwidert oder verschwenden sich. Tschechows Blick auf diese Wirklichkeit ist nüchtern, nicht wertend und läge damit ganz im Geist des Heute.


Wenn man das Originalwerk kennt, ist diese Inszenierung insofern von Interesse, als an ihr die Entfernung des Menschen von sich selbst erkennbar wird. Jeder Versuch, die Realität zu ändern, scheitert. Die Darstellung dieser Vorgänge lag jedoch kaum in der Absicht des Regisseurs. Er brach das Drama nicht künstlerisch, um zu neuer Qualität oder Betrachtung zu gelangen, sondern er setzte auf plakative Elemente wie Wunschzettel oder Luftballons und betrieb damit eindeutige Gesellschaftsreflektion. Wem es gefällt, wenn Zeitgeistplattitüden, hohle Hysterie und banales Befindlichkeitspathos die Bühne beherrschen, der wird Gefallen finden an dieser drei und einviertel Stunden dauernden Aufführung.

 
C.M.Meier

 

 


Drei Schwestern

von Anton Tschechow

Oliver Mallison, Tanja Schleiff, Annette Paulmann, Sylvana Krappatsch, Katharina Schubert, Paul Herwig, Bernd Grawert, Renè Dumont, Bernd Moss, Jean-Pierre Cornu, Stefan Merki, Walter Hess

Regie/Bühne: Andreas Kriegenburg
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