Kammerspiele Das letzte Band / Bis dass der Tag euch scheidet Oder Eine Frage des Lichts von Samuel Beckett, Peter Handke


 

 

Handkes Antwort auf Beckett

Krapp, ein Schriftsteller (Verkaufsquote 17 Bücher), eine Kreatur, die sich in Auflösung befindet, beendet sein Leben. Er hört ein Band ab, welches er 30 Jahre zuvor besprochen hat, und bespricht das letzte Band. Dabei handelt es sich um das absolute Ende einer Existenz, die nicht im physischen, sondern im geistig-emotionalen Schlussakkord zu finden ist. Dieser Schlussakkord ist ein Vorgang des Erinnerns und gleichsam die Auslöschung des Erinnerns als bewusster Akt. In dieser horriblen Vision liegt eine große Komik, denn das Grauen erzeugt Gelächter und im selben Moment wird das Gelächter grauenvoll.

„Hörte mir soeben den albernen Idioten an, für den ich mich vor dreißig Jahren hielt, ...“ Im Erinnern findet sich auch das Bild von Frauen, einer Frau im Besonderen: „Ich sank auf sie nieder, mein Gesicht in ihren Brüsten und meine Hand auf ihr. Wir lagen da, ohne uns zu bewegen. Aber unter uns bewegte sich alles und bewegte uns, sachte, auf und nieder und von einer Seite zur anderen.“ Eingeweihte werden wissen, dass „Sie“ Becketts Cousine Peggy Sinclair aus Kassel war, die in jenem gemeinsamen Urlaub an der Ostsee über das Schicksal Effi Briest unendlich viele Tränen verlor. Krapp: „... Hätte glücklich sein können, dort oben an der Ostsee, und die Kiefern und die Dünen.“ Beckett war Anfang Zwanzig und dieses „Hätte glücklich sein können“ gibt früh Auskunft darüber, dass er mit Frauen nie glücklich werden konnte. Im Alter heiratete er aus Gründen des Anstands, um seine Lebensgefährtin versorgt zu wissen, und bevorzugte dabei Prostituierte, leidenschaftslos und als Akt der emotionalen Hygiene.

André Jung war unbestritten eine gute Wahl für diese Rolle. Sein sensibles Spiel, die Fähigkeit, mit geringsten Mitteln, allein schon durch physische Präsenz, unterstrichen durch ein Augenzwinkern, durch die linkische Bewegung eines Fingers den Raum zu elektrisieren, prädestinierte ihn für die Rolle. Doch gleich zu Beginn geschah etwas überaus Fatales. Jung bediente das Clowneske der Rolle so, dass es einige Augenblicke lustig wurde. Schlimmeres kann man einem Becketttext eigentlich nicht antun, denn Becketts Texte sind komisch – aber sie sind nicht lustig! Genau dieser Unterschied entscheidet über die Wirkung Beckettscher Texte. Beim Publikum kam es prompt an, was ein sehr schwacher Einstieg in die Existenz Krapps war, weil sinnverzerrend. In diese Falle, noch nie war sie so verlockend wie in der heutigen Zeit, hätte man nicht tappen sollen.

André Jung brachte seinen Part anständig zuende, wenngleich angemerkt werden muss, dass die Sicht auf „Das letzte Band“ sehr stark von dem Bemühen geprägt war, Peter Handkes Erwiderung vorzubereiten und sinnfällig zu machen. Diese Lesart würde man vermutlich nicht gewählt haben, wenn es beim Becketttext geblieben wäre. Das Thema Liebe und Frauen mag in diesem Text wichtig sein, allerdings ist es kaum mehr als das Kontrastmittel zur singulären Existenz des Menschen in der bürgerlichen Gesellschaft, was Beckett jedoch zum philosophischen Paradigma erhebt.

 

   
 

André Jung, Nina Kunzendorf

© Arno Declair

 

 

Noch während Krapp, wie in der Regieanweisung vorgegeben, am Ende bewegungslos vor sich hinstarrt und das abgelaufene Magnetband rhythmisch klatschend seine Runden dreht, dreht sich gleichsam die Bühne. Anja Rabes hatte einen balkonartigen Kubus im vorderen Bereich dar Bühne installiert, in dem nur wenige Utensilien wie Tisch mit Tonbandgerät, zwei Stühle, eine Kiste und nach der Drehung erst sichtbar, ein Haufen Bananenschalen, zu finden waren.

In dieses Schlussbild hinein trat S. auf, die sich keinen Namen gab, wie sie in den Werken Becketts zu finden sind, obgleich sie die Frau Krapps war, die mit ihm gelebt hatte und nun Klage gegen oder auch über „Mister, Monsieur oder Herrn Krapp“ führte. Nina Kunzendorf erschien selbstbewusst, sogar ein wenig verschmitzt und beschrieb ein Relief, auf dem eine Frau und ein Mann zu sehen waren und die im sich verändernden Licht (Daher der Titel: Bis dass der Tag euch scheidet Oder Eine Frage des Lichts.) zu kommunizieren scheinen. Die männliche Figur ist, wohl von einem übermütigen Passanten, mit rotüberzeichneten Lippen, einer roten Pappnase und mit einigen Metern Magnetband ausstaffiert worden. Die weibliche Figur schlägt plötzlich die Augen auf und hält einen Monolog, der mit folgenden Worten beginnt: „Mein Spiel jetzt. Dein Spiel, es ist gespielt. ...“ Die Abrechnung fällt sehr zu Ungunsten Krapps aus. Ihm wird Egoismus vorgeworfen und Selbstherrlichkeit, Ignoranz und Inhaltslosigkeit.

Nina Kunzendorf spulte ihren Text beinahe etwas geschwätzig ab, Pausen um jeden Preis zu vermeidend, denn diese waren die Domäne Krapps, den sie einen durchtriebenen Spieler nennt: „Wie habe ich jedes Mal das Vertrauen in dich verloren, sooft du deine Sinn-Pausen gemacht hast, Krapp, sooft du die Stille zu einer deiner Kunstpausen missbraucht hast, ...“ Nina Kunzendorf erreichte eine ebensolche, wenn gleich ganz anders geartete Intensität wie ihr schweigsamer Widerpart André Jung, der sich als Krapp mehrfach aus der Szene zu stehlen versuchte. Es gelang ihm erst zum Schluss und erst als S. es zuließ.

Der Text von Peter Handke ist ein zwittriger Literaturorganismus. Er bezieht sich einerseits auf Krapp, also auf Becketts philosophischen Archetyp einer Existenz, die am Ende keinen Sinn ausmachen konnte, weil es keinen gab. Andererseits personifiziert der Text die Figur des Krapp als einen Menschen, der unfähig zur Zweisamkeit war: „Zu zweit warst du falsch und klangst falsch. Nur du allein hast existiert.“ Wenn man sich auf diese Aussagen einlässt, ist mehr in Frage gestellt als die Figur des Krapp. Das Beckettsche Universum entpuppt sich als kleinliche Charakterschwäche, als Untugenden in Form persönlicher Eigenschaften.

Diese Konstellation erinnert an den Satz von André Heller: „Die Frauen haben eine Welt, die Liebe; die Männer haben eine Liebe, die Welt.“ Um Liebe ging es hier ohnehin nur peripher. Das Wort „Unerreichbarkeit“ fiel. Sollte sich hinter dieser Andeutung eine weibliche Sicht Becketts verbergen? Kann es eine solche überhaupt geben? Wenn ja, wäre es kongenial und Handke hätte sich ein weiteres düsteres Attribut hinzuverdient.

Allerdings war die Inszenierung von Jossi Wieler nicht unbedingt dazu angetan, den Text von Handke in den Olymp der Literatur zu katapultieren. Allein die Videoprojektionen, mehr eingefroren als laufende Bilder, zeigten das banal physische Dasein der Personen Krapps und S. nebeneinander. Diese Lösung zeigte eine Sicht auf die Figur Krapps, die im Text nicht vorhanden ist. Sie machte bei genauerem Hinschauen auf verräterische Weise deutlich, dass zwischen Becketts und Handkes Texte Welten liegen, auch wenn sich der Monolog intellektuell spitzfindig und sprachlich ausgewogen anfühlt. Es fehlt ihm die Wucht des Existenziellen und dieses Manko kann durch die Denunziation des Existenziellen als Schwäche bei Becketts Krapp nicht ausgeglichen werden.

Der Monolog als eine „ Antwort auf Krapp, (als) eine Abrechnung und das Echo einer geteilten Zeit, die sie auf immer verbindet“ (Zitat: Werbung Kammerspiele) ist eigentlich eine ganz andere Liga. Aus diesem Grund gehen beide Texte nicht zusammen. Der Zuschauer erlebt kein wirkliches Verschmelzen der Empfindungen. Krapp widerfährt in Handkes Text keine Gerechtigkeit.

 
Wolf Banitzki

 


Das letzte Band / Bis dass der Tag euch scheidet Oder Eine Frage des Lichts

von Samuel Beckett, Peter Handke

André Jung, Nina Kunzendorf

Regie: Jossi Wieler