Kammerspiele Belagerungszustand von Albert Camus
Unverwüstlich
Rare temporum felicitas, ubi quae velis sentire et quae sentias dicere licet. – Seltenes Glück der Zeiten, in denen man denken kann, was man will, und sagen kann, was man denkt. (Tacitus „Historiae“)
Gut zweitausend Jahre ist dieser Satz alt und doch nur ein ewiger frommer Wunsch, wie das Leben zeigt. Camus Stück „Belagerungszustand“ steckt daher auch voller Bitternisse und eigentlich mag man ihm den apotheotischen Schluss vom Sieg der Angstlosigkeit als letzten Widerstand nicht recht glauben. Das muss man auch nicht, denn Sinn macht das Drama des damals gerade einmal 35-jährigen Camus trotzdem. Auch wenn sein melodramatischer Idealismus schmunzeln lässt, - die Argumentation hat prophetische Züge.
‚Eine Regierung, unter der nichts geschieht, ist eine gute Regierung, denn unter dieser Regierung geschieht nichts, was schlechte wäre, und daher ist sie gut.’ So, und in unzähligen Varianten, erklärt der Gouverneur seinem Volk die Situation. Auch wenn Astrologen unheilvolle Konjunktionen am Himmel entdeckt zu haben glauben, ist „nicht reagieren“ erste Politikerpflicht. Nur so bleibt alles gut. Aber es bleibt nicht gut, denn die Pest hält Einzug in der Stadt, reißt die Macht und den Staatsapparat an sich und organisiert das Sterben. Dieses Bild steht wie kaum ein anderes für den Existenzialismus von Camus. Das Dasein ist absurd, da es nur ein Ziel hat, den Tod. Camus Erfahrungen berechtigen ihn zu dem Schluss, hatte er doch den Faschismus, das massenhafte Sterben und das Infragestellen der menschlichen Existenz durch den Menschen selbst aus nächster Nähe erfahren.
Der Schriftsteller erklärt die Pest kurzerhand zu einem Ordnungsprinzip und es ist erstaunlich, wie nahe er der Realität damit kommt. Die daraus resultierende Wirkung ist immer die selbe, ein sich selbst organisierender staatlicher Totalitarismus, der den Ausnahmezustand in ein dauerhaftes Prinzip verwandelt. Ob die Pest nun Schweinepest oder Terrorismus heißt, sofort werden Maßnahmen zur besseren Überwachung, zur Eingrenzung und notfalls auch für Repression gegen die Personen eingeführt, die die Pest als solche nicht wahrhaben wollen und akzeptieren. Schon die abweichende Meinung von der in virulenter Hysterie befindlichen Massen ist suspekt und bedarf der Observation. Und noch etwas. Der Bürger, zu dessen Wohl die Maßnahmen dienen sollen, darf über die Maßnahmen eigentlich nichts Näheres wissen, weil sonst die Wirkung der Maßnahmen in Frage gestellt ist. Wem kommt das nicht bekannt vor?
Regisseur Christoph Frick von der freien Theatergruppe KLARA aus der Schweiz ist ein politischer Provokateur. Für ihn ist Theater, und hier ist durchaus „totales Theater“ gemeint, probates Mittel zur Einmischung in politische Vorgänge. Leider halten sich bei dieser Art Theater Botschaft und ästhetische Mittel selten die Waage. Es ist immer bedauerlich, wenn einem Regisseur die besten Schauspieler und ein Apparat wie der der Münchner Kammerspiele zur Verfügung steht, er diese Voraussetzungen aber nicht wirklich nutzt.
Rare temporum felicitas, ubi quae velis sentire et quae sentias dicere licet. – Seltenes Glück der Zeiten, in denen man denken kann, was man will, und sagen kann, was man denkt. (Tacitus „Historiae“)
Gut zweitausend Jahre ist dieser Satz alt und doch nur ein ewiger frommer Wunsch, wie das Leben zeigt. Camus Stück „Belagerungszustand“ steckt daher auch voller Bitternisse und eigentlich mag man ihm den apotheotischen Schluss vom Sieg der Angstlosigkeit als letzten Widerstand nicht recht glauben. Das muss man auch nicht, denn Sinn macht das Drama des damals gerade einmal 35-jährigen Camus trotzdem. Auch wenn sein melodramatischer Idealismus schmunzeln lässt, - die Argumentation hat prophetische Züge.
‚Eine Regierung, unter der nichts geschieht, ist eine gute Regierung, denn unter dieser Regierung geschieht nichts, was schlechte wäre, und daher ist sie gut.’ So, und in unzähligen Varianten, erklärt der Gouverneur seinem Volk die Situation. Auch wenn Astrologen unheilvolle Konjunktionen am Himmel entdeckt zu haben glauben, ist „nicht reagieren“ erste Politikerpflicht. Nur so bleibt alles gut. Aber es bleibt nicht gut, denn die Pest hält Einzug in der Stadt, reißt die Macht und den Staatsapparat an sich und organisiert das Sterben. Dieses Bild steht wie kaum ein anderes für den Existenzialismus von Camus. Das Dasein ist absurd, da es nur ein Ziel hat, den Tod. Camus Erfahrungen berechtigen ihn zu dem Schluss, hatte er doch den Faschismus, das massenhafte Sterben und das Infragestellen der menschlichen Existenz durch den Menschen selbst aus nächster Nähe erfahren.
Der Schriftsteller erklärt die Pest kurzerhand zu einem Ordnungsprinzip und es ist erstaunlich, wie nahe er der Realität damit kommt. Die daraus resultierende Wirkung ist immer die selbe, ein sich selbst organisierender staatlicher Totalitarismus, der den Ausnahmezustand in ein dauerhaftes Prinzip verwandelt. Ob die Pest nun Schweinepest oder Terrorismus heißt, sofort werden Maßnahmen zur besseren Überwachung, zur Eingrenzung und notfalls auch für Repression gegen die Personen eingeführt, die die Pest als solche nicht wahrhaben wollen und akzeptieren. Schon die abweichende Meinung von der in virulenter Hysterie befindlichen Massen ist suspekt und bedarf der Observation. Und noch etwas. Der Bürger, zu dessen Wohl die Maßnahmen dienen sollen, darf über die Maßnahmen eigentlich nichts Näheres wissen, weil sonst die Wirkung der Maßnahmen in Frage gestellt ist. Wem kommt das nicht bekannt vor?
Regisseur Christoph Frick von der freien Theatergruppe KLARA aus der Schweiz ist ein politischer Provokateur. Für ihn ist Theater, und hier ist durchaus „totales Theater“ gemeint, probates Mittel zur Einmischung in politische Vorgänge. Leider halten sich bei dieser Art Theater Botschaft und ästhetische Mittel selten die Waage. Es ist immer bedauerlich, wenn einem Regisseur die besten Schauspieler und ein Apparat wie der der Münchner Kammerspiele zur Verfügung steht, er diese Voraussetzungen aber nicht wirklich nutzt.
Edmund Telgenkämper, Hildegard Schmahl © Arno Declair |
Konzeptionell hielt sich Christoph Frick an die Vorgabe von Camus, der in seiner Vorrede zum Stück forderte, alle denkbaren Formen des Ausdrucks zu vermischen. Doch die Inszenierung war nicht aus einem Guss, weil vermischt wurde, sondern weil wenig Präzision herrschte. Schon das Bühnenbild von Viva Schudt entsprach nicht den Dimensionen des Bühnenraums, wirkte beliebig und konnte sich nicht zu einem Überbild aufschwingen. Es gab ein Bühnenbild im Bühnenbild, eine identische, nur kindgerecht verkleinerte Variante aus Tischen, Türen, Sitzmöbeln etc. Ein hübscher, jedoch verloren wirkender Einfall, mehr nicht. Die Schauspieler mussten die Umbauten selbst vornehmen, schoben herum, türmten auf und schufen dabei keine Strukturen, die zur bildhaften Suggestion wurden.
Nicht unähnlich waren die Bewegungsabläufe im Chaos des Bühnenbildes. Eingangs verblüffte die Rhythmisierung der Vorgänge unter dem Aspekt: „Alles ist gut, wenn sich nichts ändert.“ Das ausschließlich Rituelle einer erstarrten Gesellschaft wurde mit großer Eindringlichkeit sichtbar. Die Qualität dieses Vorgangs konnte jedoch in den folgenden zwei Stunden nicht mehr erreicht werden.
Die Schauspieler wurden häufig zu körperlicher Aktion getrieben, die die Qualität der Sprachgestaltung deutlich beeinträchtigte. Das war besonders schade, da jeder Satz von Camus mit Gold aufgewogen werden kann, und nach Ausdruck verlangt, um seine wirkliche Größe zu erringen. Oliver Mallison (Nada) wirkte gelegentlich, als würde er sprachlich improvisieren. Das Gleiche traf auch Lena Lauzemis (Victoria), und in gewissem Grade auch auf Michaela Steiger (Bürgermeisterin/Frau des Richters) und René Dumont (Fischer/Schiffer/Astrologe/Pfarrer) zu. Letztere wurde von der Regie ganz augenscheinlich nicht dazu angehalten, in ihren unterschiedlichen Rollen differenziert in Erscheinung zu treten.
Ganz anders agierten Wolfgang Pregler (Die Pest) und Hildegard Schmahl (Die Sekretärin). Abgesehen davon, dass sie im Stück über weite Strecken inhaltlich das Sagen hatten, ließen sie es sich nicht nehmen, ihre Rollen diabolisch und komödiantisch zu gestalten. Hildgard Schmahl spielte mit einer erstaunlichen Leichtfüßigkeit und säte dabei unentwegt Tod und Verderben. Dieser Gegensatz machte ihr Spiel zu einer Augenweide.
Wenn Stefan Merki (Gouverneur/Richter) Politik persifliert, ist er immer weitaus glaubhafter und überzeugender, als jeder Politiker. Hoffentlich kommt er nicht auf die Idee ... Edmund Telgenkämper hatte als Diego vielleicht die schwierigste Rolle. Er musste am Ende zum Hoffnungsträger avancieren, was, wie eingangs erwähnt, nicht sehr glaubhaft werden kann. Allein durch seine physische Präsenz und dem unkomödiantischen, ernsten Spiel erwirkte er beim Publikum, diese Rolle ernst- und anzunehmen.
Die Inszenierung war lebendig, hatte einige gute szenische Lösungen parat, wirkte aber unterm Strich zerfasert und nicht zwingend. Zwingend war hingegen der Text von Camus, der vor nunmehr 61 Jahren seine Uraufführung erlebte und seither nichts an Brisanz verloren hat. Was in seiner Zeit als grimmige Satire aufgefasst wurde, erscheint heute als unverwüstliche, sehr reale apokalyptische Vision. Prädikat: Wertvoll.
Nicht unähnlich waren die Bewegungsabläufe im Chaos des Bühnenbildes. Eingangs verblüffte die Rhythmisierung der Vorgänge unter dem Aspekt: „Alles ist gut, wenn sich nichts ändert.“ Das ausschließlich Rituelle einer erstarrten Gesellschaft wurde mit großer Eindringlichkeit sichtbar. Die Qualität dieses Vorgangs konnte jedoch in den folgenden zwei Stunden nicht mehr erreicht werden.
Die Schauspieler wurden häufig zu körperlicher Aktion getrieben, die die Qualität der Sprachgestaltung deutlich beeinträchtigte. Das war besonders schade, da jeder Satz von Camus mit Gold aufgewogen werden kann, und nach Ausdruck verlangt, um seine wirkliche Größe zu erringen. Oliver Mallison (Nada) wirkte gelegentlich, als würde er sprachlich improvisieren. Das Gleiche traf auch Lena Lauzemis (Victoria), und in gewissem Grade auch auf Michaela Steiger (Bürgermeisterin/Frau des Richters) und René Dumont (Fischer/Schiffer/Astrologe/Pfarrer) zu. Letztere wurde von der Regie ganz augenscheinlich nicht dazu angehalten, in ihren unterschiedlichen Rollen differenziert in Erscheinung zu treten.
Ganz anders agierten Wolfgang Pregler (Die Pest) und Hildegard Schmahl (Die Sekretärin). Abgesehen davon, dass sie im Stück über weite Strecken inhaltlich das Sagen hatten, ließen sie es sich nicht nehmen, ihre Rollen diabolisch und komödiantisch zu gestalten. Hildgard Schmahl spielte mit einer erstaunlichen Leichtfüßigkeit und säte dabei unentwegt Tod und Verderben. Dieser Gegensatz machte ihr Spiel zu einer Augenweide.
Wenn Stefan Merki (Gouverneur/Richter) Politik persifliert, ist er immer weitaus glaubhafter und überzeugender, als jeder Politiker. Hoffentlich kommt er nicht auf die Idee ... Edmund Telgenkämper hatte als Diego vielleicht die schwierigste Rolle. Er musste am Ende zum Hoffnungsträger avancieren, was, wie eingangs erwähnt, nicht sehr glaubhaft werden kann. Allein durch seine physische Präsenz und dem unkomödiantischen, ernsten Spiel erwirkte er beim Publikum, diese Rolle ernst- und anzunehmen.
Die Inszenierung war lebendig, hatte einige gute szenische Lösungen parat, wirkte aber unterm Strich zerfasert und nicht zwingend. Zwingend war hingegen der Text von Camus, der vor nunmehr 61 Jahren seine Uraufführung erlebte und seither nichts an Brisanz verloren hat. Was in seiner Zeit als grimmige Satire aufgefasst wurde, erscheint heute als unverwüstliche, sehr reale apokalyptische Vision. Prädikat: Wertvoll.
Wolf Banitzki
Belagerungszustand
von Albert Camus
Wolfgang Pregler, Hildegard Schmahl, Oliver Mallison, Lena Lauzemis, Stefan Merki, Michaela Steiger, Edmund Telgenkämper, René Dumont Regie: Christoph Frick |