Kammerspiele Three Kingdoms von Simon Stephens
Nach dem Verbrechen nun auch das Theater europäisch
„Three Kingdoms“ von Simon Stephens ist eine Melange aus David Lynch und Franz Kafka. Wie ein Roadmovie von Lynch erzählen Wörter und Bilder eine Geschichte, deren Ausgangspunk eingangs völlig klar ist, die im Verlauf der Handlung aber immer verschwommener wird, bis am Ende schließlich eine völlig neue und unerwartete Wahrheit im Raum steht, mit der niemand gerechnet hat. Wie bei Lynch tauchen auch hier Freaks auf, menschliche Figuren, die eine Verschrobenheit an den Tag legen und die einen mystischen, zumeist diabolischen Hintergrund haben. Das Kafkaeske an dieser Geschichte sind die Reaktionen auf die Aktionen, die nie so ausfallen, wie vermutet, und die somit der Geschichte immer wieder eine neue Richtung geben. Wie bei Lynch spiegelt sich die vermeintliche Unlogik in den Dialogen wieder. Selten werden plausible Antworten auf die gestellten Fragen gegebenen. Nicht selten erscheinen die Antworten absurd, was sich bei näherer Betrachtung jedoch als falsch erweist. Scheinbar aus dem Unterbewusstsein stammende Sätze entpuppen sich als die wirklichen Wahrheiten. Und um Wahrheitsfindung geht es im Stück.
Eine Sporttasche wird aus der Themse gefischt. Darin: Der Kopf einer Prostituierten. Detective Inspector Ignatius Stone und Detective Sergeant Charlie Lee untersuchen den Fall. Ihr Weg führt sie in das Rotlichtviertel von London. Zeugen werden befragt und bald schon finden sich Hinweise auf zwielichtige Figuren aus der Pornobranche. Der Deutsche Aleksander Richter, der letzte Zuhälter des Opfers, nennt Namen von Vorbesitzern: Georg Kohler und Klaus Brand. Die beiden Londoner Kriminalbeamten reisen nach Deutschland. Dort werden sie von dem deutschen Polizisten Steffen Dresner empfangen und betreut. Dresner ist ein seltsamer Mann. Er schläft nie, weiß über alles Bescheid, arbeitet Tag und Nacht und kennt sich im Milieu besser aus, als es sich für einen Kriminalisten geziemt. Die entscheidenden Personen werden verhört und bald schon taucht ein weiterer Name auf. Andres Rebane ist der Mann, der die Mädchen rekrutiert und in die Großstädte Westeuropas verschachert. Und noch ein Name treibt Ignatius Stone fast in den Wahnsinn: The White Bird.
Dresner kennt Rebane, verspricht Stone, die beiden zusammen zu bringen. Doch dafür müssen sie nach Tallin reisen. In 18 Stunden fahren sie nach Estland, wo sie von der lokalen Mafia empfangen werden, einer vierköpfigen Gang, die sich die Namen der Söhne des Paten aus Coppolas Mafiaepos gegeben haben: Tom, Sonny, Michael und Fredo. Es sind schräge Vögel mit großem Selbstbewusstsein und noch größeren Machomanieren. Auch hier läuft wieder einiges aus dem Ruder. Schließlich kommt die Wahrheit ans Licht, über die dann doch der Mantel des Schweigens gebreitet wird. Stone wird in den Flieger nach London gesetzt und Dresner setzt sich auf leisen (weißen) Schwingen nach Deutschland ab. Nie wieder soll Stone über ihn reden. Und einen weißen Vogel gibt es auch noch…
„Three Kingdoms“ von Simon Stephens ist eine Melange aus David Lynch und Franz Kafka. Wie ein Roadmovie von Lynch erzählen Wörter und Bilder eine Geschichte, deren Ausgangspunk eingangs völlig klar ist, die im Verlauf der Handlung aber immer verschwommener wird, bis am Ende schließlich eine völlig neue und unerwartete Wahrheit im Raum steht, mit der niemand gerechnet hat. Wie bei Lynch tauchen auch hier Freaks auf, menschliche Figuren, die eine Verschrobenheit an den Tag legen und die einen mystischen, zumeist diabolischen Hintergrund haben. Das Kafkaeske an dieser Geschichte sind die Reaktionen auf die Aktionen, die nie so ausfallen, wie vermutet, und die somit der Geschichte immer wieder eine neue Richtung geben. Wie bei Lynch spiegelt sich die vermeintliche Unlogik in den Dialogen wieder. Selten werden plausible Antworten auf die gestellten Fragen gegebenen. Nicht selten erscheinen die Antworten absurd, was sich bei näherer Betrachtung jedoch als falsch erweist. Scheinbar aus dem Unterbewusstsein stammende Sätze entpuppen sich als die wirklichen Wahrheiten. Und um Wahrheitsfindung geht es im Stück.
Eine Sporttasche wird aus der Themse gefischt. Darin: Der Kopf einer Prostituierten. Detective Inspector Ignatius Stone und Detective Sergeant Charlie Lee untersuchen den Fall. Ihr Weg führt sie in das Rotlichtviertel von London. Zeugen werden befragt und bald schon finden sich Hinweise auf zwielichtige Figuren aus der Pornobranche. Der Deutsche Aleksander Richter, der letzte Zuhälter des Opfers, nennt Namen von Vorbesitzern: Georg Kohler und Klaus Brand. Die beiden Londoner Kriminalbeamten reisen nach Deutschland. Dort werden sie von dem deutschen Polizisten Steffen Dresner empfangen und betreut. Dresner ist ein seltsamer Mann. Er schläft nie, weiß über alles Bescheid, arbeitet Tag und Nacht und kennt sich im Milieu besser aus, als es sich für einen Kriminalisten geziemt. Die entscheidenden Personen werden verhört und bald schon taucht ein weiterer Name auf. Andres Rebane ist der Mann, der die Mädchen rekrutiert und in die Großstädte Westeuropas verschachert. Und noch ein Name treibt Ignatius Stone fast in den Wahnsinn: The White Bird.
Dresner kennt Rebane, verspricht Stone, die beiden zusammen zu bringen. Doch dafür müssen sie nach Tallin reisen. In 18 Stunden fahren sie nach Estland, wo sie von der lokalen Mafia empfangen werden, einer vierköpfigen Gang, die sich die Namen der Söhne des Paten aus Coppolas Mafiaepos gegeben haben: Tom, Sonny, Michael und Fredo. Es sind schräge Vögel mit großem Selbstbewusstsein und noch größeren Machomanieren. Auch hier läuft wieder einiges aus dem Ruder. Schließlich kommt die Wahrheit ans Licht, über die dann doch der Mantel des Schweigens gebreitet wird. Stone wird in den Flieger nach London gesetzt und Dresner setzt sich auf leisen (weißen) Schwingen nach Deutschland ab. Nie wieder soll Stone über ihn reden. Und einen weißen Vogel gibt es auch noch…
Steven Scharf, Gert Raudsep, Rasmus Kaljujärv © Arno Declair |
Regisseur Sebstian Nübling brachte mit „Three Kingdoms“ bereits das fünfte Stück des Autors Simon Stephens zur Ur- oder Erstaufführung. Dass hier eine fast symbiotische Verbindung besteht, erkennt der Zuschauer sehr schnell an der Geschlossenheit von Sprach- und Inszenierungsstil. „He is a friend. But he’s also a constant inspiration. He’s fucking brillant and he’s brave”, sagt der Autor Stephens über den Regisseur. (Programmheft zur Inszenierung). Mutig kann man das Konzept, eine Inszenierung in drei europäischen Städten mit drei Theatern zu realisieren, zweifellos nennen. Schön, dass das Experiment aufgegangen ist und ein faszinierendes Theater herauskam, das sich selbstbewusst „europäisches Theater“ nennen sollte. Wovon alle reden, Nübeling hat es getan.
Es liegt auf der Hand, dass, wenn es sich hauptsächlich um das Thema Sexindustrie, Prostitution und Pornografie dreht, die Sprache schwerlich rein zu halten ist. Tatsächlich sind die Texte von Stephens über weite Strecken „dreckig“, was Nübling allerdings die Chance einräumte, mit vielen Klischees zu spielen, die es seit dem Paten und seit den Filmen von Quentin Tarantino gibt. Die Arbeiten von Coppola und Tarantino waren nicht nur für die Filmgeschichte bedeutsam, sie waren auch stilbildend und trendsetzend in Kriminellen- und Mafiakreisen, wie man heute weiß. Regisseur Nübling ästhetisierte nicht, sondern entlarvte. Er stellte nicht aus, sondern er vermittelte Einsichten. Und was immer Stephens hochpotenter Text anbot, er verschenkte nichts. Dabei konnte er auf eine Riege zumeist junger Schauspieler zurückgreifen, die jeder für sich darstellerische Meister sind.
Von deutscher Seite brachten sich Steven Scharf, Lasse Myhr und Çigdem Teke ein. Steven Scharf gestaltete den diabolischen Steffen Dresner von martialisch grob bis kindlich naiv, stets für einen Sprach- oder Spielwitz gut. Lasse Myhr fielen sämtliche Rollen deutscher Bösewichte zu. Als Aleksander Richter demonstrierte er die Überlegenheit des ausgebufften Kriminellen dem System gegenüber. Aalglatt und unterschwellig explosiv-aggressiv hob sich diese Rolle deutlich von den schmierigen Figuren der pornografischen Unterwelt Georg Kohler und Klaus Brandt ab. Çigdem Teke teilte gemeinsam mit ihrer Talliner Kollegin Mirtel Pohla das Los, als Prostituierte/Bedienstete/unterwürfiges Weibchen eher Gegenstand der Betrachtung zu bleiben, als handelndes Subjekt. Die dramatische Vorlage sah es so vor.
Die erste Szene spielte im Polizerevier in London. Die Polizeibeamten Stone (Nick Tennant) und Lee (Ferdy Roberts) verhörten Tommy (Rupert Simonian), der unwissentlich den Kopf des Opfers Vera Petrovna in der Themse entsorgt hatte. Diese Szene war mehr als nur eine Einführung. Sie vermittelte dem Zuschauer bestes englisches Theater. Der trockene Humor der Briten ist vermutlich nicht erlernbar, er ist wohl schon genetisch verankert. Tennent und Roberts spielten sich die Bonmots zu wie Ping-Pong-Bälle, treffsicher und mit herrlicher komödiantischer Leichtigkeit. Zu erwähnen wäre noch, und das ist für das Gesamtkunstwerk von Bedeutung, wie wirkungsvoll die englische Sprache auf der Bühne ist. Immerhin wurde dreisprachig agiert. (Estnisch wird über Untertitel gedolmetscht.) In der Werbung tauchte, vielleicht nicht ganz unberechtigt, die Frage auf: Ist das noch Europa oder schon Babylon? Nein, genau das ist Europa in seiner kulturellen Vielfalt, die plötzlich ineinander griff wie die Zahnräder eines Getriebes und ein Werk beförderte, das keinesfalls zur Sprachverwirrung führte. Die Überlegenheit des Englischen als Bühnensprache war dennoch unüberhörbar.
Doch die Vielfalt machte es und so kann man es schon als exotisch bezeichnen, mit estnischer Bühnenkunst konfrontiert zu werden. Im Text ergeht an die Westeuropäer der Vorwurf, dass sie den Unterschied zwischen Balkan und Baltikum nicht kennen würden. So ganz unrecht hatte Stephens damit wohl nicht. Schon der erste Auftritt des Gangsterquartetts Rasmus Kaljujärv (Sonny), Jaak Prints (Tom), Tambet Tuisk (Fredo), Sergo Vares (Michael) war ein Highlight in der Inszenierung. Das waren disziplinierte Männer, durchtrainiert und bissig, was ihre Philosophie anbelangt. Während Westeuropa wie paralysiert auf die Kriminalität in Osteuropa starrt (Um die eigene nicht sehen zu müssen. S. Stephans), denken die osteuropäischen Kriminellen längst nicht mehr in diesen engen Grenzen. Doch das visionäre Denken der Möchtegern-Corleones scheiterte immer wieder an ihrem geistigen Vermögen, es auch umzusetzen und in diesen Momenten kam grandiose Komik auf. Allerdings ging nicht alles in Heiterkeit unter. Als der Polizeidirektor Martin Lemsalu am Ende des Stücks den britischen Polizisten Stone verabschiedete, spielte der Schauspieler Gert Raudsep in einem getragenen, aber uneitlen Vortrag auf die politisch-historischen Besonderheiten Estlands an. Ein Blick ins Programmheft macht deutlich, dass es hier noch einigen Nachholbedarf bei uns Westeuropäer in Fragen Geschichte gibt, wenn wir unsere estländischen Landsleute verstehen wollen.
Nübling hatte den „dreckigen Text“ in komödiantische Bahnen geleitet und damit viele Peinlichkeiten, wie die endlose Wiederholung des F-Wortes, verhindert. Überaus beeindruckend war das aktionsreiche körperliche Spiel der Darsteller, das bisweilen artistische Züge annahm. Slapsticknummern wurden nicht ausgespart und erzielten große Wirkung. Das Bühnenbild von Ene-Liis Semper eignete sich bestens dafür. Im Vordergrund befand sich ein schmuddeliger lindgrüner Raum, der nach allen drei Seiten hin viele Fenster und Türöffnungen bot, durch die gerannt, gesprungen, geworfen wurde, durch die man schon mal einen Körper entsorgen konnte. Im Hintergrund gab es ein labyrinthisch anmutendes Konstrukt von Gängen und Türen, die in nicht sichtbare Räume führten. Der aufmerksame Betrachter wird bemerkt haben, dass dort sehr oft Personen auftauchten, die scheinbar nicht zur Handlung gehörten, die aber durch ihr plötzliche Anwesenheit eine kafkaeske Stimmung schufen.
Die dreieinhalb Stunden waren überwiegend kurzweilig. Leider gab es eine Szene, die einen hässlichen Fleck im Gesamtbild der Inszenierung hinterließ. Kurz vor Ende des ersten Teils recherchierten die englischen Polizisten gemeinsam mit dem deutschen Dresner in einem Hotel, wo ein Pornofilm gedreht wurde. In dieser Szene wurde der Zuschauer mit etlichen Unappetitlichkeiten konfrontiert, als Regisseur Nübling die Pornoszene sehr bildhaft und textfrei erläuterte. Diese Szene diente gewiss nicht der Horizonterweiterung des Publikums. Hinter diesen öligen Darstellungen standen kaum mehr als zwei Sätze, um die Handlung weiter zu bewegen. Warum also Gleitgel und Sperma aus der Spraydose? Bleibt nur zu hoffen, dass Stephens nicht solche Szenen im Auge hatte, als er dem Freund attestierte: „He’s fucking brillant and he’s brave“.
Die Inszenierung war nicht nur gelungenes Theater im herkömmlichen Sinn, unterhaltsam und durchaus tiefschürfend, sondern es war ein gelungener Versuch europäisches Theater, und zwar im wahrsten Sinn des Wortes, zu machen. Man sollte diese Erfahrung nutzen, so lange sie noch frisch ist und ausrufen: Theatermacher Europas vereinigt Euch!
Wolf Banitzki
Es liegt auf der Hand, dass, wenn es sich hauptsächlich um das Thema Sexindustrie, Prostitution und Pornografie dreht, die Sprache schwerlich rein zu halten ist. Tatsächlich sind die Texte von Stephens über weite Strecken „dreckig“, was Nübling allerdings die Chance einräumte, mit vielen Klischees zu spielen, die es seit dem Paten und seit den Filmen von Quentin Tarantino gibt. Die Arbeiten von Coppola und Tarantino waren nicht nur für die Filmgeschichte bedeutsam, sie waren auch stilbildend und trendsetzend in Kriminellen- und Mafiakreisen, wie man heute weiß. Regisseur Nübling ästhetisierte nicht, sondern entlarvte. Er stellte nicht aus, sondern er vermittelte Einsichten. Und was immer Stephens hochpotenter Text anbot, er verschenkte nichts. Dabei konnte er auf eine Riege zumeist junger Schauspieler zurückgreifen, die jeder für sich darstellerische Meister sind.
Von deutscher Seite brachten sich Steven Scharf, Lasse Myhr und Çigdem Teke ein. Steven Scharf gestaltete den diabolischen Steffen Dresner von martialisch grob bis kindlich naiv, stets für einen Sprach- oder Spielwitz gut. Lasse Myhr fielen sämtliche Rollen deutscher Bösewichte zu. Als Aleksander Richter demonstrierte er die Überlegenheit des ausgebufften Kriminellen dem System gegenüber. Aalglatt und unterschwellig explosiv-aggressiv hob sich diese Rolle deutlich von den schmierigen Figuren der pornografischen Unterwelt Georg Kohler und Klaus Brandt ab. Çigdem Teke teilte gemeinsam mit ihrer Talliner Kollegin Mirtel Pohla das Los, als Prostituierte/Bedienstete/unterwürfiges Weibchen eher Gegenstand der Betrachtung zu bleiben, als handelndes Subjekt. Die dramatische Vorlage sah es so vor.
Die erste Szene spielte im Polizerevier in London. Die Polizeibeamten Stone (Nick Tennant) und Lee (Ferdy Roberts) verhörten Tommy (Rupert Simonian), der unwissentlich den Kopf des Opfers Vera Petrovna in der Themse entsorgt hatte. Diese Szene war mehr als nur eine Einführung. Sie vermittelte dem Zuschauer bestes englisches Theater. Der trockene Humor der Briten ist vermutlich nicht erlernbar, er ist wohl schon genetisch verankert. Tennent und Roberts spielten sich die Bonmots zu wie Ping-Pong-Bälle, treffsicher und mit herrlicher komödiantischer Leichtigkeit. Zu erwähnen wäre noch, und das ist für das Gesamtkunstwerk von Bedeutung, wie wirkungsvoll die englische Sprache auf der Bühne ist. Immerhin wurde dreisprachig agiert. (Estnisch wird über Untertitel gedolmetscht.) In der Werbung tauchte, vielleicht nicht ganz unberechtigt, die Frage auf: Ist das noch Europa oder schon Babylon? Nein, genau das ist Europa in seiner kulturellen Vielfalt, die plötzlich ineinander griff wie die Zahnräder eines Getriebes und ein Werk beförderte, das keinesfalls zur Sprachverwirrung führte. Die Überlegenheit des Englischen als Bühnensprache war dennoch unüberhörbar.
Doch die Vielfalt machte es und so kann man es schon als exotisch bezeichnen, mit estnischer Bühnenkunst konfrontiert zu werden. Im Text ergeht an die Westeuropäer der Vorwurf, dass sie den Unterschied zwischen Balkan und Baltikum nicht kennen würden. So ganz unrecht hatte Stephens damit wohl nicht. Schon der erste Auftritt des Gangsterquartetts Rasmus Kaljujärv (Sonny), Jaak Prints (Tom), Tambet Tuisk (Fredo), Sergo Vares (Michael) war ein Highlight in der Inszenierung. Das waren disziplinierte Männer, durchtrainiert und bissig, was ihre Philosophie anbelangt. Während Westeuropa wie paralysiert auf die Kriminalität in Osteuropa starrt (Um die eigene nicht sehen zu müssen. S. Stephans), denken die osteuropäischen Kriminellen längst nicht mehr in diesen engen Grenzen. Doch das visionäre Denken der Möchtegern-Corleones scheiterte immer wieder an ihrem geistigen Vermögen, es auch umzusetzen und in diesen Momenten kam grandiose Komik auf. Allerdings ging nicht alles in Heiterkeit unter. Als der Polizeidirektor Martin Lemsalu am Ende des Stücks den britischen Polizisten Stone verabschiedete, spielte der Schauspieler Gert Raudsep in einem getragenen, aber uneitlen Vortrag auf die politisch-historischen Besonderheiten Estlands an. Ein Blick ins Programmheft macht deutlich, dass es hier noch einigen Nachholbedarf bei uns Westeuropäer in Fragen Geschichte gibt, wenn wir unsere estländischen Landsleute verstehen wollen.
Nübling hatte den „dreckigen Text“ in komödiantische Bahnen geleitet und damit viele Peinlichkeiten, wie die endlose Wiederholung des F-Wortes, verhindert. Überaus beeindruckend war das aktionsreiche körperliche Spiel der Darsteller, das bisweilen artistische Züge annahm. Slapsticknummern wurden nicht ausgespart und erzielten große Wirkung. Das Bühnenbild von Ene-Liis Semper eignete sich bestens dafür. Im Vordergrund befand sich ein schmuddeliger lindgrüner Raum, der nach allen drei Seiten hin viele Fenster und Türöffnungen bot, durch die gerannt, gesprungen, geworfen wurde, durch die man schon mal einen Körper entsorgen konnte. Im Hintergrund gab es ein labyrinthisch anmutendes Konstrukt von Gängen und Türen, die in nicht sichtbare Räume führten. Der aufmerksame Betrachter wird bemerkt haben, dass dort sehr oft Personen auftauchten, die scheinbar nicht zur Handlung gehörten, die aber durch ihr plötzliche Anwesenheit eine kafkaeske Stimmung schufen.
Die dreieinhalb Stunden waren überwiegend kurzweilig. Leider gab es eine Szene, die einen hässlichen Fleck im Gesamtbild der Inszenierung hinterließ. Kurz vor Ende des ersten Teils recherchierten die englischen Polizisten gemeinsam mit dem deutschen Dresner in einem Hotel, wo ein Pornofilm gedreht wurde. In dieser Szene wurde der Zuschauer mit etlichen Unappetitlichkeiten konfrontiert, als Regisseur Nübling die Pornoszene sehr bildhaft und textfrei erläuterte. Diese Szene diente gewiss nicht der Horizonterweiterung des Publikums. Hinter diesen öligen Darstellungen standen kaum mehr als zwei Sätze, um die Handlung weiter zu bewegen. Warum also Gleitgel und Sperma aus der Spraydose? Bleibt nur zu hoffen, dass Stephens nicht solche Szenen im Auge hatte, als er dem Freund attestierte: „He’s fucking brillant and he’s brave“.
Die Inszenierung war nicht nur gelungenes Theater im herkömmlichen Sinn, unterhaltsam und durchaus tiefschürfend, sondern es war ein gelungener Versuch europäisches Theater, und zwar im wahrsten Sinn des Wortes, zu machen. Man sollte diese Erfahrung nutzen, so lange sie noch frisch ist und ausrufen: Theatermacher Europas vereinigt Euch!
Wolf Banitzki
Nur bis 19. November 2011!
Three Kingdoms
von Simon Stephens
Eine Koproduktion mit dem Theater NO99 Tallinn und dem Lyric Hammersmith Theatre London Rasmus Kaljujärv, Risto Kübar, Lasse Myhr, Mirtel Pohla, Jaak Prints, Gert Raudsep, Ferdy Roberts, Steven Scharf, Rupert Simonian, Çigdem Teke, Nick Tennant, Tambet Tuisk, Sergo Vares Regie: Sebastian Nübling |