Kammerspiele Furcht und Zittern Singspiel von Händl Klaus und Lars Wittershagen
Auf die richtigen Fragen kommt es an
1843 erschien in Kopenhagen das Werk "Furcht und Zittern" von Sören Kirkegaard. Es behandelte die alttestamentarische Geschichte von Abraham, der von Gott den Befehl erhalten hatte, seinen Sohn Isaak zu opfern. Wie bekannt fällt ein Engel Abraham in den dolchbewehrten Arm. Der Alte hat die Prüfung bestanden, weil er bereit war, seinen Sohn zu töten. Kirkegaard schreibt dazu: "Der ethische Ausdruck für das, was Abraham getan hat, ist, dass er Isaak morden wollte, der religiöse ist, dass er Isaak opfern wollte; aber in diesem Widerspruch liegt eben die Angst, die sehr wohl imstande ist, einem Menschen den Schlaf zu rauben, (...)."
Manfred Horni schläft friedlich, als die Polizisten Stephanie Meier und Martin Kirchner an seine Tür klopfen. Obgleich er ein vorbestrafter Päderast ist, ist sein Gewissen rein. Den Beruf als Musiklehrer, den er ohnehin nicht mehr ausüben darf, hat er wegen eines Hörsturzes an den Nagel gehängt. Da das Gericht beschlossen hatte, dass er sich zukünftig von Kindern fernzuhalten habe, zog er sich beizeiten mit seiner Ehefrau Anneliese ganz ins Private zurück. Er, resp. die Beiden sind glücklich, bis die Polizei an seine Tür klopft. Gegenüber des Hauses Horni soll ein Kinderheim errichtet werden. Das Grundstück ist eine vergiftete Industriebrache. Doch was soll's, alle sind fortschrittsgläubig und haben keinen Zweifel daran, dass die Industrie es richten wird. Für Manfred Horni bedeutet das allerdings Verbannung. Er darf das Haus nicht mehr betreten und beschließt, gemeinsam mit der Frau auf der Straße vor dem Haus zu leben. Das verbietet der Beschluss nicht. Allerdings ruft dies wiederum die Polizisten auf den Plan, die den rechtskräftig Verurteilten vor sich selbst beschützen müssen. Der Ton wird zunehmend vertraulicher und als endlich die Kinder das Heim in Besitz nehmen, beginnt man zu experimentieren. Vielleicht gesundet Manfred Horni ja, wenn er mit dem Feuer spielt. Vielleicht lernt er ja, seine Triebe zu beherrschen.
1843 erschien in Kopenhagen das Werk "Furcht und Zittern" von Sören Kirkegaard. Es behandelte die alttestamentarische Geschichte von Abraham, der von Gott den Befehl erhalten hatte, seinen Sohn Isaak zu opfern. Wie bekannt fällt ein Engel Abraham in den dolchbewehrten Arm. Der Alte hat die Prüfung bestanden, weil er bereit war, seinen Sohn zu töten. Kirkegaard schreibt dazu: "Der ethische Ausdruck für das, was Abraham getan hat, ist, dass er Isaak morden wollte, der religiöse ist, dass er Isaak opfern wollte; aber in diesem Widerspruch liegt eben die Angst, die sehr wohl imstande ist, einem Menschen den Schlaf zu rauben, (...)."
Manfred Horni schläft friedlich, als die Polizisten Stephanie Meier und Martin Kirchner an seine Tür klopfen. Obgleich er ein vorbestrafter Päderast ist, ist sein Gewissen rein. Den Beruf als Musiklehrer, den er ohnehin nicht mehr ausüben darf, hat er wegen eines Hörsturzes an den Nagel gehängt. Da das Gericht beschlossen hatte, dass er sich zukünftig von Kindern fernzuhalten habe, zog er sich beizeiten mit seiner Ehefrau Anneliese ganz ins Private zurück. Er, resp. die Beiden sind glücklich, bis die Polizei an seine Tür klopft. Gegenüber des Hauses Horni soll ein Kinderheim errichtet werden. Das Grundstück ist eine vergiftete Industriebrache. Doch was soll's, alle sind fortschrittsgläubig und haben keinen Zweifel daran, dass die Industrie es richten wird. Für Manfred Horni bedeutet das allerdings Verbannung. Er darf das Haus nicht mehr betreten und beschließt, gemeinsam mit der Frau auf der Straße vor dem Haus zu leben. Das verbietet der Beschluss nicht. Allerdings ruft dies wiederum die Polizisten auf den Plan, die den rechtskräftig Verurteilten vor sich selbst beschützen müssen. Der Ton wird zunehmend vertraulicher und als endlich die Kinder das Heim in Besitz nehmen, beginnt man zu experimentieren. Vielleicht gesundet Manfred Horni ja, wenn er mit dem Feuer spielt. Vielleicht lernt er ja, seine Triebe zu beherrschen.
Tanja Schleiff © Arno Declair |
Was Autor Händl Klaus und Musiker Lars Wittershagen als Singspiel erdachten, brachte Regisseur Sebastian Nübling als circensischen Reigen auf die Bühne, die einer Arena glich und deren Blickfang ein mit rotem Samt behangenes Rondell war (Bühne und Kostüme Muriel Gerstner). In diesem lebten einst vor ihrem Auszug die Hornis. Später beherbergte der Raum die Musik und wurde Spielort für intime Szenen.
Was sollte das ganze Spektakel um einen "Kinderschänder"? Erst einmal bereitete es höchstes Vergnügen, zu schauen und zu hören. Die musikalischen Fähigkeiten der Darsteller verblüfften (René Dumont und Stefan Merki als Saxophonistenduo), betörten (Caroline Ebner mit Gesang und Harmonika) oder beeindruckten (Tanja Schleiff mit Akrobatik und Harmonika). Wiebke Puls und Paul Herwig (Violine und Perkussion) schufen nebenher ein völlig neues Bild vom Gesetzeshüter: der Polizist als Mensch.
Darüber hinaus hatte Händl Klaus einen kleines Universum aus Liedern und Szenen gebastelt, in dem sehr komplex alles um die Frage kreiste: Wer und was ist ein Kinderschänder? Hier schließt sich der Kreis zum eingangs erwähnten Text von Kirkegaard, der Namensgeber für das Stück war, und dem Zitat, das auf ein altes und immer wiederkehrendes Problem verweist. In Zeiten, in denen jeder, gefragt oder ungefragt, Statements abgibt und meint, die Welt zu erklären, kann eine Frage, die richtige Frage, die Fundamente des Common sense erschüttern. Dieser Vorgang geht folgerichtig mit neuen oder zumindest anderen Wahrheiten schwanger. Da kann der Sinn der Rechtsprechung auch schon mal in Unsinn umschlagen.
Wer oder Was ist ein Kinderschänder? Ist Manfred Horni ein Kinderschänder? In Händl Klaus' Geschichte hatte es nicht unbedingt den Anschein. Manfred, überaus konzentriert und zurückhaltend gestaltet von Jochen Noch, erweckte diesen Eindruck nicht. Hingegen machte das geradezu barbarisch anmutende Verhalten der Erzieherin Wally stutzig. Könnte das, was Tanja Schleiff kraftvoll, aggressiv und skrupellos gestaltete, der Realität nahe kommen? Zweifelsohne waren alle Szenen komödiantisch überzeichnet, doch im Wesen der Vorgänge schwang immer auch ein Ton mit, der sehr bekannt vorkam. Könnte es sein, dass naturgegeben in jedem Erzieher ein Sadist steckt, in jedem Straßenkehrer ein Gernegroß, in jedem Polizisten ein terroristischer Amokläufer und in jedem "Kinderschänder" einer, der sich nach Liebe sehnt und der Liebe geben kann?
Diese Fragen empfindet der Common sense als ketzerisch. Und doch, was war Abraham bereit zu tun? Wie schnell kommt Verlegenheit auf, wenn die Frage einmal anders gestellt wird. Diese schwungvolle Inszenierung, präzise und mit sehr komischen Momenten eingerichtet von Sebastian Nübling, geht vor allem wegen der Ästhetik weit über die meisten theatralischen Angebote zum Thema hinaus. Händl Klaus formulierte die Fragen einmal anders und erreichte damit immerhin, dass es allemal legitim ist, die Perspektive einmal zu ändern. Dann kann das Erstaunen und vielleicht auch die Verwirrung wirklich groß sein.
Wolf Banitzki
Furcht und Zittern
Singspiel von Händl Klaus und Lars Wittershagen
René Dumont, Caroline Ebner, Paul Herwig, Stefan Merki, Jochen Noch, Wiebke Puls, Tanja Schleiff, Musiker: Margarita Holzbauer, Jan Kahlert, Tschinge Krenn, Peter Pichler; Chor: Kindersolisten des Staatstheaters am Gärtnerplatz Regie: Sebastian Nübling |