Kammerspiele Kleiner Mann - Was nun? von Hans Fallada


 

 

Kleiner Mann und kein Ende

Mit Hans Falladas Roman "Kleiner Mann - was nun?" bekam soziales Elend einen Namen: Johannes Pinneberg. Die Geschichte dieses unauffälligen kleinen Verkäufers ist banal und gleichsam exemplarisch und das nicht nur in den Zeiten, in denen die Geschichte angesiedelt ist, in den 20er und 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Deutschland steckt wieder einmal in einer tiefen Sinn- und Ökonomiekrise. Und wiederum sind die Parallelen unübersehbar. Zu Falladas Zeiten kämpfte das Land mit einer Arbeitslosenzahl, die astronomische 6 Millionen erreicht hatte. Heute sind ca. 3,5 Mio. und es existieren soziale Netze. Tatsächlich aber werden im reichsten Land Europas etwa10 Mio. Menschen alimentiert. Und das berührt eine Tatsache, die scheinbar gänzlich aus dem Focus des Betrachtung geraten ist. Jede Form von Alimentierung bedeutet Würde- und Sinnverlust der Betroffenen. Schon wieder kriechen die populistischen Apologeten aus ihren Löchern, um am Pulverfass der sozialen Ungerechtigkeiten zu zündeln. Selbst die vorgeblich seriöse Politik bedient sich dieser Tatsache, nämlich im anstehenden Wahlkampf.

Ein guter Grund für Luc Perceval, sich des Jahrhundertromans zu bedienen, um auf diese Zustände mit Nachdruck zu verweisen. In vierstündiger Performance wird in epischer Breite der ganze Roman erzählt. Es breitet sich dabei zumindest beim Kritiker ein Missvergnügen aus, wenn man im Theater in zunehmendem Maße von Regisseuren bearbeitete Roman oder Filme erlebt. Manches glückt, vieles jedoch zersetzt langsam und unaufhaltsam die einzigartige und sinnvolle Form von Theater. Perceval fuhr mit seiner Arbeit große, ja, frenetische Zuneigung des Publikums ein. Ob es der Ästhetik und der großartigen Darstellung oder vielleicht doch in erster Linie einer herzanrührenden Geschichte galt, sei dahingestellt.

   
 

Wolfgang Pregler, Paul Herwig, André Jung, Annette Paulmann

© Andreas Pohlmann

 

Sicher ist, dass der Umgang mit dem Stoff kein Vabanquespiel ist. Falladas Roman vom liebenden Ehepaar, das unaufhaltsam die soziale Leiter hinabsteigt, ohne am Ende seine Liebe zu verraten, hat stark idealisierte Züge, nach denen sich heutige Zeitgenossen im Überlebenskampf sehnen. Luc Perceval nutzte für seine Inszenierung einen psychologischen Grundzug, der wohl auch die Zeitlosigkeit der Vorgänge dokumentierte. Es ist die Naivität und der Glaube kleiner Leute, dass sich am Ende doch alles zum Guten wendet. So glich die Bühne von Annette Kurz einem schwarzen Loch, einem Universum ohne Anfang und Ende, in dessen Mittelpunkt ein großes Orchestrion platziert war. Aus diesem erklangen dann immer wieder die Musiken der "Kleinen Leute" zur Falladaschen Zeit, zu denen die Darsteller Texte wie: "Wenn dir auch zum Weinen ist, keep smiling!", "Einmal schafft's jeder!" oder "Eines Tages werde ich glücklich sein." erklangen. Wer kennt sie nicht, die Schnulzen der Ufa-Zeit! Immerhin, ein Text stach auch dem kitschig einlullendem Tenor heraus und benannte das Dilemma: "Zeige dein Gesicht, deine Seele zeige nicht!"


Es war unbestritten ein Abend großen Schauspiels. Dabei scheute sich Luc Perceval nicht, die Personage gänzlich anders zu besetzen als die literarische Vorlage vorgab. So wurde Pinneberg, im Roman eine nach außen hin leidenschaftslose und sehr zurückhaltende Figur von Paul Herwig gespielt, der überbordernd die Emotionen des kleinen Angestellten an die Oberfläche krempelte. Herwigs Spielgestus beschrieb einen gebeutelten Mann, der der rauen Welt physisch kaum etwas entgegenhalten konnte, und der gleichsam wie ein Blatt im Wind in seinen psychischen Zuständen hin und her taumelte. Das setzte zudem schöne komische Momente, wie auch wortloses Innehalten vor dem Abgrund frei. Ein wirklicher Coup gelang Perceval allerdings mit der Besetzung der Lämmchen, wie Emma im Roman genannt wird, durch Annette Paulmann. Lämmchen ist im Roman, ganz zu Pinneberg passend, ein Wesen zartester Fadenscheinigkeit. Das macht die Beziehung beider so anrührend, denn Pinneberg ist stets gefordert, das feenhafte, feingliedrige und zerbrechliche Wesen unentwegt vor der Welt zu beschützen. Annette Paulmann stolperte äußerst proper und korpulent in die Szene. Ihre Spielweise und ihr Habitus suggerierte hingegen genau das Wesen, das Fallada scheinbar vor Augen hatte. Es zeugte von großer darstellerischer Kraft und Potenz, den eigenen Körper spielerisch im Auge des Betrachters zu verwandeln.

André Jung zauberte mit der ihm eigenen, stets mitschwingenden Distanziertheit zur Figur einen widerwärtigen zynischen, nur dem eigenen Alkoholismus folgenden Arbeitgeber. Er wirkte lächerlich und bedrohlich zugleich. Hans Kremer fiel der gestalterische Part des Jachmann zu, einem kleinen Zuhälter, der Pinnebergs Mutter (Gundi Ellert kam mit dieser Rolle schlichtweg zu kurz.) vermarktete. Kremers höchst intensives Spiel gebar einen Mann, dessen großes Herz unübersehbar war, und der mit Charme und Grandezza dem Kleinganoventum ein Denkmal zu setzen schien. Peter Brombacher, Stefan Merki und Wolfgang Pregler brillierten in den Nebenrollen als Kollegen oder Vorgesetzte Pinnebergs. Nebenher spielten alle auch randglossenhafte Figuren, die zum Teil überaus skurril und doch immer glaubhaft waren. Perceval kitzelte viel Situations- und Sprachkomik zutage, was immerhin sehr heitere Szenen in der kellerhaften Düsternis erzeugte und alles verdaulicher machte.

Wäre der Text jedoch nicht so stark mit überflüssigen epischen Berichten und Beschreibungen angefüllt gewesen, so dass es ein wahrer Marathon war und nicht selten auch Längen entstanden, hätte die Inszenierung eine Schallmauer durchbrechen können. Das permanente Bemühen, das Atmosphärische der Existenzen sichtbar zu machen, verstellte leider ein wenig die Sicht auf die nüchterne Botschaft, mit der die Zuschauer das Theater hätten verlassen können. Die hätte sein können: Der Kapitalismus ist nicht unfähig, die Krankheiten des Systems zu überwinden. Der Kapitalismus ist die Krankheit!

Aber das wäre wahrscheinlich zuviel verlangt. Und so wird es wohl noch auf unbestimmte Zeit wie gehabt weitergehen und: "Irgendwann werde auch ich glücklich sein!"

Wolf Banitzki

 

 

 


Kleiner Mann - Was nun?

von Hans Fallada

 

In einer Fassung von Luk Perceval

Peter Brombacher, Gundi Ellert, Paul Herwig, André Jung, Tina Keserovic, Hans Kremer, Stefan Merki, Annette Paulmann, Wolfgang Pregler

Regie: Luk Perceval