Volkstheater Im Wald ist man nicht verabredet von Anne Nather
Frauenpower
‚Im Wald ist man nicht verabredet, und wenn man sich im Wald begegnet, dann hat das etwas zu bedeuten!’ Nur was? Elsie schaut bedeutungsschwanger. Elsi ist eine junge Frau und sie ist in die Waldidylle von Simon und Anton eingebrochen, genauer gesagt entstieg sie dem Uhrenschrank. Anton und Simon sind im Wald, weil Simon sich anschickt zu sterben und Anton eine Skulptur schaffen will oder muss, so genau weiß man das nicht. Simon will sich aus der Welt verabschieden und Anton will mit seiner Skulptur in die Welt (Stadt) zurückkehren. Der eine stirbt, mal mehr mal weniger qualvoll vor sich hin, während der andere werkelt, z.B. an einem alten Kotflügel, einem unverzichtbaren Utensil bei der Entstehung moderner Kunst. Doch plötzlich „läuft die Uhr“ - will meinen, der Uhrenschrank hat zu laufen begonnen, denn in ihm steckt Elsie.
Elsie ist eine Aussteigerin, die ihr altes (sehr junges) Ego „im Pausenhof“ vergraben hat und nun auf der Suche nach einer neuen Elsie ist. Die junge Frau bringt die Welt und natürlich den Geist und das Vorhaben der beiden Männer durcheinander, zumindest stört sie ihre Kreise, will meinen, sie erweckt sie für eine kurze Zeit aus ihrer Sterbe- und Werkelapathie. Das Sterben Simons kann sie ebenso wenig verhindern, wie sie Anton bewegen kann, in die Welt zurückzukehren, denn die Skulptur, im Keller des Hauses entstanden, ist so ausladend geraten, dass sie nicht auf dem Keller hervorzuholen ist. War das Vorsatz oder hat der Künstler im Schaffensrausch die Realitäten nicht berücksichtigt? Elsie kehrt dem Wald den Rücken und macht sich auf den Weg zum Ball der schlechten Herzen.
Oliver Möller, Leon Pfannenmüller, Mara Widmann © Daniel Delang |
Selbst dem unaufmerksamen Leser müsste an dieser Stelle klar sein, dass es sich hier um ein surreales Dramenkonstrukt handelt, ziemlich stark abstrahiert von der Realität und poetisch verklärt. Märchenhafte Elemente durchqueren einen an sich von der realen Welt abgekoppelten Kosmos wie Sternschnuppen. Und wie ein Kosmos, hat auch diese Welt keinen Anfang und kein Ende. Für eine Stunde und vierzig Minuten öffnet sich das Guckloch in den Schaukasten, der die Welt zeigt, wie Anna Nather (geb. 1985) sie sieht. Dass sie sich dabei vornehmlich im Strudel ihrer eigenen, oder den Befindlichkeiten ihrer Generation dreht, ist nur natürlich. Vom Handwerk versteht sie einiges, denn es gelingt ihr, die Sprache ihrer Generation auf den Level einer Kunstsprache zu heben. Diese lebt allerdings auch von Brüchen, deren Effekte wir in moderner Comedy finden und die auf gänzlich anderer Ebene erheitern. So ist das Drama um Sterben und Selbstverwirklichung, von der wir nicht wissen, ob sie jemals stattfindet, zumindest lustig anzuschauen. Dass sich Anna Nather ihrer Verantwortung der Realität gegenüber verpflichtet fühlt, bewies am Ende, beim Abgang in den Tod oder in die Welt hinaus, eine Aufzählung von Begriffen, die einerseits fester Bestandteil unserer Realität sind, die zugleich aber auch das Dilemma der Realität widerspiegeln. Das Ganze wirkte allerdings wie ein Epilog, der in einer gänzlich fremden Sprache gesprochen wurde. Es unterstreicht schließlich einmal mehr die Brüchigkeit des dramatischen Konstruktes. Dennoch muss Anna Nather zugestanden werden, dass ihr Talent unverkennbar und sie auf einem wirklich guten Weg ist.
Gespielt wurde in einem (von der Decke hängenden) Wald aus grünen Fichtennadelngirlanden und aus Girlanden aus Kunststoffflaschen, die mit großem Aufwand in gestaltete Objekte verwandelt worden waren. Auch hier eine Überhöhung der Realität, die ihre eigene Zerstörung scheinbar akzeptiert und ästhetische zu genießen gelernt hat. Es ist im Text häufig die Rede von Gift. In der Inszenierung wurde das Wort ambivalent und sprengte den Rahmen der Toxikologie. Das Licht von Philipp von Bergmann-Korn verwandelt die Szenen in das vom Text mehrfach beschworene verwunschene Land, in dem alles möglich ist. Der Uhrenschrank war ein Uhrenschrank, ein Schrank mit einer Uhr, der aber auch schon mal zum Haus selbst wurde, von dessen Dach aus der Blick in eine (behauptete) erstaunliche Ferne schweifen konnte, die dem Zuschauer allerdings verborgen blieb und die allenfalls angedeutet wurde. Die Botschaften der Kostüme von Katharina Müller waren gelegentlich deutlicher und verbindlicher als mancher Satz. Sie brachte den Wolf ebenso auf die Bühne wie das Aschenputtel, den Holzfäller ebenso wie das Discogirl.
Dass der Abend über weite Strecken sehenswert und unterhaltsam war, verdankte er vornehmlich dem kraftvollen und raumgreifenden Spiel von Mara Widmann als Elsie. Während sich die Regisseurin Mareike Mikat, die ebenso für das Bühnenbild verantwortlich zeichnete, gelegentlich in der Umsetzung besonders witziger Szenen verlor, dabei nicht immer das rechte Maß für besonders dramatische Szenen fand und ein Anfall Simons, exzessiv und physisch sehr aufwendig von Oliver Möller gespielt, eine gefühlte Viertelstunde dauerte, riss Mara Widmann das Spiel immer wieder in die rechten Bahnen und die Aufmerksamkeit der Zuschauer auf sich. Leon Pfannenmüllers Anton hingegen wirkte sehr introvertiert. Seine Zurückhaltung stellte die These von der geplanten und gewollten Rückkehr in die Welt beizeiten infrage. Mara Widmann hingegen gab abwechselnd und stets zwingend die gute Fee, das überrumpelte Rotkäppchen oder das heutige, selbstbewusste Mädchen auf der Suche nach sich selbst. Ihre Schwärmerei, ihr wundervoll unbedarfter Ausdruck verlieh den Szenen häufig Flügel und ein Abheben fand durchaus statt. Die männlichen Darsteller wurden einige Male von der Regie allein gelassen, weil der Focus hauptsächlich auf Mara Widmanns Elsie gerichtet war. Manche Pose der Herren geriet somit verlegen oder auch unbeholfen. Aber, so der letzte Eindruck, auf die Herren der Schöpfung kam er gar nicht wirklich an. Ihre Geschichten waren nur der Stoff, der Elsie träumen, spielen und entscheiden ließ. Und das tat sie mit Erfolg.
Wolf Banitzki
Im Wald ist man nicht verabredet
von Anne Nather
Oliver Möller, Leon Pfannenmüller, Mara Widmann Regie und Bühne: Mareike Mikat |