Volkstheater  Geschichten aus dem Wiener Wald  von Ödön von Horváth


 

 

 

Misstraue der Idylle

 

Alle Theaterstücke von Ödön von Horváth sind nach eigenem Bekenntnis Tragödien. Sie kommen nur so komisch daher, weil „sie unheimlich sind“. Das Unheimliche rekrutiert sich aus einer scheinbaren Gemütlichkeit, gepaart mit einer Herzlichkeit, die sich letztlich selbst als bestialische Gefühlsrohheit entlarvt. Die Figuren des Horváthschen Theaters sind exemplarische Vertreter unterschiedlicher Gesellschaftsschichten, die unterm Strich stets dieselben menschlichen Schwächen und Stärken repräsentieren. Übrig bleibt stets die Einsicht, dass der Mensch an sich (und durchaus auch im Besonderen) des Menschen schlimmster Feind ist. Damit nimmt Horváth dem Betrachter die Möglichkeit, sich politisch zu positionieren. Horváth erreichte dieselbe politische Wirkungslosigkeit, wie die Dichter, die unmittelbar auf politischen Effekt setzten. Damit offenbarte sich eine bedeutende Schwäche des Naturalismus, dem Horváth zuzurechnen war. Ungeachtet dessen bevölkern seine Stücke die Spielpläne der Theater permanent. Das mag nicht zuletzt auch Ästhetik geschuldet sein, von der Anton Kuh sagte: „Ein amorphes Stück Natur; vulgär wie ein Noch-nicht-Literat, souverän wie ein Nicht-mehr-Literat; aus Elementarem und Dilettantischem gemengt.“

 

In den „Geschichten aus dem Wiener Wald“ erzählt der Dramatiker ungarischer Abstammung vom Schicksal der Halbwaise und Sympathieträgerin Marianne. Sie ist die Tochter des Spielwarenhändlers Zauberkönig und vom Vater, mit Handschlag besiegelt, für die Ehe mit dem Fleischhauer Oskar bestimmt. (Die Berufsbezeichnung steht hier auch für eine Gemütscharakterisierung!) Während der Verlobungsfeier in freier Natur gibt sie sich dem Berufsspieler Alfred hin, empfängt und gebiert nach der üblichen Zeit. Der enttäuschte Oskar ist dennoch erfüllt von Liebe, oder was immer er dafür hält, und verspricht: „Meiner Liebe wirst du nicht entgehen!“ Alfred, der zuvor in einer Mesalliance mit der ältlichen Tabak-Trafikantin Valerie gelebt hatte, muss Verantwortung übernehmen und scheitert. Das Kind wird schließlich zu seiner Mutter in die Wachau gegeben, wo es bald zu Tode gepflegt wird. Für Oskar ist der Weg nun wieder frei, denn der Stein des Anstoßes, das uneheliche Kind, ist aus der Welt und Marianne von Alfred verlassen. Valerie hat sich mit dem zackigen Studenten Erich, eine gelungene Parodie auf den heraufziehenden Nationalsozialismus, aus Kassel eingelassen. Als Erich „heim ins Reich“ kehrt, bekommt Alfred wieder seine Chance. Marianne, die im „Maxim“ nackt als „allegorische Figur“ posieren muss, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, gerät in die Wurstfinger eines in Amerika reich gewordenen Wieners, der mit Geld nur so um sich wirft. Als Marianne sich ihm verweigert, klagt er sie des Diebsstahls an. Aus der Untersuchungshaft entlassen, ist Marianne eine gebrochene Frau und ergibt sich dem Werben Oskars. Damit ist die Fortsetzung der emotionalen Unterdrückung und Ausbeutung sanktioniert. Marianne ist am Ende doch noch mit der "Liebe" Oskars erlegt worden.

 
  WienerWald  
 

© Arno Declair

 

 

„Geschichten aus dem Wiener Wald“ ist eigentlich eine sichere Bank, denn die operettenhaften Elemente, die auf zynische Weise menschliche Brutalität karikieren, sind, setzt man das Ganze komödiantisch um, höchst unterhaltsam. Doch was macht man, wenn man auch eine politische Botschaft in Form einer zeitkritischen Betrachtung  transportieren will? Man verfremdet! So geschehen in der Inszenierung von Christian Stückl am Münchner Volkstheater. Der Regisseur, dessen Stärke klare und wuchtige Bilder sind, ging einer Psychologisierung des Dramas aus dem Weg, straffte die Geschichte und auch die Personage und schuf eine Clowneske mit stark überzeichneten Figuren, die darum nichts an Menschlichkeit einbüßten. Nur war der Betrachter nicht gefangen in einem, das Bewusstsein verwässernde Mitgefühl. Damit gestaltete Stückl bestes episches Theater.

Die Parallelen des Stückes zur heutigen Zeit sah Christian Stückl in der Krisenhaftigkeit der globalisierten Welt, in der hemmungsloser Neoliberalismus massenhafte Armut produziert, in dem große Teile der Menschen nicht mehr am Erwirtschafteten partizipieren, - Tendenz zunehmend, wie die Auswahl der Texte im Programmheft suggerieren. Die Welt befindet sich in einem gewaltigen Bürgerkrieg, bei dem es um Arbeit und Einkommen geht: „Die Arbeit im alten Sinne rentiert sich nicht mehr. Wer heutzutag vorwärtskommen will, muß mit der Arbeit der anderen arbeiten.“ (Alfred) Und wie in jedem Krieg gibt es Gewinner und Verlieren. Zu den Gewinnern gehört beispielsweise Oskar. Sein Geschäft basiert auf Lebensnotwendigkeit, denn Essen muss jeder. Pascal Fliggs Fleischhauer zeichnete sich nicht unbedingt dadurch aus, dass er seinen Beruf als höhere Berufung begriff, allein der ökonomischer Erfolg schien diese zu ersetzen. Hinzu kam die allseits verbreitete Illusion, wer ökonomisch erfolgreich ist, ist immer auch ein gutes Mitglied der Gesellschaft. Erst recht, wenn man ein guter Christ ist. Es ist eben dieser Charakter aus Skrupellosigkeit und Demagogie, der heute wie damals als Held gehandelt wird.

 

Noch auf der vermeintlich sicheren Seite sind die Tabak-Trafikantin Valerie, sinnlich und vordergründig von Ursula Maria Burkhart gespielt. Wie im Stück, gestaltete Frau Burkhart diese Rolle als eine der letzten Bastionen menschlichen Mitgefühls. Daran änderte auch die skrupellose Rückbesinnung auf ihren eigenen Egoismus nichts.  Der Rittmeister wähnte sich ebenfalls vor der Spirale des Niedergangs geschützt, denn als Pensionist glaubte er an den Bestand des Staates, der seine Getreuen nicht fallen lässt. Thomas Kylau war kurzfristig für den erkrankten Michael Tschernow eingesprungen und absolvierte seinen Part als Ex-K.u.K.-Offizier mit aller gebotenen Hohltönigkeit. Selbst der Zauberkönig, der sich mit seinem wahrlich schlecht florierenden Spielzeugladen über Wasser hielt, wusste immerhin noch, wohin er gehörte. Jean-Luc Bubert glänzte in dieser Rolle, agierte mit artistischem Geschick und aufwendiger Rhetorik deutlich über seine Rolle hinaus, in dem er zahllose Witze erzählte, die sehr zur Erheiterung des Publikums beitrugen. Immerhin neigte er bereits zum Pessimismus: „Alles wackelt, nichts steht mehr fest. Reif für die Sintflut.“

 

Die eigentlichen Verlierergeneration war, und auch hier zeigte sich eine bedrückende Aktualität, die Jugend. Alfred ist ohne Frage jemand, der mit schnellem Geld, egal wo es herkommt, zufrieden ist. Max Wagner gab einen bezaubernden, anziehenden jungen Mann, dessen Charme sehr schnell zur Makulatur und seine ganze Erbärmlichkeit sichtbar wurde, wenn es ans Eingemachte ging. Lenja Schultzes Marianne war ein verträumtes Mädchen mit idealistischen Vorstellungen vom Glück und vom Menschen. Dass sie am Ende zerbrach, ist auch ihrer schwachen geistigen Konstitution geschuldet. Sie konnte sich ihr Schicksal nicht einmal ansatzweise erklären und kapitulierte. „Mich prügelt er (Gott – Anm. W.B.) wie einen Hund! (...) Jetzt kann ich nicht mehr.“ Havlitschek  ist emotionaler und geistiger Verbündeter von Oskar. Als Angestellter bei dem kaltherzigen Fleischhauer wähnt er sich auf der sicheren Seite. Der Preis, den er zahlen muss, ist bedingungsloser Opportunismus. Sohel Altan G. spielte diesen überzeugend.

 

Auch Christian Stückls Inszenierung transportierte das Operettenhafte, den Kitsch, mit dem man den Bürger einlullt, damit er nicht wirklich zur Besinnung kommt. Die Darsteller sangen gekonnt ihre Schlager, und mancher Song klang wirklich besser als das Original. Michael Gumpinger begleitete die Darsteller und die Handlung am Flügel wie ein Stummfilmpianist und setzt treffliche Akzente. In der heutigen Zeit ist das Spektrum der medialen Verblödung wesentlich größer, damit auch der Wunsch nach Individualismus beim Stimmviehs bedient wird. Nur ein einsamer Indianer ist ein guter Indianer! – So ändern sich die Zeiten. Die Kostüme von Stefan Hageneier waren grandios schrill und zeitlos. Der Verfremdungseffekt war vollkommen und die Darsteller wurden in ihnen zu Charakteren nach Folien, die es zu allen Zeiten gab. Die Texte wurden aber gerade darum um so glaubhafter. Das Stück und die Inszenierung hielt sogar ein Prophetie bereit. Wenn der kleine Nazi Erich abgeht, dann nur mit dem Versprechen, wiederzukommen. Der geistige Kretin wurde von Johannes Meier auch physisch als ein solcher gespielt.

 

Das Bühnenbild von Stefan Hageneier war ein Idylle, ein Waldsee mit Schilf, umrahmt von einem undurchdringlichen Wald. Man ging zumeist auf und ab durchs Wasser. Man kam aus dem Wald und man ging in den Wald. Beschaulichkeit allenthalben. Doch wie bemerkte schon André Heller: „Misstraue der Idylle, sie ist ein Mörderstück. Schlägst du dich auf ihre Seite, schlägt sie dich zurück.“ Grandios!

 

 

Wolf Banitzki



 


Geschichten aus dem Wiener Wald   

von Ödön von Horváth

 

Jean-Luc Bubert, Ursula Maria Burkhart, Pascal Fligg, Sohel Altan G., Ilona Grandke, Thomas Kylau, Johannes Meier, Lenja Schultze, Max Wagner, Constanze Wächter

Regie: Christian Stückl