Volkstheater Gespenster von Henrik Ibsen


 

 

 

Gespinst Natur

 

Moderne Gespenster sind es, die heute die Welt bevölkern. Moralisch, pflichtbewusst, funktional, untergeordnet, ... von Stoff bedeckte Figuren. Es sind die Wiedergänger der Väter und Mütter, die die alten Seelen und deren Missgeschicke weitertragen. Die Erwartungen und Vorstellungen von Leben prägen schon im kindlichen Wachstum die Körper, werden zu eingefleischten Haltungen. Übertrieben? Nun, ein wenig Übertreibung braucht es schon, um auf Missverhältnisse aufmerksam zu machen. Denn die Wiederholung der Wiederholung von wiederholten Schwächen bestärken diese in einer Weise, welche sich längst aller Kontrolle entzogen hat. Und der Schatten von Gesetz und Moral vermag dies nicht mehr zu verdecken.

 

Henrik Ibsen beförderte auch den deutschen Naturalismus. Seine Stücke werden gerne wegen seines analytischen Herangehens an die Stoffe von Moral, Ehe, Gesellschaft gespielt, und sie fanden seit ihren Uraufführungen unzählige Interpretationen. Naturalismus, das heißt wirklich Rückbesinnung auf die Natur, die Natur des Menschen. Und wie es kaum anders sein kann, endet an ihr alle aufgesetzte Moral. Dass am Ende die Klüngelei um ein „Heim für Seefahrer“ zwischen Tischler Engstrand und Pastor Manders steht, wobei jeder seine eigenen Vorstellungen davon sieht, ist Zeichen ihrer Unbesiegbarkeit. Natur - die mächtigste rein opportunistische Macht, welche Mensch zu erfassen in der Lage ist. Diese zu bezwingen, in ein erdachtes Regelwerk zu fassen, um die Gemeinschaft zu Gesellschaft zu ordnen, ist wohl das schwierigste Unterfangen in der Geschichte der Menschen. Es gipfelt in die Unmöglichkeit sich gegen sich selbst, die eigene Natur aufzulehnen. Scheitern vorbestimmt.

 

Osvald kehrt nach Jahren in Paris und einer Karriere als Künstler zurück nach Hause. Seine Mutter Helene Alving lebt mit der Ziehtochter Regine im Haus und errichtet mit Pastor Manders ein Asylheim am Fjord. Pastor Manders, ein Freund der Familie, hält auf Moral. Alles wohlgeordnet, scheint es. Und doch reißen im Laufe nur eines Tages alle nur möglichen Abgründe auf. Die Inszenierung von „Gespenster“ am Volkstheater durch Sebastian Kreyer richtet den Focus vor allem auf die Beziehung. Die Beziehung zwischen dem, die Normen der Gesellschaft vertretenden, Pastor und der Witwe Helene und zwischen Mutter Helene und Sohn Osvald. Über allem und zwischen allen schwebt der Geist des toten Kammerherrn Alving. Doch nicht nur er wurde zum Gespenst, auch die noch Anwesenden hatten sich selbst längst abstrahiert.  Regisseur Sebastian Kreyer wählt eine vorgeblich unterhaltende Form der Inszenierung – „boulvardesk“ - sein wohl zutreffendstes Wort dafür. Die Komik des Tragischen stellt also eine Form des Abreagierens von Unwohlsein, von Bedrückung, von Hilflosigkeit vor. Seine Figuren sind gefangen in ihren überzogenen Vorstellungen.

 
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Oliver Möller, Ursula Burkhart

© Arno Declair

 

 

Manders, Pastor als Sinnbild des in einem Gott heilen Menschen, wirkte mehr als Karikatur, denn als Charakter. Gleich einem Selbstversuch, der schon an und in sich gescheitert erschien – auf der Bühne ein  grandios kaspernder Oliver Möller. Bis zur Witzfigur auch durch kalauernden Sprachwitz überzeichnet (Dramaturgie: Katja Friedrich), ersuchte er sich in der Vertretung von Kirche und Gesellschaft, einer unlösbaren Aufgabe. Die Flucht an einen neuen Tatort erlöste ihn schließlich doch. Gemeinsam mit der jungen enthusiastischen Regina - naiv gespielt von Mara Widmann - und dem von den „Unbekehrbaren gezeichneten“ Tischler Engstrand - überragend simple Präsenz von Pascal Fligg - verließ er am Ende den Fjord, die Sackgasse. Zurück blieb die von Ursula Burkhart verkörperte Helene. Ihre Verwandlung von der sozial engagierten Dame der Gesellschaft, über die in Hingabe an Mann und Familie sich aufopfernden, bis zur Mutter schlechthin, war überzeugend. Die Aufrechterhaltung von Schein gelang es als scheinbar  weibliche Grundeigenschaft herauszustellen. Doch auch hier siegte letztlich die Natur, die bedingungslose Liebe zum Willen des Sohnes, der Fleisch aus ihrem Fleisch ist. Osvald war augenscheinlich um Haltung bemüht und in der Haltung des Vaters, mit dessen Pfeife, gipfelte für den Anfang im Ende auch sein Bemühen. Die Lebensfreude der Jugend war ihm abhanden gekommen, zu schnell, zu grundlegend. Max Wagner erspielte kraftvoll greifbar einen jungen Mann, der für kurze Momente dem Glück nahe gekommen war, es erfühlt hatte, dessen Vergänglichkeit sich jedoch ebenso unmittelbar unabänderlich eingestellt hatte. Noch bei klarem Bewusstsein forderte er Hilfe, zuletzt die Hilfe der Mutter. Sie waren allein.

 

Der Glaube an einen Gott: Die Stimme aus dem Off hat seit tausenden Jahren das Elend keinesfalls gemindert, nur den Menschen zunehmend von sich selbst entfremdet. Handel und Mauschelei sind dadurch keineswegs geringer geworden, im Gegenteil. Nicht nur sie, sondern auch die Scheinheiligkeit hat zugenommen. Scheinheiligkeit aller Orten - Männer in der inneren Unvereinbareit von Vorstellung, Ordnung und ihrer Natur. Und eine moralische Ordnung an „einen Gott“ zu delegieren, führt bestenfalls zu Selbstentfremdung oder zum falschen Alibi. Hauptsache es wirkt.

 

Osvald trat an die Rampe, ans Mikrophon. Klar und explizit wiederholte er alle Sätze, die seine Welt bildeten. Alle Sätze, die sein Leben verdeutlichten und darin noch zu erwarten standen. Eine überflüssige Wiederholung am Ende der Aufführung könnte man behaupten, doch die Eindringlichkeit mit der Max Wagner die Worte frei von aller Ablenkung äußerte, verlieh eben diesen Worten, der Aussage enorme Nachwirkung.  

 

Was von der Welt übrig blieb: Die Lebensfreude wurde der Pflicht und Ordnung geopfert. Die Menschen sind an den Strukturen des Glaubens und der Moral gescheitert. Syphilis (auch symbolisch zu verstehen) greift Geschlecht und Kopf gleichermaßen an. Verzweiflung und Angst sind die letzten verbliebenen Seinszustände. Diese sind nur unter Betäubung zu ertragen – Morphium und jedweder geeignete Stoff um den Schmerz zu verzerren, Konsum von Waren und Lärm um sie auszublenden.

Da liegt es nahe den alltäglichen Aberwitz mit Witz zu überbieten. Und das darf dann ruhig auch ein wenig deftiger ausfallen, sind doch letztlich alle nur Gespinste der Natur.

 

 

C.M.Meier



 


Gespenster

von Henrik Ibsen

 

Ursula Burkhart, Max Wagner, Oliver Möller, Pascal Fligg, Mara Weidmann

Regie: Sebastian Kreyer
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