Volkstheater Der große Gatsby von F. Scott Fitzgerald


 

 

Wenn Illusionen tödlich enden

Jay Gatsby ist eine der großen tragischen Figuren in der Literatur des 20. Jahrhunderts. Sein Schöpfer F. Scott Fitzgerald war Protagonist in einer Welt, die in den Roaring Twenties den Tanz auf dem Vulkan vollführten und die teuer dafür bezahlten. Jay Gatsby war dem Bild einer Frau aus reichem Hause verfallen, die er als junger Leutnant liebte, die ihn jedoch nicht erhörte, weil er arm war. Er konnte ihrem Bild nicht entrinnen. Gatsby wurde reich und erwarb einen Palast an den Gestaden Long Island, unweit von New York, wo sich die Reichen und die Nabobs der Geldmetropole niedergelassen hatten. So auch das geliebte Wesen Daisy und ihr vermögender Mann Tom Buchanan, ein rassistischer und grobschlächtiger Ex-Footballspieler, der (in der Spielfassung) als Polospieler Bekanntheit erlangt hat. Am Anleger des Anwesens brennt allnächtlich ein grünes Licht, welches Gatsby von seinem Anleger aus sehen kann. Das Licht wird zum Hoffnungssymbol für den einsamen Mann, dessen rauschende Partys legendär sind.
 
Gatsbys Nachbar Nick Carraway ist zufällig Daisys Cousin zweiten Grades. Bei einem Besuch der Cousine lernt er die junge, schöne und selbstbewusste, aber auch berechnende Jordan Baker kennen. Sie verführt Nick dazu, in seinem Haus ein Treffen zwischen Daisy und Gatsby zu arrangieren. Für eine kurze Zeit scheint es, dass Gatsby die Vergangenheit zurückholen kann. Doch es entpuppt sich als eine Illusion. Nach einer Auseinandersetzung zwischen Gatsby und Tom Buchanan kommt es fataler Weise zu einem Unfall, bei dem Daisy die Geliebte ihres Mannes, Myrtle Wilson, tötet. Gatsby übernimmt dafür die Verantwortung und wird von Myrtles Mann getötet. Daisy ist emotional bald schon zu ihrem Mann zurückgekehrt. Die Affäre wird nicht mehr erwähnt. Für Jay Gatsby war die große Illusion seines Lebens, die Liebe zu Daisy, tödlich.
 
F. Scott Fitzgerald verarbeitete in seinem hoch gelobten Roman die Widersprüche des „American Dream“ nach dem 1. Weltkrieg. Sein Fokus galt dem Verhältnis von Reichtum und Moral und dem daraus resultierenden Untergang eines tradierten Familienbildes. Die Roaring Twenties waren geprägt von Genusssucht und Ausschweifung. Sie endeten bekanntermaßen in der bis dahin größten Weltwirtschaftskrise. Jay Gatsby vertraut auf seinen Reichtum, dessen Herkunft ominös ist, und lebt in der romantischen Hoffnung, die Angebetete durch die Aussicht auf ein königliches Leben an sich binden zu können. Das Wort Liebe wird in diesem Werk über die Maßen strapaziert. Diesem unwirklich scheinenden, weil überirdischen Gefühl zu entgegnen, brachte der junge Regisseur Abdullah Kenan Karaca seine (gemeinsam mit Katja Friedrich erarbeitete) Fassung auf die Bühne, in der er die Lovestory weitestgehend auf die Funktion eines Transportmittels reduzierte. Die Größe des Romans von Fitzgerald liegt im Scheitern des Protagonisten und das Spannende daran ist der Weg dorthin. Es ist ebenso ein Stoff für einen Krimi (Verfilmung von Elliott Nugent 1949), wie für eine intime Liebesgeschichte (Verfilmung von Jack Clayton 1974), oder wie für ein von Musik geschwängertes Bilderepos (Verfilmung Baz Luhrmann 2013).
 
Regisseur Abdullah Kenan Karaca brachte den großen Stoff auf die Kleine Bühne des Münchner Volkstheaters. Er verzichtete weitestgehend auf Bilder und reduzierte die Geschichte auf die zwischenmenschlichen Abläufe, wie sie sich aus den Charakteren der Rollen ergaben. Und da er selbst noch ein junger Künstler ist, geschah das mit einer jugendlichen Sicht auf durchaus heutige Figuren. Max Wagners Gatsby war ein egozentrischer Mann, dessen Souveränität schnell ins Bröckeln geriet, wenn es ans Eingemachte ging. Er war einerseits der Hasardeur, der er auch sein musste, um in so kurzer Zeit ein so großes Vermögen anzuhäufen, andererseits aber der junge, verklemmte Leutnant, als der er Daisy verfiel. Wagner gab einen coolen Mafiosi und kippte im nächsten Moment ab in das ängstliche Vibrieren und in die Launenhaftigkeit eines pubertierenden Knaben. Jakob Geßner gab den Nick Carraway, einen bis an die Grenzen des Grotesken schüchternen Börsenmakler, der als Einziger die Ausmaße des Handelns Gatsbys voraus sah. Mit seinem Engagement machte er sich im Kreis der selbstverliebten Snobs immer wieder lächerlich. Seine Versuche, witzig zu sein, scheiterten häufig gründlich. Pascal Fligg war eine gute Besetzung für die Rolle des Tom. Er gab den zwanghaft heiteren Entertainer ebenso rüde bedrohlich, wie den eifersüchtigen Ehemann oder den in seiner Eitelkeit gekränkten Protz. Lenja Schultzes anmutige, aber kühl berechnende Jordan Baker fiel in ihrer Darstellung ein wenig aus dem Rahmen. Sie blieb auf die beobachtende, die Fäden zu ihrem eigenen Nutzen ziehende Schöne reduziert. Die Daisy wurde schließlich von Constanze Wächter gespielt. Sie gab eine Frau, für die das ganze Leben nur ein romantisches Spiel zu sein schien und die, wenn es für sie emotional eng wurde, ihr Entscheidungen abgefordert wurden, sich überfordert und hysterisch zurückzog. Diese Daisy war ein Blendwerk der Natur und der sie umgebenden Gesellschaft, ein teurer, gespreizter Schmetterling, der den Blick auf sich zieht, und die Mitmenschen schnell die Kontrolle verlieren lässt. Ihre Hohlheit, Dummheit und Oberflächlichkeit machen das Schicksal Gatsbys umso tragischer.

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Max Wagner, Constanze Wächter

© Daniel Delang

 

Abdullah Kenan Karaca inszenierte mit lockerer Hand, erfreute mit so manchem netten Einfall, wie einem Hubschrauberrundflug oder Turnübungen am Reck, um amerikanische Mannhaftigkeit und Patriotismus auszuloten. Der Autounfall war nicht mehr als ein Lichtblitz und nachher lag das zerschmetterte Gehirn Myrtle Wilsons auf dem kleinen Tisch, der gleichsam Schaukel war. (Bühnenbild: Yvonne Kalles) Über das machten sich denn auch die Überlebenden gierig her. Ein deutliches, aber der Situation angemessenes Bild, mit dem der Regisseur Flagge zeigte.

Wenn in dieser Inszenierung auch nicht unbedingt Sprachpflege betrieben wurde, so verhinderten die flapsigen Ein- und Auslassungen zumindest, dass die Geschichte in den Kitsch kippte. Es ist eine Inszenierung, die das junge Publikum erreichen wird. Und da die Jugend erfahrungsgemäß nicht unbedingt auf die Klassiker der Moderne versessen ist, kommt sie doch auf diesen Weg in den Genuss der Geschichte vom großen Gatsby. Auch wenn in historisierenden Kostümen gespielt wurden, blieben die Parallelen unübersehbar. Schade nur, dass das Stück kein prägnantes Ende fand und mehr oder weniger ausplätscherte. Das nahm der Inszenierung einen Teil ihrer Wirkung.

 

Wolf Banitzki

 

 


Der große Gatsby

von F. Scott Fitzgerald

Max Wagner, Jakob Geßner, Pascal Fligg, Constanze Wächter, Lenja Schultze

Regie: Abdullah Kenan Karaca
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