Volkstheater Jugend ohne Gott nach Ödön von Horváth
Alles Programm ...?!
Seit Beginn der Menschheitsgeschichte werden die Gedanken Einzelner aufgegriffen und daraus Ideologien entwickelt. Diese Vorstellungen – der Stein eines Weisen – bilden die Anschauungs- und Handlungsgrundlage für Gemeinschaften. Von zurückhaltend friedvoll bis gewaltsam erfolgt die Verbreitung dieser Weltbilder. Dabei kann es sich immer nur um Eine von Milliarden Möglichkeiten handeln und doch wird die eine Wortfolge einem Gott gleichgesetzt, angebetet. Konfuzius, Moses, Buddha, Heraklit, Jesus, Mohammed, Luther, Marx, Hitler, Keynes ... und naturgemäß viele andere mehr erstellten solche Grundsatzerklärungen. Längst hat die virtuelle Revolution ihre eigenen Programme herausgegeben und diktiert ihren Algorithmen folgend Denken und Handeln. Wer sich unterwirft, erfährt Anerkennung, wer sich eigenständig oder gar kritisch verhält, wird geopfert. Und, es funktioniert, es funktioniert solange, bis eine zunehmende Kritische Masse über ein Atom mehr verfügt.
„Nichts gibt so sehr das Gefühl der Unendlichkeit als wie die Dummheit.“, schrieb Ödön von Horvath. Kritisch verfolgte er die Bewegungen der Massen, distanziert. Sein Interesse galt der Einzelfigur, galt deren Arrangements und Reaktionen, galt dem Menschen jenseits von Religion. 1937 schrieb er, in wenigen Wochen, den Roman „Jugend ohne Gott“. Der Nationalsozialismus brannte ihm auf der Seele.
Ein junger Lehrer versucht, mit den Idealen des Humanismus, seine Schüler auf die Rigorosität des Faschismus aufmerksam zu machen. Doch die Schüler und auch die Schulleitung folgen dem Gesetz der Masse. Der Lehrer schließt sich, um seiner Existenz willen, scheinbar der Bewegung an. Zeltlager, Vorbereitung auf militärische Ausbildung ... Ein brandaktueller Stoff also (auch wenn der Militarismus heute kommerzielle Interessen verfolgt und Anzüge statt Uniformen trägt). Die Begegnung des Lehrers mit einem Pfarrer führt zu einer erneuten Auseinandersetzung mit Gott, dem Gewissen. Unausweichlich, aus Schuld erwächst Schuld. Als es zu einem Diebstahl und nachfolgend einem Mord kommt, erinnert sich der Lehrer und übernimmt Verantwortung.
Paul Behren, Sara Sukarie, Mehmet Sözer © Gabriela Neeb |
Die Inszenierung in der Regie von Manuel Braun stellte die zeitlos verbindenden Aspekte des Menschlichen heraus. Schwächen, Stärken und der vergebliche Versuch durch Autorität und Drill eine verbindliche Ordnung herzustellen im umfassenden Chaos. Mit nachhaltigen Bildern, auf der von Aylin Kaip gestalteten Bühne, gelang eine beeindruckende Umsetzung des Romans in Erzähltheater. Schlanke Baumstämme standen verteilt auf der Spielfläche, Wald, dazwischen das Pult des Lehrers, die mit der Lehne dem Publikum zugewandten Stühle der Schüler. Der Lehrer, eindringlich gespielt von Johannes Meier, suchte naturgemäß Erfahrung in der Welt und sich selbst. Unschuldig aufrecht trat er an die Schüler heran, welche ihm mit verbreiteten Vorbehalten begegneten. „Alle Kanaken sind hinterlistig, feig und faul.“ , lautete einer dieser Feststellungen, welche lediglich dazu dienen Selbsterhabenheit vorzugeben. Und dann wurde erkennbar, wie über gleichschaltende Aufgabenstellung und Takt Vereinheitlichung voran gebracht werden kann. Ursula Maria Burkhart schritt als Feldwebel vor den Jugendlichen auf und ab. Ihrer strenger Stimme folgend wurde Körperertüchtigung erzwungen. So lässt sich Macht konzentrieren. Paul Behren, Mehmet Sözer und Sara Sukarie verkörperten nicht nur die an Bildung desinteressierten Schüler, sondern auch andere Figuren. Paul Behrend gab überaus faktisch den mit der Schuld-Keule um sich schlagenden Pfarrer. Mehmet Sözer, der als Schüler T mit österreichischem Dialekt die Zugehörigkeit dieser Nation zum Reich vorführte, brachte barfuß als Dorfmädchen die Wandlungsfähigkeit ins Spiel. Die Geste mit der Sara Sukarie als Präsidentin die Brille aufsetzte, das Schauspiel für einen Moment stillstehen ließ, war imposant. In kleinen, wie in großen Momenten gelang bravourös ein vielfältiges Psychogramm. Das Geschehen voran bringend und persönliche Reflektionen wiedergebend, folgten die Szenen nahe der Vorgabe des Romans, eine Essenz Horváth sinnfällig gewürzt mit Tagesgeschehen.
„Es macht einen Sinn, einen Strich durch eine Rechnung zu machen.“ ... Denn es sind die Humanistischen Ideale, die den Strich darstellen, die Mensch vom Tier unterscheiden. Ohne Kultivierung dieser Eigenschaften ist Mensch auf die bloße Natur zurückgeworfen. Analyse, oder übersetzt Interesse an Futter, an den Lebensvorgängen ist der universelle Triebfaktor, welcher Einzelne und nachfolgend die Gesellschaft voran bringt. Doch wohin? Jede Zeit verlangt eine eigene Auseinandersetzung mit dem Thema und die angenehmste ist wohl die sehenswert aufschlußreichen Theaters.
C.M.Meier
Jugend ohne Gott
nach dem Roman von Ödön von Horváth
Johannes Meier, Paul Behren, Ursula Maria Burkhart, Mehmet Sözer, Sara Sukarie Regie: Manuel Braun |