Volkstheater  paradies fluten von Thomas Köck


 

Vorsehung und Prophezeiung

Spätestens seit dem Film „Fitzcarraldo“ von Werner Herzog aus dem Jahr 1982 ist das  Teatro Amazonas wieder ein Begriff. Das am 31. Dezember 1896 in Manaus, Brasilien, eingeweihte Opernhaus war Inbegriff der Hybris der so genannten Kautschukbarone, die es im Regenwald des Amazonasgebietes zu sagenhaften Reichtum brachten. Der Bau des Opernhauses, für den man die meisten Materialien aus Europa herbeischaffte, kostete ca. 2 Mio. Dollar, damals eine unglaubliche Summe. Der Reichtum nahm um 1890 geradezu perverse Züge an, die Barone entzündeten ihre Zigarren mit Geldscheinen. Einer ließ seinen Pferden einen Palast errichten, der so prächtig geriet, dass er schließlich selbst einzog. Den Preis für diesen Reichtum einiger weniger Unternehmer zahlten die Indigenen, die man zu Schuldnern machte oder sie mit Waffen ausstattete, damit sie fremde Stämme unterwarfen und sie zu Sklaven der Kautschukgewinnung machten. Schuldknechtschaft und Waffengewalt bestimmten die Arbeitsverhältnisse. Daran hat sich übrigens bis heute nicht allzu viel geändert. Noch immer kämpfen die Indigenen um ihre Basisrechte.

Der österreichische Autor Thomas Köck schuf mit seinem "paradies fluten" eine Parabel auf den rasenden entfesselten Kapitalismus. Im Zentrum steht der Kautschukboom, stellvertretend für jede Art von „Goldrausch“, wie er regelmäßig mit jedem Quantensprung der technischen Entwicklung stattfindet. Unverblümt verarbeitet Köck die demagogische und zugleich verräterische Sprache des Kapitalismus, beschwört sogar Adam Smith, der den individuellen Egoismus zur stärksten Triebkraft in der gesellschaftlichen Entwicklung stilisierte. Und er lässt durch die Münder der Barone die „natürliche“ Entfaltung des Marktes, eine contradictio in adiecto, verkünden. Schließlich ist für jede Frau oder Mann unübersehbar, dass der Markt die Natur mit Stamm und Stiel und Blatt verschlingt.

Parallel zum Wüten des Marktes wurde die Geschichte einer Duchschnittsfamilie erzählt, die an den Mechanismen des Marktes zugrunde ging. Zuerst starb die Großmutter. Sie musste sich die permanenten Streitereien um die „Selbstständigkeit“ des Vaters anhören, der eine Autowerkstatt betrieb und unter dem Preisdumping beim Autoreifen – es ging letztlich immer wieder um Gummi – litt. Schließlich landete er nach einem Schlaganfall im Krankenhaus und siechte dahin. Mit dem letzten Besitz aus dem Verkauf des Hauses retteten sich seine Ehefrau und Tochter mehr schlecht als recht über die Runden. Die Tochter war Tänzerin, „immer nur auf Honorarbasis“, nie als festes Ensemblemitglied. Sie wurde ebenso ausgebeutet und vom System schließlich wieder ausgespien. Der kulturellen Anspruch, den der Kapitalismus für sich reklamiert, muss sich schließlich rechnen. Ansonsten pfeift er darauf.

  Paradies fluten  
 

Mara Widmann, Jonathan Müller, Pola Jane O´Mara, Carolin Hartmann

© Andrea Huber

 

Thomas Köck hat einen großen Bogen geschlagen, bezieht die Vorsehung und die Prophezeiung ein. Er erklärt die eine Milliarde Jahre währende Vergangenheit des Planeten und die sechseinhalb Milliarden Jahre dauernde Zukunft, bis sich die Sonne zu einem weißen Riesen aufbläst und die Planeten des Sonnensystems zu verschlingen beginnt. Köck will dem Publikum den Wert und die Einzigartigkeit unserer eigenen, sehr kurzen Existenz vor Augen halten, um unser kleinliches Versagen noch drastischer um die Ohren zu schlagen. Die Texte sind radikal, technisch, uferlos (Sätze enden häufig nicht.), poetisch und ganz selten dialogisch. Es blieb stets Erzähltheater, durchdrungen von einer starken Musikalität, die durch die Live-Musiker Joe Masi, Tom Wu und Manu Rzytki eine starke Betonung erfuhr.

In einem rasenden Szenenreigen (Choreografie: Ronni Maciel) wurde eine krude Mischung aus Lebensszenen, fiktiven Berichten, technischen Erklärungen, Biografien, Orakeln etc. erzählt. Dabei blieb Gummi stets im Blickfeld. Die Bühne von Mai Gogishvili war ausgehängt mit „Gumminudeln“, die als Vorhang, aber auch als Aufhängungen für menschliche Körper dienten. Das Heim der Familie war auf einen Rahmen aus zusammengeknoteten Gummischläuchen reduziert. Der schwarze Teil eines beweglichen Schiffsrumpfes diente als Behausung, Festung, Thron, Aussichtsplattform etc. Alles machte Sinn und erhielt die Fokussierung auf die jeweiligen Inhalte aufrecht. Beeindruckend waren auch die fantasievollen Kostüme von Aleksandra Pavlović, die europäische Stile des 19. Jahrhundert ebenso widerspiegelten wie indianische Kulturelemente, ohne jedoch naturalistisch zu werden. Auch in ihnen fanden sich viel Gummi und sogar Autoreifen.


Es war ein buntes und überaus dynamisches Spiel, das viel suggerierte, viel zitierte und viel provozierte. Dabei war wenig Hoffnung zu spüren, viel Fatalismus und noch mehr Unbehagen. Es war nicht leicht, der mosaikartigen Handlung zu folgen, zumal kaum in sich geschlossene Geschichten erzählt wurden, schon gar nicht in spannungsvoller dialogischer Form. Der Abend war stark performativ, wenngleich reich an szenischen Angeboten und einem sehr spielfreudigen, engagierten Ensemble, aber letztlich ohne konsequente Botschaft. Eine Zustandsbeschreibung ohne Konkretheit, könnte man sagen. Das war vornehmlich den sprunghaften, jede Form brechenden Texten des mit dreißig Jahren bereits hochdekorierten Autors Thomas Köck geschuldet, der ästhetisch schon ein wenig tobsüchtig mit seinen Texten daherkommt, wenn er beispielsweise fordert: „regieanweisungen sind wie kriegsgeräusche zu lesen“. Tatsache ist: Der Abend strengt an und man ist sich nicht immer sicher, ob es sich auch lohnt.


Wolf Banitzki


paradies fluten

von Thomas Köck

Jakob Geßner, Carolin Hartmann, Luise Kinner, Jonathan Müller, Pola Jane O´Mara, Leon Pfannenmüller, Oleg Tikhomirov, Mara Widmann, Stacyian Jackson

Regie: Jessica Glause

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